Die Uhr tickt

Die Erwartungen an das Treffen des Koalitionsausschusses Ende Januar waren groß, umso ernüchternder fielen die Ergebnisse aus – nur zwei konkrete Beschlüsse fassten die Spitzen von Union und FDP: Contergan-Geschädigte erhalten künftig zusätzliche finanzielle Unterstützung und am 22. September soll der neue Bundestag gewählt werden. Immerhin der Wahltermin steht nun also fest.
Viel Zeit bleibt den Koalitionären freilich nicht mehr, um noch Gesetzesvorhaben auf den Weg zu bringen. Nimmt man den üblichen Gesetzgebungszyklus als Maßstab, so muss Schwarz-Gelb bis Mitte März Gesetzesinitiativen beschließen, damit diese in der laufenden Legislaturperiode verabschiedet werden können. Gelingt dies nicht, so greift das Diskontinuitätsprinzip, was bedeutet, dass das Gesetzgebungsverfahren in der folgenden Legislaturperiode neu beginnt.

Zankapfel Energiewende

Laut Stefan Müller, Parlamentarischer Geschäftsführer der CSU im Bundestag, will die Koalition vor allem die Themen Energie, Euro, Regulierung der Finanzmärkte und Sozialpolitik in den Mittelpunkt ihres Handelns stellen. Derzeit dominiert vor allem die Debatte um eine Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) die politische Agenda. Ob es jedoch bis zur Wahl im September noch zu einer umfassenden EEG-Novelle kommt, scheint fraglich. Selbst Umweltminister Peter Altmaier (CDU) ließ bereits durchklingen, dass er daran zweifelt. Erschwerend hinzu kommt in dieser Frage der seit Monaten schwelende Konflikt um die Kompetenzhoheit zwischen Altmaier und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP).
Doch nicht nur interne Streitigkeiten erschweren das Regierungshandeln, sondern auch die neuen Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Seit der Niedersachsen-Wahl verfügen SPD, Grüne und Linkspartei in der Länderkammer über eine Mehrheit. Die Folge: Die christlich-liberale Koalition ist stärker als bisher auf Kompromisse mit der Opposition angewiesen. Auch bereits eingebrachte zustimmungspflichtige Gesetzesentwürfe (siehe Übersicht) könnten noch scheitern. Im Fall des auch innerhalb der Koalition sehr umstrittenen Betreuungsgeldes hat SPD-Chef Sigmar Gabriel bereits angekündigt, das Gesetz wieder rückgängig machen zu wollen. Droht also ein

Stillstand in der Gesetzgebung?

Nach Ansicht des Politologen Ulrich von Alemann von der Universität Düsseldorf besteht diese Gefahr nicht: „Ein durchgehendes Abstimmen nach Lagern hat es im Bundesrat fast nie gegeben, die Eigeninteressen der Länder sind hier wichtiger.“ Zudem würden die Bürger – gerade mit Blick auf die Bundestagswahl – eine rein destruktive Politik der Opposition nicht gutheißen.

Selbstkritische Bilanz

Wegweisende Gesetzesinitiativen erwartet von Alemann in dieser Legislaturperiode dennoch nicht mehr. Der Grund ist wieder einmal der Dissens zwischen den Koalitionspartnern in gleich mehreren Punkten: So leistet etwa die CSU Widerstand gegen das Konzept der Lebensleistungsrente von Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU). Die FDP hingegen sperrt sich hartnäckig gegen einen allgemeinverbindlichen Mindestlohn und die Vorratsdatenspeicherung. Für die internen Dauerfehden hat Stefan Müller eine Erklärung parat: Der Koalitionsvertrag sei zu schnell ausgearbeitet worden. „Vor allem der Vorratsdatenspeicherung und dem Betreuungsgeld hätten klarere Bekenntnisse gut getan“, so Müller. „Sollte es zu einer Wiederauflage von Schwarz-Gelb kommen, müssen wir uns mehr Zeit nehmen, den Koalitionsvertrag auszuhandeln.“
Selbstkritische Töne also. Zur Bewertung der bisherigen Arbeit der selbsterklärten „Wunschkoalition“ reicht es jedoch nicht aus, den Koalitionsvertrag heranzuziehen. Äußere Ereignisse wie die Euro-Krise und die Katastrophe von Fukushima haben das Regierungshandeln maßgeblich bestimmt. Drei Punkte der schwarz-gelben Regierung werden in die Geschichtsbücher eingehen, meint von Alemann: „Der Ausstieg aus der Atom­energie, der Abschied von der Wehrpflicht und das anerkannte Handling der Schuldenkrise durch Angela Merkel.“ Positiv ins Gewicht fallen der Rückgang der Arbeitslosigkeit und das steigende Wirtschaftswachstum. Demgegenüber stehen das nicht eingelöste Versprechen von Steuersenkungen, das Scheitern des Wahlrechts und fehlende Impulse in der Gesellschafts- und Sozialpolitik. Viel Zeit für Korrekturen bleibt der Regierung nicht mehr. Die Uhr tickt.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Die Kanzlermacher – Zu Besuch in Deutschlands Wahlkampfagenturen. Das Heft können Sie hier bestellen.