„Sie sind ein Arschloch :)“ – Das antwortete CDU-Generalsekretär Peter Tauber Anfang des Jahres einem Dauernörgler auf seiner Facebook-Seite. Seine Reaktion führte zu einer tagelangen Diskussion: Auch Parteifreunde kritisierten dieses Verhalten. Dürfen und sollten Politiker in sozialen Netzwerken emotional auftreten?
Der Ausdruck „Arschloch“ wurde 1984 in die politische Debatte eingeführt. Damals sagte Joschka Fischer im Bundestag: „Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!“ Diese Wendung gilt seither als geflügeltes Wort und lässt viele Menschen unmittelbar an Grünen-Politiker Joschka Fischer denken. Das zeigt: Emotionale Aussagen und Handlungen, wie Brandts Kniefall in Warschau, können langfristig mit einem Politiker verbunden werden. Sie helfen, Themen zu transportieren und unterstreichen Argumente. Sie sorgen mit dafür, dass komplexe und kaum beachtete Themen in die Öffentlichkeit getragen und wahrgenommen werden.
Auch Peter Tauber hat mit seinem Kommentar die Debatte über Diskussionskultur im Netz, Hatespeech und den Umgang mit Trollen neu entfacht. Dafür ist ihm zu danken. Ich bin dafür, dass Politiker Emotionen sowohl in der analogen als auch in der digitalen Welt ausleben. Es gibt kaum Schlimmeres als eine blutleere, rein rationale Kommunikation und einen emotionslos bespielten Account in sozialen Netzwerken.
Illustration: Marcel Franke
Seit Jahren beklagen sich viele Bürger darüber, dass es früher mehr kantige Politiker, richtige Typen und markante Redner gegeben habe. Das politische Personal von heute erscheint vielen als glatt gelutscht, als abgeschliffenes Produkt von Auftrittscoachs. Social Media dagegen leben von Personen, Positionen und Emotionen. Ein sachlicher Text wird meist weniger wahrgenommen als ein persönliches, pointiertes Statement oder ein emotional vorgetragener Standpunkt. Erfolgreich sind jene Politiker und Institutionen, denen es gelingt, Themen emotional aufzubereiten. Emotionen dürfen aber immer nur das Transportmittel der Botschaft sein – nie die Botschaft selbst.
Dass das nicht immer einfach ist, beweisen tausende gelöschte Politiker-Tweets und missratene Facebook-Postings. Da unüberlegte emotionale Ausraster in sozialen Netzwerken im Extremfall zu Rücktritten führen können, rate ich erregten Politiker dringend: Atmen Sie vor dem Absenden eines Tweets, Snaps oder Instagram-Fotos kurz durch, lassen Sie das Posting ein paar Minuten liegen und senden Sie es nur dann ab, wenn es sich danach immer noch richtig anfühlt. Kommunikation im Affekt kann schiefgehen!
Prinzipiell eignen sich sowohl positive als auch negative Emotionen für die politische Kommunikation. Entscheidend sind dabei die eigene Kommunikationsstrategie und das Selbstbild einer Person oder Organisation. Ein Beispiel: Die AfD ist eine Protestpartei, die Ängste und Wut schürt, um sich von den im Parlament vertretenen Parteien abzugrenzen und diese als außerparlamentarische Opposition anzugreifen. Aus diesem Grund erzeugen sehr viele Facebook-Postings der Partei und ihrer Protagonisten eine wütende, teils menschenverachtende und furchterregende Grundemotion. Mit dieser auf Emotionen setzenden Kommunikationsstrategie hat die Partei aktuell sehr viel Erfolg, vergleicht man ihre Social-Media-Reichweiten und Interaktionsraten mit denen anderer Parteien. Mit einer auf Freude basierenden Kommunikation würde die AfD wohl scheitern, denn sie würde überhaupt nicht zum Charakter der von Wutbürgern getragenen Partei passen.
Regierungsparteien und -mitglieder können nicht im selben Maß auf den gesamten emotionalen Kanon zurückgreifen, da von ihnen ein positiver Kommunikationsansatz erwartet wird. Und auch sie selbst haben ein Interesse daran, mit positiven Themen wahrgenommen zu werden. Nichtsdestotrotz können auch sie Traurigkeit (Terrorattacken auf Paris, Tod von David Bowie) oder Wut (Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, sexuelle Übergriffe in der Kölner Silvesternacht) gezielt einsetzen, um eigene Positionen zu unterstreichen und in die Öffentlichkeit zu tragen.
Bei der Analyse der Social-Media-Kommunikation von politischen Akteuren fällt auf, dass viele Emotionen strategisch einsetzen. Nur in den wenigsten Fällen wirken Tweets und Postings wirklich wie im Affekt gesendet. Das halte ich aus den genannten Gründen auch nicht für falsch. Emotionen können auch mit klarem Kopf verfasst werden. Dabei müssen politische Kommunikatoren aber aufpassen, dass sich eine oft eingesetzte Emotion nicht mit der Zeit abnutzt. Oder, noch schlimmer, von den Empfängern nur als Stilmittel empfunden wird.
Zudem würde vielen Debatten aus meiner Sicht etwas emotionale Abrüstung guttun. Viele Facebook-Nutzer sehen das ähnlich. Laut einer aktuellen Umfrage des Munich Digital Institute haben 70 Prozent der deutschen Nutzer in den vergangenen Monaten eine Zunahme von Emotionen und Aggressionen in dem sozialen Netzwerk wahrgenommen. Das führt wiederum dazu, dass knapp die Hälfte der Befragten in Zukunft weniger kommentieren will.
Quelle: Munich Digital Institute
Dennoch bin ich der Meinung, dass der im Affekt entstandene Kommentar von Peter Tauber richtig war. Nachdem er lange Zeit sachlich auf Kommentare reagiert hatte, überraschte er mit einem emotionalen Ausbruch und machte so auf das Problem herabwürdigender Beleidigungen gegenüber Politikern auf Facebook aufmerksam. Seine unzähligen sachlichen Kommentare hatten zuvor weder die Hater zufriedengestellt noch wurden sie in der Öffentlichkeit als Diskurs wahrgenommen. Seine Kritiker hat er mit seiner Reaktion nicht umstimmen können, aber seine Unterstützer versammelten sich nach dem Kommentar hinter ihm und in der Debatte wurde seine Stimme daraufhin umso lauter gehört. Fazit: Emotionen gehören zu Social Media wie der Zwischenruf zum Bundestag.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation I/2016 Emotionen. Das Heft können Sie hier bestellen.