Die jungen ­Wilden

Funk

Jung, bunt und dynamisch – so ließe sich das Con​tent-Netzwerk Funk beschreiben. In den vergangenen Wochen sind im Zusammenhang des Jugendangebots von ARD und ZDF aber andere Begriffe gefallen. Von „Entgleisung“ war die Rede – und von „gebührenfinanziertem Aktivismus“. Stefan Müller, parlamentarischer Geschäftsführer der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, möchte den Jugendsender sogar abschaffen. Die Aufregung war so groß, dass Funk die Instagram-Story, an der sie sich entzündet hatte, nach nur zwei Stunden löschte und sich dafür entschuldigte. Eigentlich sollte die Story nur Werbung für das neu hochgeladene Video zum Thema „Was ist rechts?“ sein. Darin werden politische Spektren erklärt, etwa was als rechts gilt und worin sich rechtsextreme Ansichten von konservativen unterscheiden.

Doch das Video selbst ist für die Politik eher zweitrangig. Stattdessen wird über die jungen Wilden im Journalismus diskutiert: Sind die alle links-grün? Ist das noch Journalismus oder schon Aktivismus? Und warum fließt ihre eigene Meinung so stark in ihre Arbeit ein?

Wolfgang Schweiger kennt diese Diskussion gut. Der Kommunikationsprofessor lehrt an der Universität Hohenheim mit besonderem Fokus auf interaktive Medien- und Onlinekommunikation. Die Funk-Formate verfolgt er schon lange. Die Aufregung darum kann er nur bedingt nachvollziehen. „Journalisten waren immer eher links, das bringt das Berufsbild mit sich“, sagt Schweiger. „Heute sind sie eher links-grün eingestellt – genauso wie ihre jungen Leser und Zuschauer.“

Die Zahlen: Laut einer Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen tendierten die 18- bis 29-Jährigen bei der Bundestagswahl 2021 am stärksten zu den Grünen, gefolgt von der FDP und SPD. Auch die Linke schnitt in Umfragen bei den jungen Wählern besser ab als bei den über 30-Jährigen.

Die persönliche Parteineigung spiegelt sich in der Mediennutzung wider. Das zeigt eine aktuelle, repräsentative Befragung des Instituts für Journalistik (IJ) der TU Dortmund in Zusammenarbeit mit Forsa. Soziale Netzwerke werden am intensivsten von FDP- und Grünen-Sympathisanten genutzt. SPD- und CDU-Anhänger schauen lieber Fernsehen und hören Radio, etwa vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR) wie ARD und ZDF.

Haben sich also vielleicht gar nicht die Journalisten geändert? Gehen sie einfach besser auf ihre Zielgruppe im Netz ein? „Das könnte man schon so sagen“, sagt Kommunikationsexperte Schweiger. „Gewissermaßen entsteht eine Filterblase.“ Bei klassischen Verlagen und Sendeanstalten wäre das kaum kritikwürdig. Die könnten sich eher freuen: Zielgruppe genau getroffen! Funk ist aber ein Angebot des ÖRR. Deshalb sieht Schweiger hier ein Problem: „Der ÖRR sollte alle verfassungskonformen Meinungen oder politischen Haltungen repräsentieren“, sagt er. „Funk fehlt es da an Formaten, die zum Beispiel eine konservativere Haltung zeigen.“

Aber auch konservativere Sendungen würden nicht alle Probleme lösen. Politiker wie Müller kritisieren Funk grundsätzlicher. Die Instagram-Story zum Thema „Rechts“ war da nur ein weiterer Tropfen im Fass. Auf Anfrage des Onlinemagazins Übermedien hat Müller begründet, warum er Funk abschaffen wolle: „Eine Besserung der journalistischen Standards ist nicht absehbar, womit die Einstellung der Funk-Formate unumgänglich ist.“ Auf eine Interviewanfrage von p&k antwortet Müller nicht.

Zuspitzung auf die Zielgruppe

Zweifel an der Qualität seiner Arbeit musste sich Funk schon häufiger anhören – auch aus den Reihen seiner Zielgruppe. So stand abseits der politischen Berichterstattung besonders das Format „Leeroy will’s wissen“ mehrfach in der Kritik. Der Moderator Leeroy Matata hatte in einem Video die Transfrau Hana Corrales und den baden-württembergischen AfD-Landtagsabgeordneten Ruben Rupp zum Gespräch gebeten. Rupp streute transfeindliche Vorurteile und nannte Unbelegtes als Fakten. Matata kommentierte kaum, nur selten wurden im Video Aussagen mit Einblendungen richtig eingeordnet. Erst nach einem Shitstorm arbeitete die Redaktion an ein paar Stellen nach. Die Vorwürfe richteten sich nicht nur an den Moderator – sondern auch an Funk. Wie könne man als ÖRR ein solches Video hochladen? Mittlerweile hat Matata die Zusammenarbeit mit Funk beendet.

Allgemeine Qualitätseinbußen beim Jugendformat von ARD und ZDF beobachtet Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) nicht. Die Politikerin war schon selbst zweimal zu Gast in der Funk-Talkshow „WorldWideWohnzimmer“ und wurde vom Team von „Die da oben“ por​trätiert. Ihr Fazit gegenüber p&k: „Junge Journalistinnen und Journalisten gehen einfach anders an Themen heran. Das macht die Berichterstattung weder pauschal schlechter noch besser.“ Qualitätseinbußen befürchtet sie eher bei journalistischen Formaten, die besonders schnell auf Ereignisse reagieren. „Die Zeit zur Recherche ist heute so knapp geworden, weil jedes Medienhaus als Erstes berichten will“, sagt sie. „Aber das betrifft alle Journalistinnen und Journalisten unabhängig vom Alter.“

Jungjournalisten rücken nach

Für die scharfe Kritik, die Funk-Formaten aus der Politik entgegenschlägt, hat Strack-Zimmermann wenig Verständnis. „Was wir sagen und tun, wird ständig beobachtet“, sagt die FDP-Politikerin. „Das ist die Aufgabe von Journalistinnen und Journalisten.“ Den Ursprung der Kritik, die besonders aus der Union kommt, sieht die Liberale woanders: „CDU, CSU und SPD haben sich, salopp gesagt, jahrelang in den Rundfunk​räten breitgemacht. Jetzt rücken junge Redakteurinnen und Redakteure nach, die sich davon nicht mehr beeindrucken lassen.“

Bei Funk gibt es aber eine Besonderheit. Hier ist der Südwestdeutsche Rundfunk (SWR) federführend. Er deckt Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und – in Kooperation mit dem Saarländischen Rundfunk (SR) – das Saarland ab. Die Landtage der drei Länder sind rot-grün dominiert. Das spiegelt sich im Verwaltungsrat des SWR wider und damit vielleicht auch im Funk-Programm. Der Wandel zeichnet sich scheinbar auch unter dem ÖRR-Nachwuchs ab. Eine Umfrage aus dem Oktober 2020 zeigte: 57 Prozent der befragten ARD-Volontärinnen und -Volontäre würden grün wählen, 23 Prozent die Linke und zwölf Prozent die SPD. Auch wenn die Stichprobe mit 83 Befragten sehr klein war, haben die Zahlen Franziska Lammert (CDU) aufhorchen lassen. „Im politischen Tagesgeschäft merke ich schon eher eine linke Tendenz unter den Journalisten“, sagt die stellvertretende Bundesvorsitzende der Jungen Union. „Aber es ist ja kein Pro​blem, dass Journalisten eine Meinung haben. Wichtig ist nur, dass sie trotzdem ausgewogen und neutral berichten.“

Was dem Jugendangebot häufig zur Last gelegt wird: zu starke persönliche Färbungen in Beiträgen, zu viel Meinung. Teils „radikal subjektiv“ seien sie, befand Publizistikprofessor Janis Brinkmann, nachdem er fünf Funk-Reportageformate Ende Mai für die Otto-Brenner-Stiftung analysiert hatte. Der Pressekodex verlangt von Journalisten zwar keine politische Neutralität. Zumal offensichtlich ist, dass Redakteurinnen und Redakteure der „taz“ in der Regel häufig eine andere Meinung vertreten als die der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung”. Im ÖRR ist das Thema aber heikler, weil er – freiwillig oder nicht – von allen finanziert wird.

Beim Politformat „Die da oben“ gibt es eine klare Trennung: Zu Beginn des Videos werden die Fakten präsentiert. Am Ende des Videos wird der Zusatz „Eigene Meinung“ eingeblendet. Erst dann kommentieren die Moderatoren. Eine solche Grenzziehung findet auch JU-Politikerin Lammert gut. „Der Kommentar ist seit jeher eine etablierte und wichtige journalistische Form“, sagt sie. „Es muss nur klar sein: Das ist der Bericht und das der Kommentar.“ Doch wie klar ist das dem durchschnittlichen Zuschauer überhaupt? „Viele wissen gar nicht richtig, was ein journalistischer Kommentar ist und dass hier reine Meinungsäußerung erfolgt“, gibt Kommunikationswissenschaftler Schweiger zu bedenken. In den Funk-Reportageformaten „Y-Kollektiv” und „Strg_F” fehlt eine solche Kennzeichnung. Hier treten die begleitenden Journalistinnen und Journalisten immer wieder vor die Kamera und bringen ihre eigenen Gedanken sehr offen zum Thema ein.

Haltung ist erwünscht

Was oft kritisiert wird, wünscht sich die junge Zielgruppe explizit. „Junge Menschen erwarten, dass Journalisten Haltung zeigen“, sagt Medienexperte Schweiger. „Die können nicht viel mit der klassischen Trennung von Meinung und Fakten anfangen.“ Funk mache er deswegen keinen Vorwurf. Zudem bräuchten die Jungen mehr Erklärung und Einordnung. „Eine der Aufgaben des Journalismus und explizit des ÖRR ist es, zur Meinungsbildung beizutragen“, betont der Experte. „Das vergessen besonders Menschen aus konservativen Milieus häufig.“ Außerdem sei es abhängig vom Format, wie viel Meinung durchscheint. „Fernsehformate hatten schon immer eine stärkere Haltung“, sagt Schweiger. Und Funk arbeitet größtenteils mit Videoformaten auf Instagram, Tiktok und Youtube.

Also sind es gar nicht die jungen Wilden, die den Journalismus verändern? Teils, teils. Einen großen Teil zur Veränderung tragen neue Medien und die neuen Wünsche des Publikums bei. Aber auch auf journalistischer Seite steht die Zeit nicht still. „Natürlich sind junge Journalistinnen und Journalisten unter anderen Umständen groß geworden“, sagt Politikerin Strack-Zimmermann. „Sie beschäftigen ganz andere Fragen. Das spiegelt sich schon in der Berichterstattung wider.“ Experte Schweiger hat noch eine andere Beobachtung gemacht: „Junge Redakteure gehen oft unerschrockener an Themen ran, sie haben keine große Ehrfurcht vor Politikern – und das ist gut so.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 144 – Thema: Interview mit Can Dündar. Das Heft können Sie hier bestellen.