Bundestagsdiät

Ernährung

Herr Dr. Dotzauer, wenn man auf Instagram #SöderIsst eintippt, erhält man eine kulinarische Auswahl des bayerischen Ministerpräsidenten, der offenbar gern Gulaschsuppe und Schweinenackensteaks isst. Ist das gesund?

In Bildern gesprochen, hat Fleisch heutzutage zwei kleine Teufelshörnchen. Ich lasse an dieser Stelle den Umweltaspekt außen vor und spreche nur über die individuelle Gesundheit. Es wird schon sehr viel Panik verbreitet. Die Kalorien aus fettigem Fleisch mit viel Sauce und Nudeln sättigen nur kurz.  Klar erscheint es manchmal so, dass vor allem übergewichtige Menschen immer zur Bratwurst greifen. Aber es ist nicht der Fleischanteil, der die Gewichtsprobleme verursacht. Vielmehr kommt es zu einer Energievergiftung: Zu viel Energie plus zu viel Körperfett.

Vergiftung ist ein starkes Wort dafür. Ist Energie wirklich so schädlich?

Wirklich schädlich am Fleischkonsum sind sonst nur verbrannte Stellen oder Transfette.  Zudem mangelt es an Mikronährstoffen aus den Pflanzen und Ballaststoffen, was in der Summe zum Beispiel zu einem erhöhten Darmkrebsrisiko führt. Kombiniert man stattdessen Fleisch mit Gemüse, zum Beispiel Rindersteak mit Brokkoli, interagieren diese Lebensmittel nachweislich. Pflanzenstoffe machen ungesunde Stoffe aus dem Fleisch teilweise unschädlich. Das wird häufig übersehen, dabei ist es für viele sicherlich eine angenehmere Lösung, Gemüse zu ergänzen, statt ganz auf Fleisch zu verzichten.

Dominik Dotzauer ist privater Gesundheitsberater. Er hilft Menschen, ihr Essverhalten in gesündere Bahnen zu lenken. Dabei setzt der Ernährungsexperte auf motivierende Routinen statt einengende Verbote. Er hat am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) zum Thema „Psychologie der Ver-änderung“ promoviert. (c) Pascal Glang
Dominik Dotzauer ist privater Gesundheitsberater Er hilft Menschen ihr Essverhalten in gesündere Bahnen zu lenken Dabei setzt der Ernährungsexperte auf motivierende Routinen statt einengende Verbote Er hat am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf UKE zum Thema Psychologie der Ver änderung promoviert c Pascal Glang

 

Gerhard Schröders Hommage an die Currywurst als „Kraftriegel der Facharbeiter“ ist aus Sicht der Ernährungsmedizin also eher mit Vorsicht zu genießen.

(lacht) Naja, die Currywurst liefert schon Energie, aber eben zu viel.

Wie sieht eigentlich der Kraftriegel des Veganers aus?

Meistens fehlt es hier an Eiweiß. Viele essen auch nicht automatisch genug Gemüse, nur weil sie auf tierische Produkte verzichten. Es lohnt sich auch hier, auf Eiweiß und Gemüse zu setzen. Mit einem stabilen Blutzuckerspiegel können Sie sich in Diskussionen besser konzentrieren. Konkrete Eiweiß-Quellen sind Hülsenfrüchte und Sojaprodukte. Aus Tofu, Tempeh und Sojajoghurt sowie Pflanzenpulver kann man auch gute Smoothies machen.

In der Politik gibt es eine hohe Schlagzahl. Essen und Stress sind keine gute Kombination, oder?

Bei manchen Menschen führt Stress dazu, dass sie gar nichts mehr essen können. Andere müssen in Stresssituationen dagegen sofort zum Essen greifen, um sich zu beruhigen. Das ist kein Anzeichen von Schwäche, sondern eine körperliche Reaktion, die wahrscheinlich mit dem Leptinspiegel zusammenhängt. Dieser bestimmt in unserem Körper den Grad des Sättigungsgefühls.

Wenn man zwischen zwei Terminen wieder zu wenig im Bauch hat: Gibt es schnelle Abhilfe?

Proteinriegel eigenen sich gut. Sie machen satt, passen in jede Tasche, schmecken den allermeisten und sind geruchsneutral.

Wie verhindere ich, überhaupt in diese Situation zu geraten?

Tatsächlich empfehle ich, sich möglichst wenig mit seinem Essen zu beschäftigen. Ich erkläre das gern am Beispiel von Barack Obama, der in seiner Zeit als US-Präsident fast immer dasselbe Anzugmodell getragen hat. Der Hintergrund ist, dass Spitzenpolitiker oder auch Top-Führungskräfte nicht selten selbst zu dem Punkt kommen, an dem sie bemerken, dass die eigene Willenskraft begrenzt ist. Es ist sinnvoller, die vorhandene Kapazität zu nutzen, in wichtigen Situationen schnell reagieren zu können, weil damit oft eine große Verantwortung verbunden ist. Es ist nicht ratsam, sich zusätzlich noch um Dinge wie die eigene Essensplanung zu kümmern. Die politische Arbeit könnte darunter leiden.

Wie hat Obama das gelöst?

Über Obama ist bekannt, dass er tägliche Routinen entwickelt hat. Der Trick dabei ist, für die Gesundheit oder das Abnehmen relevante Verhaltensweisen einzubauen, um diese automatisch und ohne zusätzliches Nachzudenken zu befolgen. Im besten Fall schafft man sich dazu mithilfe seiner Mitarbeiter ein Umfeld, das Fehler bei der Ernährung erschwert. Also lieber Disziplin und Willenskraft durch feste Routinen sparen, statt beim Essen über jeden Bissen grübeln zu müssen. Das kostet zu viel Kraft.

Was ist aus wissenschaftlicher Sicht ein gesundes Frühstück?

Es kommt darauf an, ob ein Frühstück für die jeweilige Person überhaupt sinnvoll ist. Die Ernährungsmedizin weiß mittlerweile, dass der Mensch nicht unbedingt zu einer bestimmten Zeit essen muss. Man kann essen, wenn es gut in den Tagesablauf passt. Aber bitte nicht dazu zwingen. Es gibt Menschen, laut Studienlage tendenziell eher Männer als Frauen, die sehr gut ohne Frühstück in den Tag starten können.  Wer jedoch weiß, dass er im Laufe des Vormittags Hunger bekommen und womöglich die Kontrolle darüber verlieren wird, sollte ein Frühstück einplanen.

Welches Essen bereitet den Körper auf einen anstrengenden Tag vor?

Wie gesagt, ich rate davon ab, nur zu frühstücken, weil man traditionelle Ernährungsregeln befolgen will. Wer dagegen ein Frühstück braucht, um leistungsfähig zu sein, dem empfehle ich morgens eine eiweißreiche Mahlzeit. Es gilt, einen Kompromiss zwischen favorisierten und sehr eiweißreichen Lebensmitteln zu finden. Dazu bestenfalls Gemüse.

Gemüse zum Frühstück?

Das mag im ersten Moment seltsam klingen, ist in Form eines Omeletts aber leicht umzusetzen. Gemüse liefert dem Körper wichtige Mikronähstoffe und vor allem Ballaststoffe, die helfen, länger satt zu bleiben. Es geht dabei aber nicht um Perfektion. Mehr Eiweiß zum Frühstück ist für viele schon ein großer Schritt, um den Blutzuckerspiegel zu stabilisieren und dadurch Heißhungerattacken vermeiden zu können.

Ist es ratsam, gleich zum Start in den Tag eine größere Menge Wasser zu trinken?

Unser Körper ist sehr gut im Regulieren. Es ist schon richtig, etwas zu trinken, wenn man durstig ist. Dahinter steckt aber auch keine Magie. Statt darauf zu achten, wie viele Liter Wasser man täglich trinkt, sollte man einfach so viel trinken, dass man vier bis fünfmal täglich aufs Klo muss. Damit erreicht man die Menge Flüssigkeit, die für den Körper und die äußeren Umstände ausreichend ist.

Worin liegt eigentlich der Unterschied zwischen Hunger und Appetit?

Die Begriffe werden gern verwechselt. Der körperliche Hunger ist tatsächlich das Signal, dass der Organismus Nährstoffe braucht. Hunger ist ein länger anhaltendes Gefühl. Selbst wenn man es für 30 Minuten ignoriert, verschwindet es nicht. Das ist auch der Trick, um Appetit und Hunger praktisch unterscheiden zu können. Um herauszufinden, warum man immer wieder zu viel isst, muss man die wahren Ursachen dafür herausfinden. Oft greifen Menschen nicht aus körperlichem Hunger zum Essen, sondern aus emotionalem Hunger oder der bloßen Verfügbarkeit heraus.

Wie kann man beim Mittagessen in der Kantine vermeiden, zu viel Energie aufzunehmen?

Es wird heutzutage gern in gute und böse Lebensmittel eingeteilt. Dadurch wird oft gar nicht auf die Menge der Zutaten und deren Effekte auf den Körper geachtet. Salat ist gesund, wird aber gern mit üppigem Dressing serviert. Der positive Effekt der Mikronährstoffe verpufft durch die darin enthaltenen Kalorien. Stattdessen rate ich zu gedämpften Gemüse oder Rohkost und einer mageren Eiweißquelle als Vorspeise. Dazu eine Hauptspeise, die man auch wirklich genießen kann.

Zu welchen eiweißhaltigen Lebensmitteln raten Sie am Mittag?

Zum Beispiel Hähnchen. Da gibt es auch gute, fertig angebratene Varianten. Forellenfilets sind ebenfalls sehr gesund. Wer mag, kann vor dem Essen auch zu magerem Quark, Proteinpuddings oder Sojajoghurt greifen.

Gibt es eine Faustregel, wie viel Zeit man sich für eine Mahlzeit nehmen sollte?

Viele Ernährungsratschläge klingen zwar logisch, sind im stressigen Alltag aber meist kaum umsetzbar. Daher gilt es, schlaue Kompromisse zu finden, ohne sich eingeschränkt zu fühlen. Ich empfehle daher, die Mahlzeiten so in den Alltag zu integrieren, wie es passt. Es ist auch erlaubt, vor dem Bildschirm zu essen. Das ist sicher nicht optimal, aber solange die Zusammensetzung der Mahlzeit gesund ist, schadet man sich trotzdem nicht, auch wenn man nicht gänzlich bewusst und mit vollem Fokus isst.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach verzichtet beim Essen nach eigener Aussage weitestgehend auf Salz. Ist das ein sinnvoller Verzicht?

Herr Lauterbach ist zwar ein Kollege, aber ich würde davon abraten. Es gibt zwar salzsensitive Hypertoniker, die auf Salz mit einem erhöhten Blutdruck reagieren. In der Regel ist Salz in moderaten Mengen aber unproblematisch. Man sollte also an sich selbst beobachten und es im Zweifelsfall beim behandelnden Arzt kontrollieren lassen, wie man auf Salz reagiert. In den meisten Fällen ist die Lösung für zu hohen Blutdruck jedoch, Körperfett abzunehmen. Hilft man übergewichtigen Menschen beim Abnehmen, verschwindet meist auch der Bluthochdruck und Medikamente werden überflüssig. Das klingt enttäuschend simpel, aber erklärt auch, warum so viele Ernährungsformen gegen unsere Zivilisationserkrankungen helfen. Anstatt viele unwichtige Änderungen in der Ernährung vornehmen, sollte man lieber die ein, zwei entscheidenden Sachen angehen – wie mehr Gemüse in den Alltag zu integrieren – und ein entspannteres Verhältnis zum Essen entwickeln. Dann funktioniert auch nachhaltiges Abnehmen.

Wie steht es um den Nachtisch – ja oder nein?

Das ist für mich eine Frage des Preis-Leistungs-Verhältnisses. Was „kostet“ mich eine Nachspeise und wie sehr genieße ich sie? Es ist kein Problem, sich jeden Tag einen Nachtisch zu gönnen, wenn dafür an anderen Stellen in der Ernährung ungesunde Kalorien eingespart werden. Zum Beispiel, indem man auf zuckerhaltige Getränke verzichtet. Zucker ist nicht tödlich, aber viele Menschen nehmen davon am Tag zu viel zu sich. Wer unter 50 Gramm pro Tag bleibt, macht vieles richtig. Zur Einordnung: Eine 100-Gramm-Tafel Schokolade besteht in der Regel aus etwa 57 Gramm Zucker. Die interessante Frage lautet also nicht, ob man sich einen süßen Nachtisch leisten kann, sondern an welcher Stelle man dafür kürzer tritt.

Christian Lindner hat erzählt, dass er vor seiner Hochzeit durch Intervallfasten rund zwölf Kilogramm abgenommen hat. Ist Fasten eine praktikable Ernährungsweise für den stressigen Berufsalltag?

Die Stolperfalle beim Intervallfasten ist, dass man nur für eine gewisse Zeit nichts isst. Das heißt erstmal nicht viel mehr. Viele kombinieren mit dem Fasten aber eine bewusstere Auswahl der Lebensmittel: Mehr Eiweiß, mehr Gemüse – wir haben darüber gesprochen. Durch diese Kombination rutscht man schneller in ein Kaloriendefizit, nimmt ab und fühlt sich besser. Nur in seltenen Fällen reicht es aus, am Tag längere Essenspausen einzulegen und somit weniger Mahlzeiten zu sich zu nehmen.

In Konferenzräumen stehen gerne auch mal Kekse auf dem Tisch. Wie widersteht man dieser Verlockung?

Es gibt drei Gründe, warum der Mensch isst: Körperlicher Hunger, emotionales Essen – beispielsweise unter Stress – und Verfügbarkeit. Wenn auf dem Konferenztisch eine Schale Kekse steht, reagiert das Gehirn. Der entscheidende Punkt ist, die Kekse gar nicht erst zu sehen. Wenn ich eine Führungskraft bin, kann ich meine Referenten bitten, keine Süßigkeiten auf den Tisch zu stellen. Oft werden Kekse nur aus Gewohnheit oder Höflichkeit angeboten, obwohl man sie gar nicht essen will. Studien belegen: Die leichter verfügbaren, gesunden Lebensmittel werden nachweislich häufiger gekauft und konsumiert. Unsere Umwelt beeinflusst unser Verhalten. Das kann man auch dazu nutzen, um sich gesünder zu ernähren.

Oftmals tagt der Bundestag bis tief in die Nacht. Ist es ratsam, auch spät noch eine volle Mahlzeit zu essen?

Die Uhrzeit spielt tatsächlich nicht so eine entscheidende Rolle. Der Mythos „Schlank im Schlaf “ ist in den vergangenen Jahren durch Studien entkräftet worden. Oftmals fühlt man sich nach einer langen Tagung erschöpft und will sich belohnen. Das wäre dann ein Fall von emotionalem Essen. Es gilt im Einzelfall zu schauen, wie man sich für eine anstrengende Sitzung anders belohnen kann als mit Essen. Das ist vor allem für Menschen interessant, die nach einer späten Mahlzeit schlecht schlafen, obwohl genügend Zeit für einen erholsamen Schlaf zur Verfügung gestanden hätte.

Bei Abendveranstaltungen werden zur Begrüßung gern alkoholische Getränke wie Sekt gereicht. Die Alternative ist meist Orangensaft. Eine gute Alternative?

Trinken Sie, worauf Sie Lust haben. Sonst gerät man wieder in eine Entscheidungssituation, die Energie und Disziplin kostet. Für Menschen, die in einer Diät sind und abnehmen wollen, kann Alkohol allerdings den Nachteil haben, dass er enthemmend wirkt und man am Buffet die Fassung verliert. Außerdem schläft man nach Alkoholkonsum in der Regel schlechter, was wiederum den Appetit anregt. Generell ist der absolute Verzicht nicht nötig.

Welche Ratschläge haben Sie für den schnellen, gesunden Einkauf im Supermarkt, sei es auf einer Dienstreise oder zwischen zwei Meetings?

Wenn man Mitarbeiter hat, empfehle ich, das Essen nicht selbst zu kaufen. Es ist besser, diese Aufgabe auszulagern, um Stress zu reduzieren und Willenskraft zu sparen. Der Vorteil ist, dass man beim Einkauf keine „Fehler“ machen kann, weil man vielleicht aus Lust oder Frust zu ungesunden Lebensmitteln greift. Der Mitarbeiter muss beim Einkauf keiner Versuchung widerstehen, weil er nicht sein eigenes Essen kauft.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 140 – Thema: Anspruchsvoll. Das Heft können Sie hier bestellen.