"Ich schlafe sehr viel weniger"

Interview

p&k: Wie lange haben Sie gebraucht, um sich im Bundestag zurechtzufinden?

Julia Verlinden: Wir hatten schon vor der Bundestagswahl ein kleines Kennenlerntreffen mit denen, bei denen es wahrscheinlich war, dass sie in der nächsten Wahlperiode dabei sein würden. Da haben wir schon mal eine kleine Führung durch die Gebäude gemacht und verschiedene Dinge vorbesprochen, damit man sich nach der Wahl nicht ganz ins kalte Wasser geschmissen fühlt. Ich habe mir auch den Luxus gegönnt, zwei Tage bei einem Abgeordneten von den Grünen zu hospitieren und in einer Sitzungswoche mitzulaufen. Es hat dann aber trotzdem eine Weile gedauert, bis das Büro wirklich funktioniert hat.

Warum?

Verlinden: Wir haben zwar schon am zweiten Tag einen Raum mit einem Schreibtisch bekommen, aber das war noch nicht das richtige Büro. Wir mussten auch die Koalitionsverhandlungen von Schwarz-Rot abwarten, und bis die Regierung im Dezember entschieden hatte, wie die Ressorts zugeschnitten sind und welche Ausschüsse es gibt. Dann mussten die Fraktionen entscheiden, wer in welchen Ausschuss kommt. Streng genommen kann man erst dann wissenschaftliche Mitarbeiter einstellen, weil man erst dann definitiv weiß, welches Thema man bearbeitet.

Ist man am Anfang also Einzelkämpfer?

Verlinden: Ja, ein bisschen schon. Manche Abgeordnete haben dann gesagt: “Es ist mir jetzt egal, ich stelle die Leute ein, die ich gut finde, und dann müssen wir irgendwie mit dem Thema klarkommen.” Andere haben erst einmal nur die Organisationsstellen besetzt und die fachlichen später.

Haben Sie sich denn als MdB-Neuling von Anfang an von den alteingesessenen Parlamentariern ernst genommen gefühlt?

Cemile Giousouf: Ja. Die Unterstützung der alten Hasen war echt großartig. Angefangen bei der Frage, wie man in welches Gebäude kommt, bis hin zu organisatorischen Details: Keine Frage war zu doof. Zumindest wurde mir dieses Gefühl vermittelt.

Karamba Diaby: Ich habe das Glück, dass eine meiner Mitarbeiterinnen vorher vier Jahre lang bei einem anderen Abgeordneten gearbeitet hat. Das hat mir vieles erleichtert. Ich war auch in einer besonderen Situation, da der Presserummel um meine Kandidatur sehr groß war. Daher kannten mich in der Fraktion schon fast alle. Das war ein Bonus. Man ist uns von Anfang an mit Respekt und auf Augenhöhe begegnet. Das hatte ich nicht erwartet, weil ich vorher gewarnt worden war, dass man es als Neuer nicht so einfach hat. Aber ich wurde sofort akzeptiert und bekam viele Tipps.

Zum Beispiel?

Diaby: Einmal habe ich im Plenum Zeitung gelesen, die “Süddeutsche” wohlgemerkt. Da hat ein erfahrener Kollege zu mir gesagt: “Das machst du künftig besser nicht mehr.” Ich habe gefragt, warum. Da sagte er: “Da sind überall Kameraleute, die können irgendein Bild in der Zeitung fokussieren, selbst wenn du es nicht direkt anguckst. So können sehr unangenehme Schlagzeilen entstehen.” Gott sei Dank bin ich vor einer solchen Erfahrung bewahrt worden. Hinweise dieser Art gab es viele, und das hat mich sehr gefreut, weil ich es als ein Zeichen der Solidarität erlebe.

Wie lief das in der Grünen-Fraktion ab, Frau Verlinden?

Verlinden: Bei uns haben sich einzelne Mitarbeiter der Fraktion bereit erklärt, dass man bei ihnen alle möglichen inhaltlichen und organisatorischen Fragen loswerden kann. Darüber hinaus gibt es natürlich auch eine thematische Zuordnung. Wir haben zum Beispiel einen stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden, der für alle Energie-, Verkehrs- und Umweltthemen zuständig ist (Oliver Krischer, Anm d. Red.). Der ist mein erster Ansprechpartner, weil er die meiste Erfahrung in diesem Bereich mitbringt.

Frau Giousouf und Herr Diaby, Sie sind beide mit dem Status eines “Vorzeigemigranten” angetreten. Ist das nicht auch eine Belastung, mit so vielen Vorschusslorbeeren zu starten?

Giousouf: Nein, überhaupt nicht. Ich fülle diese Funktion gern aus. Meine Botschaft an die Menschen mit Migrationshintergrund lautet: Ich möchte eine Vertretung für euch sein. Ich wurde recht schnell zur Integrationsbeauftragten der Fraktion, so dass das Thema direkt mit mir verknüpft ist. Und ich mache das gerne, denn es ist eines der Zukunftsthemen unseres Landes.

Aber besteht nicht die Gefahr, dass man auf diese Rolle reduziert wird?

Giousouf: Nein, diese Gefahr sehe ich nicht. Erstens, weil ich Integration für ein Querschnittsthema halte. Und zweitens habe ich mir auch bewusst ein bildungspolitisches Profil erarbeitet, da Bildung im Bereich Integrationspolitik ein zentrales Thema darstellt. Es ist richtig und wichtig, das Thema Integration mit einer Person zu besetzen, die es auch verkörpert.

Diaby: Ich habe mich schon im Wahlkampf dagegen gewehrt, wenn gesagt wurde, ich würde doch bestimmt der Integrationsbeauftragte der Fraktion. Ich habe ganz bewusst am Anfang dafür gekämpft, dass ich in den Bildungsausschuss komme. Ich habe auch mehr Ausschüsse bekommen als gedacht: Ich bin noch im Unterausschuss für bürgerschaftliches Engagement und stellvertretender Vorsitzender im Menschenrechtsausschuss. Ich bin total zufrieden.

Sie sind also alle drei in Ihren Wunschausschuss gekommen. Wie haben Sie das als Neuling angestellt?

Giousouf: In unserer Fraktion haben meines Wissens fast alle Neuen ihren Wunschausschuss bekommen. Bei zwei oder drei neuen Abgeordneten ist es der Zweitwunsch geworden, aber es gab niemanden, der völlig fachfremd irgendwo reingesetzt wurde.

Verlinden: Bei uns hat das auch gut funktioniert. Da wir eine ziemlich kleine Fraktion sind, ist es praktikabel, dass jeder einen eigenen Sprecherposten hat. Es war mir auch wichtig, dass ich nicht nur in meinen Wunschausschuss – wegen des Ressortzuschnitts ist das der Wirtschaftsausschuss – komme, sondern dass ich auch energiepolitische Sprecherin werde. Ich habe mich sehr gefreut, dass mir die Fraktion dieses Vertrauen gegeben hat, weil das Thema meine Motivation war, überhaupt zu kandidieren.

Wir hatten vorhin schon nach der Post von Verbänden gefragt. Wie gehen Sie generell mit Lobbyisten um? Hat es Sie überrascht, wie viele Interessenvertreter an Sie herantreten?

Diaby: Ich hatte vorher ein sehr negatives Bild und viele Vorurteile. Ich habe gedacht: “Hoffentlich lassen die mich in Ruhe.” Aber ich habe festgestellt, dass es wichtig ist, die unterschiedlichen Interessenlagen zu kennen und die Position der eigenen Fraktion deutlich zu machen. Ein Lobbyist für eine bestimmte Sache zu sein, wie zum Beispiel die Sozialverbände, finde ich gar nicht verkehrt. Man muss nur wissen, wie man damit umgeht. Ich höre zu und sage, was unsere Position ist. Ich mache keine Versprechungen.

Verlinden: Es gibt ja unterschiedliche Ebe nen: Dass man Post bekommt, ist das eine; dass man um Termine gebeten wird, das andere. Es hat mich schon überrascht, wie schwer es ist, bei so vielen Anfragen seinen Kalender zu organisieren. Wir müssen ganz vielen Menschen absagen, was nicht immer einfach ist. Aber man kann einfach nicht alle treffen. Dass es so extrem ist, habe ich nicht erwartet.

Giousouf: Ich habe am Anfang deutlich mehr Termine wahrgenommen, um auch ein Gefühl dafür zu bekommen. Mittlerweile konzentriere ich mich auf die Themen, für die ich Berichterstatterin bin. Es ist tatsächlich terminmäßig sehr schwierig, alles unter einen Hut zu bekommen. Wir werden ja abends oft zu parlamentarischen Abenden eingeladen. Davon habe ich sehr wenige besucht, weil ich meine Energie gezielt einsetzen muss. Ich glaube, es ist effizienter, selbst auf die Gruppen zuzugehen, mit denen man Gesprächsbedarf hat.

Wie viele Kontakte mit Interessenvertretern haben Sie in einer Sitzungswoche?

Diaby: Ich habe durchschnittlich zwei pro Tag, von Dienstag bis Freitag. Manchmal weniger, manchmal mehr.

Verlinden: Pi mal Daumen sind es zehn Kontakte in einer Sitzungswoche, Podiumsdiskussionen und Ähnliches mit eingerechnet.

Ist es denn so, dass Interessenvertreter einfach nur ihre Position darstellen, oder geht das auch darüber hinaus?

Verlinden: Das kommt aufs Thema an. Wenn es darum geht, zum Erneuerbare-Energien-Gesetz zu lobbyieren, schicken Verbände Briefe mit ganz konkreten Stellungnahmen und Vorschlägen, wie ihrer Meinung nach einzelne Paragrafen geändert werden sollten.

Diaby: Ich hatte ein Gespräch mit dem Bundesverband der Kleingartenvereine. Dieses Thema ist wichtig für mich. Ich habe darüber promoviert und auch kommunalpolitisch beschäftige ich mich mit der Zukunft des Kleingartenwesens in Deutschland. Der Verband wusste das und ist dann auf mich zugekommen, obwohl ich nicht in dem zuständigen Ausschuss bin. Ganz konkret ist der Verband an Veränderungen von Verwaltungsvorschriften im Rahmen des Programms “Soziale Stadt” interessiert. In dem Gespräch habe ich diese Forderungen ganz konkret wahrgenommen. Ich habe dann mit dem entsprechenden Berichterstatter im Umweltausschuss gesprochen. Was am Ende dabei herauskommt, weiß ich noch nicht genau.

 

Lesen Sie auch den ersten und dritten Teil unseres Interviews mit den MdB-Neulingen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Die andere Perspektive. Das Heft können Sie hier bestellen.