„Der Regierung ist Transparenz nicht wichtig genug“

p&k: Frau Domscheit-Berg, die Bundesregierung zögert, an der internationalen Open-Government-Partnerschaft teilzunehmen, die darauf abzielt, Bürgern den Zugang zu staatlichen Daten zu ermöglichen. Warum?
Anke Domscheit-Berg: Die Frage stellt sich in der Tat. Unter den 46 beteiligten Staaten sind auch viele weniger entwickelte Länder. Dass die etwas tun können, wozu wir nicht bereit sind, zeigt, dass der Bundesregierung das Thema nicht wichtig genug ist.
Das Bundesinnenministerium verweist auf sein Regierungsprogramm „Vernetzte und transparente Verwaltung“, das Staat und Verwaltung vereinfachen und modernisieren soll. Reicht das nicht aus?
Öffentlich-private Partnerschaften arbeiten gut mit den Behörden zusammen. Deutsche NGOs haben zum Beispiel die Initiative „Apps für Deutschland“ mit Unterstützung des Bundesinnenministeriums ins Leben gerufen. Der Geist des Regierungsprogramms unterscheidet sich jedoch von der Open-Government-Initiative. Das Thema Informationsfreiheit kommt dort in einem über 60-seitigen Dokument nur marginal vor.
Was macht die Open-Government-Initiative anders?
In der Open-Government-Deklaration geht es um eine Veränderung der Kultur. Offenheit und Transparenz müssen der neue Standard werden, die Zivilgesellschaft ist dabei stark einzubinden, klare Ziele sind zu definieren und öffentlich zu überprüfen.
Bietet das Programm des Innenministeriums diese Transparenz nicht?
Nein, bei diesem Programm gibt es wenig konkrete Vorhaben, der Fokus liegt auf Zweckmäßigkeit und wirtschaftlichem Nutzen. Demokratische Aspekte und das Recht der Bürger auf Zugang zu Informationen und Entscheidungen kommen nicht als Ziel vor. Aber ich will das Programm nicht runterreden, immerhin steht überhaupt etwas zu Open Government drin. Trotzdem kommt es zu kurz. Das Thema braucht eine andere Relevanz.
Daher auch ihr Vorschlag einer Kanzlerinnen-Initiative zur Koordination der deutschen Open-Government-Projekte?
Genau. In Deutschland treiben bislang NGOs und Bürger den Prozess voran. Die Open-Government-Partnerschaft ist dagegen eine „top-down“-getriebene Initiative: Weltweit entwickeln Regierungen Strategien gemeinsam mit der Zivilgesellschaft. Dafür fehlt in Deutschland die Unterstützung der Kanzlerin. Open Government muss ein Querschnittsthema werden. Wir müssen die Art überdenken, wie wir Politik und Verwaltung gestalten.
Welches Land sehen sie als Vorbild in Sachen Transparenz?
England hat schon lange ein hervorragendes Open-Data-Portal. Die Engländer hatten auch sehr früh Projekte, in denen Bürger Vorschläge einbringen konnten, um die Verwaltung zu verbessern. Hier in Deutschland empfände man solche Ratschläge eher als Kritik.
Erkennen Sie in Deutschland trotzdem Fortschritte?
Auf jeden Fall. Die Zivilgesellschaft organisiert viele Aktionen. Daran sind NGOs wie das Open-Data-Netzwerk oder das Government-2.0-Netzwerk beteiligt. Außerdem nimmt der internationale Druck zu. Wenn 46 Länder, darunter auch Spanien, Großbritannien und die Niederlande, bei der Open-Government-Partnerschaft mitmachen, kann sich Deutschland auf Dauer nicht ausklinken.
Fällt Ihnen ein Beispiel für eine gelungene zivilgesellschaftliche Aktion ein?
In Hamburg entwickeln derzeit drei NGOs, darunter Transparency International, ein gemeinsames Anti-Korruptionsgesetz in einem offenen „Wiki“. Wir müssen davon wegkommen, dass Referenten Gesetze im Hinterzimmer schreiben. Der Prozess muss offen werden: Kompetente Bürger und NGOs sollten sich an der Entstehung eines Gesetzentwurfs beteiligen können. Das ist auch eine der Forderungen der Piratenpartei.
Sind die Piraten auch für Sie als Mitglied der Grünen attraktiv?
Beim Thema Open Government gibt es viele Überschneidungen. Aber bei meinem zweiten Kernthema, der Gleichberechtigung der Geschlechter, sind die Grünen den Piraten noch um einiges voraus.
Sehen Sie für die Piratenpartei eine Zukunft auf Bundesebene?
Ja. Ich denke nicht, dass die anderen Parteien es schaffen, die Piraten überflüssig zu machen. Man darf die Piratenpartei auch nicht auf das Thema Internet reduzieren, der links-liberale Anspruch auf Gleichberechtigung zieht sich wie ein roter Faden durch ihre Politik. Ein bemerkenswertes Novum ist, dass die Partei den Mut hat zuzugeben, nicht für alles eine Lösung parat zu haben.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe SPD – Eine Partei baut sich um. Das Heft können Sie hier bestellen.