Gewerkschaften genießen eine starke Aufmerksamkeit. Im März legte einer der größten Streiks der Nachkriegsgeschichte Deutschland still. Verdi, NGG, IG Metall und Co. sind durchsetzungsstärker denn je – und das, obwohl sie insgesamt schwach organisiert sind. Die Arbeitgeber bleiben traditionell in der Defensive, selbst wenn sie gute Argumente haben. Bei Tarifauseinandersetzungen steht oft nur die Botschaft der Arbeitnehmerseite im hellen Licht der Öffentlichkeit. Die Tarifpartnerschaft ist kommunikativ eher eine Asymmetrie. Dabei sollten Tarifauseinandersetzungen genauso ein Großereignis für die Arbeitgeberseite sein wie für Gewerkschaften. Warum bringen die Gewerkschaften ihre PS besser auf die Straße als die Gegenseite?
Gewerkschaften sind meist zentral geführt und stark auf Kommunikation und öffentliche Wirkung getrimmt. Arbeitgeberverbände organisieren sich föderaler und müssen ihre Aussagen und Kommunikationsmaßnahmen in heterogen besetzten Unternehmergremien abstimmen. Das führt zu einer zaghafteren, weicheren und oft langsameren Kommunikation. Gewerkschaften platzieren ihre Botschaften schnell auf allen Kanälen. Dabei zielen sie auf Emotion und moralischen Anspruch: David gegen Goliath. So sichern sie die Deutungshoheit über das Tarifergebnis. Den Verbänden bleibt dann oft nur noch, auf ein bereits gesetztes Narrativ zu reagieren, das mit reinen Fakten und einer zurückhaltenden Kommunikation nicht mehr zu drehen ist. Einige Branchen überlassen der anderen Seite die Kommunikation, weil es schon immer so war. Traditionell sitzen Arbeitgeber doch am längeren Hebel – oder? Doch diese Zeiten sind vorbei. Die Deutungshoheit der Gewerkschaften ist in einer aufmerksamkeitsgesteuerten Gesellschaft ein echter Machtfaktor.
Ein neuer Ansatz kann Arbeitgebern ermöglichen, früher, präsenter und mit anderen Themen zu kommunizieren. Dadurch haben sie nicht nur Chancen, ein Wörtchen um die Deutungshoheit in der Tarifrunde mitzureden, sondern erhöhen auch ihre Chancen auf einen Verhandlungserfolg. Natürlich soll möglichst viel von der eigenen Position durchgesetzt werden. Wer glaubt heute noch ernsthaft, dass das bessere Argument oder die ausgefeilte Gesprächsführung in der Verhandlung zum gewünschten Ergebnis führen? Als würde die Gewerkschaftsseite dann sagen: „Ach, wenn das so ist, na dann …“ Das übergeordnete Ziel in der Tarifkommunikation lautet: Themen müssen frühzeitig und aktiv gesteuert werden. Das verbessert die interne und externe Wahrnehmung der Arbeitgeberpositionen. Wer frühzeitig Themen setzt, bestimmt die Kriterien, nach denen der Tarifabschluss bewertet wird. Wer das Framing bestimmt, verbessert seine Chancen in der Verhandlung selbst.
Nicht nur Fakten senden
Um die Deutungshoheit in der Tarifrunde zu gewinnen, ist es entscheidend, ein überzeugendes Narrativ zu entwickeln. Dabei sollten einige Herangehensweisen infrage gestellt werden. Eine einheitliche und konstante Grunderzählung stellt die Geschlossenheit der Branche und die Stringenz ihrer Positionierung sicher. Statt des oft üblichen „Gibt nichts zu verteilen“ sollten öffentlich teilungsfähige und gesellschaftlich unterstützungswürdige Argumente genutzt werden. Bei aktuellen Tarifverhandlungen haben Gewerkschaften ein emotionales Gerechtigkeitsnarrativ platziert, das sich widerspiegelt in Plakaten wie „Wir verdienen mehr als einen Inflationsausgleich“ oder „Zusammen geht mehr“. Die Arbeitgeberseite hat dem Gerechtigkeitsnarrativ nüchtern mit „Die Forderungen sind nicht leistbar und überzogen“ widersprochen und lediglich Zahlen geliefert. Es ist offensichtlich, wer die Kriterien für die öffentliche Bewertung der Tarifrunde gesetzt hat. Stattdessen könnten Arbeitgeber zustimmungsfähigere Themen setzen, wie zum Beispiel die Auswirkungen der Inflation, der Klimakrise, der maroden Infrastruktur und Digitalisierung auf uns alle. „Wir kümmern uns um einen Relaunch von Made in Germany“ ist klare, offensive Leitidee, verbunden mit emotionalen Themen.
Die Bildung einer Kommunikationsgemeinschaft
Die wichtigste Maßnahme der Arbeitgeberseite ist es, eine Kommunikationsgemeinschaft zu bilden. Sie ist die emotionale Basis. Die Gemeinschaft setzt sich aus den Verhandlern, Haupt- und Ehrenamtlichen sowie den wichtigsten Mitgliedsunternehmen zusammen. In der Kommunikationsgemeinschaft kennen alle die Kernbotschaften, nutzen Sprachregelungen und sind stets top informiert und abgestimmt. Und das in einer zeitgemäßen Geschwindigkeit. Kurzum: Stakeholder und Multiplikatoren fühlen sich so als Teil eines Teams und ziehen an einem Strang. Die interne Kommunikation steht im Vordergrund. Mitgliedsunternehmen, Verhandler und Belegschaften haben einen erhöhten und dabei unterschiedlichen Informationsbedarf. Jede interne Zielgruppe erhält Informationen in ihrem Format. Für Personalchefs können eigene interne Gruppen – beispielsweise auf Linkedin – zum direkten Austausch eingerichtet werden. Vor Beginn einer Tarifrunde kann ein Informationspaket an alle Verhandlungsführer, wichtigen Verbandsmitglieder und Unternehmen gesendet werden. So wird nicht nur der Beginn einer neuen Tarifrunde markiert, sondern auch ein zentrales Narrativ samt Kampagnenmotiv präsentiert. Alle sind rechtzeitig informiert und alarmiert, und alle wissen, dass sie Teil der Kommunikationsgemeinschaft sind.
Framing findet vorher statt
Frühzeitig und proaktiv senden! Arbeitgeber sind oft reaktiv unterwegs, und damit ist das Framing schon von der anderen Seite umrissen. Vor der Tarifrunde gibt es die Chance, Themen zu setzen und eine Bewertung des Abschlusses mitzubestimmen. Im Framing vor der Tarifrunde werden gesellschaftlich zustimmungsfähige Kriterien festgelegt, denen ein Abschluss genügen muss. Im Laufe der Verhandlungen kann man die Wahrnehmung kaum noch beeinflussen.
Passgenaue Kommunikation statt Gießkanne
Eine erfolgreiche Tarifkommunikation wird auf die Besonderheiten der jeweiligen regionalen Branchenöffentlichkeit zugeschnitten. Die Leitkommunikation seitens des Arbeitgeberverbandes für alle Tarifgebiete bildet das starke Dach. Die Erzählung wird dann individualisiert, um die Zielgruppe der Stakeholder – insbesondere die Medien – treffsicher anzusprechen. Das Narrativ muss schnell an die jeweiligen Länder, Regionen und Personen angepasst werden. Es ist wichtig, das Umfeld zu analysieren und zu prüfen, ob vor Ort ein Mediennetzwerk besteht.
Nach der Tarifrunde ist vor der Tarifrunde
Sobald eine Tarifrunde beendet ist, beginnen die Vorbereitungen für die nächste. Die Basisnarrative und Kernbotschaften müssen verbandsintern an die aktuelle Lage angepasst werden, und es ist Zeit für Evaluation und neue Perspektiven. Die Kommunikationsgemeinschaft wird frühzeitig mit Briefings versorgt, und es finden Medientrainings für die Verhandler und Kommunikationsworkshops statt. Die Stakeholder werden kontinuierlich bespielt, um eine belastbare Beziehung aufzubauen. Die interne Kommunikation wird wieder straff organisiert, und alle wichtigen Multiplikatoren des Verbandes werden informiert. Während der Verhandlungsphase wird schnell und treffsicher mit Medien, Belegschaften und Personalchefs kommuniziert.
Mit diesen Maßnahmen schafft der Ansatz „Framing in der Tarifrunde“ das Kommunikationscockpit für die spezifische Tarifrunde. Denn die kontinuierliche und strategische Kommunikationsarbeit, nicht nur während der Verhandlungen, wird die Arbeitgeberposition deutlich stärken. Eine Präsenz in der Öffentlichkeit und auch bei den Mitarbeitenden der Branche generiert eine erhöhte Wahrnehmung bei allen Stakeholdern der Tarifrunden. Die neue Perspektive auf das eigene Vorgehen ist hierbei bei allen wirksam und vielleicht überraschend.
Arbeitgeberverbände werden so wieder mehr zum Deuter der öffentlichen Wahrnehmung und stellen die Symmetrie in der Kommunikation während Tarifverhandlungen her. Die Kommunikation hat das Zeug zum Gamechanger in den Runden und braucht eine viel stärkere Bedeutung für die Arbeitgeberverbände, denn auch Mitglieder messen den Erfolg eines Verbandes vor allem an seiner kommunikativen Wirksamkeit.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 143 – Thema: 15 Young Thinkers. Das Heft können Sie hier bestellen.