"Die Treffen mit Freunden werden rarer"

Interview

[no-lexicon]p&k: Nicht nur die vielen Interessenvertreter sind typisch für das politische Berlin, es gibt auch zahllose Journalisten. Das Mediengeschäft in der Hauptstadt folgt dabei ganz eigenen Regeln. Herr Diaby, wissen Sie, was “unter drei” heißt?

Karamba Diaby: Nein.

Frau Giousouf, Frau Verlinden, ist Ihnen das geläufig?

Cemile Giousouf: Es gibt unterschiedliche Geheimhaltungsstufen, das ist eine davon.

Julia Verlinden: Wenn dieses Gespräch “unter drei” wäre, wäre das schade.

Diaby: Ich höre das zum ersten Mal. Können Sie mich bitte aufklären?

“Unter drei” bedeutet, dass ein Gespräch zwischen Politikern und Journalisten vertraulich ist und das Gesagte nur als Hintergrundinformation gedacht ist, aber nicht zitiert werden darf.

Diaby: Es hat mich noch niemand angesprochen, dass er mit mir “unter drei” reden will. Aber dass es einen solchen Code gibt, finde ich gut.

Wie haben Sie sich an die Hauptstadtpresse herangetastet? Haben Sie ein Medientraining gemacht?

Giousouf: Nein, ich nicht.

Verlinden: Wir hatten eine kurze Einführung in die verschiedenen Arbeitsbereiche der Fraktion, und da war auch die Pressestelle dabei und hat uns ein paar grundsätzliche Tipps gegeben. Dann habe ich mich mit anderen Abgeordneten zusammengetan und ein eintägiges Medientraining gebucht. Immerhin.

Diaby: Ich hatte für den Wahlkampf ein fünftägiges Training bei der Parteischule der SPD. Dort haben wir unter anderem gelernt, kurze Statements abzugeben. Aber ein richtiges Medientraining war das nicht. In den vergangenen zwanzig Jahren hat mich die Presse aber immer wieder angesprochen und daher denke ich, dass ich ein bisschen vorbereitet war.

Nun ist die Hauptstadtpresse ja dafür bekannt, auch mal etwas forscher vorzugehen. Die Frage an Sie alle: Haben Sie eine Interview-Aussage schon mal bereut?

Giousouf: Nein. Ich bitte immer darum, dass mir meine Zitate noch einmal vorgelegt werden, und das funktioniert eigentlich ganz gut.

Diaby: Mir fällt da eine Geschichte ein, die aber nur indirekt mit Zitaten zu tun hatte. Als der Medienrummel um meine Kandidatur angefangen hat, gab es einen “Spiegel”-Artikel mit der Überschrift “Ein Schwarzer kandidiert in der Hochburg der Nazis”. Im Interview hatten wir aber gar nicht über die “Hochburg der Nazis” gesprochen, sondern darüber, dass es toll ist, dass ich in Halle aufgestellt wurde. Und dann kam diese Überschrift, das hat mich sehr geärgert. Bereut habe ich es am Ende aber nicht, denn die Schlagzeile hatte den Effekt, dass die Weltöffentlichkeit auf Halle aufmerksam wurde. Die “New York Times” hat mich am 1. Mai zu einer Massenansammlung begleitet, wohl um darüber zu berichten, wie die Nazis mich verprügeln.

Giousouf: Aber das ist doch nicht passiert, oder?

Diaby: Nein, im Gegenteil: Ich habe Gewerkschaften, Vereine, Verbände getroffen und alle haben wir uns umarmt. Das war nicht gespielt. Man kann ja nicht eine ganze Stadt inszenieren.

Zurück zur Ausgangsfrage: Sie alle lassen sich sämtliche Aussagen, die Sie vor Journalisten treffen, schriftlich vorlegen?

Verlinden: Wenn sie wortwörtlich zitiert werden sollen, ja.

Diaby: Ja, Zitate werden autorisiert.

Ist das schlechten Erfahrungen geschuldet? Eigentlich sollte man doch von der Sorgfaltspflicht der Journalisten ausgehen. Warum diese Absicherung?

Verlinden: Es kann einem schon passieren, dass man eine halbe Stunde redet und dann ein Satz daraus zitiert wird, der am wenigsten die Quintessenz dieser halben Stunde ist.

Ist Ihnen das passiert?

Verlinden: So direkt nicht. Aber ich merke schon, dass Journalisten bei den sehr komplexen Themen, über die ich rede, dazu neigen, Aussagen zu verkürzen. Das liegt auch daran, dass sie viel Stress und wenig Platz haben. Und dann kann schon einmal unabsichtlich etwas schiefgehen. Deshalb finde ich es gut, wenn man nochmal die Gelegenheit hat, Zitate freizugeben.

Diaby: Es wurde mir empfohlen, mir Zitate noch einmal zur Freigabe vorlegen zu lassen. Es ist auch schon vorgekommen, dass ich klarstellen musste, dass ich eine Aussage so nicht gemeint hatte. Das muss erlaubt sein.

Sie alle drei sitzen erst seit einem Jahr im Bundestag. Dort gibt es Kollegen, die wesentlich etablierter sind als Sie. Wie schaffen Sie es, sich medial Gehör zu verschaffen?

Giousouf: Es ist natürlich wichtig, medial präsent zu sein. Meine Hauptpriorität ist aber, bei meinen Themen konkrete Dinge umzusetzen. Als Integrationsbeauftragte bekomme ich tatsächlich viele Anfragen. Bei den Themen gesellschaftlicher Zusammenhalt, Terrorismus oder IS interessiert die Journalisten, was die muslimische Abgeordnete der Unions-Fraktion darüber denkt. Insofern habe ich nicht die Sorge, medial nicht mehr vorzukommen.

Herr Diaby, Frau Verlinden, müssen Sie sich an Journalisten wenden oder kommen die auf Sie zu?

Diaby: Im Wahlkreis schicke ich Pressemitteilungen an die Journalisten, aber in Berlin war es bis jetzt immer so, dass die Medien auf mich zugekommen sind.

Verlinden: Ich habe von Anfang an versucht, die Journalisten, die für das Thema Energiepolitik zuständig sind, kennenzulernen. Ich bin auch noch nicht fertig mit meiner Liste. Es ist wichtig, dass man voneinander weiß. Manchmal kommt es dann vor, dass mein Mitarbeiter Journalisten anruft und fragt, ob sie ein Zitat wollen. Umgekehrt kommen manchmal Journalisten mit einem Vorschlag der Bundesregierung auf uns zu und fragen: “Was sagt ihr denn dazu?” Solche Anfragen kommen dann drei Minuten, nachdem wir von dem Vorschlag der Regierung erfahren haben – und der ist vielleicht Hunderte Seiten lang.

Wie reagieren Sie in solchen Fällen?

Verlinden: Man kann ja sagen: “Ich rufe gleich zurück.” Die einzige Chance ist dann, sich in kürzester Zeit einen Überblick zu verschaffen und sich zu positionieren. Aber dieses schnelllebige Geschäft ist wirklich gewöhnungsbedürftig. Ich bin ja vorher in der Wissenschaft gewesen und finde es schön, wenn man Sachen in Ruhe diskutiert und das Für und Wider abwägt. Aber ich kann auch die Journalisten verstehen, die sofort darüber schreiben müssen und deshalb keine Zeit haben.

Haben Sie manchmal das Gefühl, dass eine Recherche nicht ergebnisoffen ist und Sie nur angefragt werden, um ein erwartbares Zitat für einen fertigen Artikel abzuliefern?

Verlinden: Ich hatte einmal dieses Gefühl. Ich wurde immer wieder dasselbe gefragt, weil ich offenbar noch nicht genau das gesagt hatte, was der Journalist hören wollte. Aber das ist die Ausnahme.

Frau Giousouf, in dem Interview, das wir kurz nach der Bundestagswahl mit Ihnen geführt haben, haben Sie erzählt, dass die türkischen Medien direkt nach der Wahl ein sehr großes Interesse an Ihnen hatten. Ist dieses Interesse denn ein Jahr nach der Wahl noch vorhanden?

Giousouf: Ja, das Interesse ist weiterhin wahnsinnig groß. Als erste muslimische Bundestagsabgeordnete der CDU bin ich international auf viel Aufmerksamkeit gestoßen. Das war auch ein Glück für meinen Wahlkreis. Es kamen ganz viele Besucher nach Hagen, sogar aus Japan. Für türkische Medien schreibe ich mittlerweile regelmäßig Kolumnen. Wir geben außerdem sehr viele Pressemitteilungen heraus, sowohl für den Wahlkreis als auch hier in Berlin.

Ziehen wir Bilanz: Sie sitzen seit einem Jahr im Bundestag. Haben Sie an sich selbst oder haben andere an Ihnen Veränderungen festgestellt?

Verlinden: Ganz praktisch merke ich, dass ich sehr viel weniger schlafe. Aber ob sich das auf andere Dinge auswirkt, weiß ich nicht (lacht).

Diaby: Die Treffen mit Freunden werden rarer. Das macht mir Sorgen, weil es ein Leben nach dem Bundestag gibt. Allerdings beobachte ich, dass Freunde von sich aus ein bisschen zurückhaltender werden. Die sagen – oder denken – schon mal: “Naja, er hat sowieso keine Zeit.”

Giousouf: Freunde zu treffen ist echt zum Luxus geworden. Aber ich vertraue darauf, dass der harte Kern am Ende bestehen bleibt. Es ist schon traurig, wenn Freundinnen Kinder bekommen und man die dann gar nicht oder einmal zur Geburt und dann erst wieder zum zweiten Geburtstag sieht.

Frau Verlinden, wir haben in einem Artikel gelesen, dass Sie nach Ihrer Wahl in den Bundestag Ihrem Mann einen Offline-Tag pro Monat versprochen haben. Sind Sie an allen anderen Tagen rund um die Uhr erreichbar?

Verlinden: Nein. Ich finde es wichtig, dass es auch eine Phase gibt, in der man merkt, dass sich die Welt auch dann weiterdreht, wenn man sich mal für einen Tag ausklinkt. Die Idee mit dem Offline-Tag kam auf, als ich sogar am Wochenende am Frühstückstisch mit meinem Smartphone saß. Da habe ich gemerkt, dass das nicht gerade die zukunftsfähigste Art der Kommunikation mit meinem Mann ist.

Reden wir über Erfolge: Worauf sind Sie nach einem Jahr Abgeordnetendasein besonders stolz?

Verlinden: Ich habe mich sehr gefreut, dass es uns gelungen ist, fraktionsübergreifend einen “Parlamentskreis Energieeffizienz” ins Leben zu rufen. Das ist schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung.

Diaby: In Bezug auf mein Team habe ich mich gefreut, dass es uns schnell gelungen ist, gut zu funktionieren. Das erleichtert meine Arbeit sehr.

Giousouf: Wir haben Themen im Parlament verabschiedet, die mir am Herzen lagen, wie beispielsweise die doppelte Staatsbürgerschaft oder die Fortsetzung der Deutschen Islamkonferenz, die der Innenminister 2006 ins Leben gerufen hatte.

Zum Schluss ein kurzes Gedankenspiel: Was würden Sie anders machen, wenn Sie noch einmal neu starten könnten?

Diaby: Ich habe Wochen gebraucht, um alle Räumlichkeiten zu finden. Ich würde jedem empfehlen, zwei Schnuppertage zu machen wie Frau Verlinden.

Giousouf: Das finde ich auch eine gute Idee, vorher so eine Art Praktikum zu machen.

 

Lesen Sie auch den ersten und zweiten Teil unseres Interviews mit den MdB-Neulingen.[/no-lexicon]

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Die andere Perspektive. Das Heft können Sie hier bestellen.