Wie einfach fiel Ihnen die Entscheidung, nicht mehr zu kandidieren?
Die Entscheidung war ziemlich einfach, sie ist seit 2013 gewachsen und wir waren uns ziemlich schnell sicher. Klar, ich hätte das noch vier weitere Jahre machen können. Aber ich habe einfach zu jung angefangen, um das mein ganzes Leben zu machen. Wobei ich damit in keiner Weise dieses populäre Lied singen will, dass es etwas Schlimmes ist, wenn jemand sein ganzes Leben lang Abgeordneter sein möchte. Ich finde, wir können froh und dankbar sein, dass wir einen Abgeordneten wie Wolfgang Schäuble haben, denn der hat das quasi sein ganzes Leben gemacht – Gott sei Dank, Deutschland kann froh darüber sein. Nur, mit Blick auf unser persönliches Lebensmodell haben mein Mann und ich gesagt, dass wir nicht unser ganzes Leben lang Abgeordnete sein möchten, da wir einfach beruflich nochmal etwas anderes machen wollen. Dazu, aber wirklich nur in zweiter Linie, kommen natürlich auch noch private Überlegungen.
Ich habe gelesen, dass Sie die „Verachtung des Berufspolitikers“ für hochgefährlich halten.
Diese Melodie hat ja auch Trump ganz stark intoniert und da steckt natürlich oft auch Verachtung von Professionalität mit drin. Ich glaube allerdings, dass Trump derzeit lernt, dass Politik ihre eigenen Funktionalitäten hat. So wie er – mal unabhängig vom Inhalt – mit der Abschaffung von Obamacare auf die Nase gefallen ist, das wäre Hillary Clinton im Leben nicht passiert, weil sie einfach weiß, wie Politik funktioniert und wie man sie professionell vorbereitet. Jeder, der seine Verachtung gegen Berufspolitiker intoniert, sollte sich überlegen, was es bedeutet, wenn nur noch dilettiert wird. Was das auch für unser Land bedeuten würde.
Werden Sie der Politik treu bleiben?
Wie man es nimmt. Öfter wurde ich gefragt, ob ich in die Landespolitik wechseln möchte – das habe ich nicht vor. Ich werde immer ein politischer Mensch sein und kann mir auch kaum vorstellen, mich nicht ehrenamtlich politisch zu engagieren.
Welches war in der Politik Ihr größter Erfolg?
Als Bundesfamilienministerin war mein größter Erfolg die Umsetzung des Kita-Ausbaus mit dem Rechtsanspruch und die Einführung des Bundesfreiwilligendiensts.
Und Ihre größte Niederlage?
Die starre Frauenquote, die ich immer bekämpft habe, und die in der darauffolgenden Legislaturperiode dann doch gekommen ist.
Sie sind also kein Quotenfan?
Nein, sicher nicht.
Jetzt gibt es Menschen, die sagen, dass Sie Dank einer Quote an Ihr Ministeramt gekommen seien: die Hessenquote.
Ich glaube, dass Angela Merkel auf mich aufmerksam geworden ist, da ich als Unions-Obfrau im BND-Untersuchungsausschuss ganz gut performt habe.
Parteien rangieren, was das Vertrauen angeht, unter Institutionen auf dem letzten Platz. Was muss gemacht werden, damit das Vertrauen in Politiker wieder hergestellt wird?
Parteien sollten stärker versuchen, sich nachprüfbar zu machen. Roland Koch, der immer viele gute Ideen hatte, hatte zum Beispiel nach einer Wahlperiode den Koalitionsvertrag vom Anfang der Wahlperiode wieder herausgegeben und in den Farben rot, grün und gelb hinterlegt, was alles umgesetzt wurde und was nicht. Im zweiten Fall hat er Begründungen geliefert, weshalb dies nicht geschehen ist. Mit gelb war markiert, was sich noch in der Umsetzung befand. Damit erreichen Sie zwar auch nur wieder eine ganz kleine, hochinteressierte Gruppe, die sich so etwas anschaut. Aber damit können Sie bei denen, die es sich anschauen, etwas erreichen. Vor allen auch mit der Begründung, weshalb etwas nicht funktioniert hat. Das ist ja auch interessant und lehrreich.
Foto: privat
Welches war Ihr schönster Moment in der politischen Laufbahn?
Einer der bewegendsten Momente war sicherlich der, als wir den Sternenkinderparagrafen umgesetzt hatten. Für Sternenkinder – so nennt man Kinder, die tot geboren werden – hatten wir in Deutschland zuvor zwei Regelungen: die über 500 Gramm galten als Totgeburten, die unter 500 Gramm als Fehlgeburten. Damals wurde von vielen betroffenen Eltern der Wunsch an mich herangetragen, dass sie ihr Kind, auch dann, wenn es unter 500 Gramm wog, standesamtlich eintragen können und sie den Kindern einen Namen geben können. Überlegen Sie mal, da reden wir schon über die 22./23. Schwangerschaftswoche, also eine fortgeschrittene Schwangerschaft. Das Ganze sollte nicht als Pflicht kommen, sondern als Möglichkeit, um im Stammbaum dokumentieren zu können: Das war mein Kind, das im Mutterleib gestorben ist. Diese Möglichkeit, diesen Sternenkinderparagrafen, habe ich gemeinsam mit dem Bundesinnenministerium durchgesetzt. Ich habe daraufhin wahnsinnig positive Resonanz bekommen. Die Eltern haben mir teilweise Bilder von ihren toten Kindern geschickt, das hat mich extrem bewegt.
Was hätten Sie im Bundestag noch gerne umgesetzt?
Ich wäre gerne noch einmal an das Embryonenschutzgesetz herangegangen. Zusammen mit Peter Hintze habe ich viele Initiativen im Bereich der Bioethik initiiert. Wir waren immer auf einem liberalen Dampfer unterwegs. Unser Embryonenschutzgesetz ist veraltet und die Möglichkeiten der Kinderwunschbehandlung sind in Deutschland stark restringiert. Dies führt beispielsweise dazu, dass wir sehr viele Zwillingsschwangerschaften haben, die wir eigentlich nicht haben müssten. Das ist ein großes Thema, um das ich mich auch als Bundesministerin gekümmert habe. Damals habe ich die finanzielle Situation für Kinderwunschpaare verbessert. Das ist ein Feld, in dem man fraktionsübergreifend nochmal etwas voranbringen könnte.
Welches sind die drei größten Herausforderungen, vor denen Deutschland steht?
Erstens eindeutig die Integration der vielen Zuwanderer. Zweitens unser Bildungssystem. Es ist zwar nicht so schlecht, wie es gemeinhin gemacht wird, aber eben auch nicht Spitze. Und drittens der Föderalismus, der bei der guten Grundidee in der praktischen Umsetzung vieles hemmt.
Dies ist ein Auszug aus dem Interview-Buch „Bundestag adieu!“, für das Aljoscha Kertesz mit zahlreichen 2017 aus dem Parlament ausgeschiedenen Politikern gesprochen hat. Es ist im Engelsdorfer Verlag erschienen.