Auf mehreren Hochzeiten

Politik

In Talkrunden, auf Podien und in Presseberichten treffen wir immer wieder auf dieselben Gesichter. Ein Politiker, der was zum Thema Militär und Sicherheit sagen kann? Roderich Kiesewetter (CDU). Jemand, der sich mit Digitalisierung auskennt? Anke Domscheit-Berg (Linke). Es geht um Gesundheit? Andrew Ullmann (FDP). Diese und viele weitere Politiker haben einen klaren Schwerpunkt – und der zieht sich auch in die Außenwirkung. Während sie lieber nur auf einer Hochzeit tanzen, lassen andere Politiker keine Party aus und melden sich zu allem zu Wort – man denke etwa an Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer, der gerne auch für Kritik an der Bundespolitik zur Verfügung steht (und jetzt wegen einer Neuauflage einer Rassismusdebatte aus der grünen Partei ausgetreten ist).

Aber was davon ist die schlauere Kommunikationsstrategie? Oder ist es schlicht Typsache? Politik- und Kommunikationsberater Johannes Hillje hat dazu eine klare Meinung: „Expertise kann sich sehr positiv auf die Wahrnehmbarkeit in Parteien und der Öffentlichkeit auswirken“, sagt er. Dieser Vertrauensvorschuss könne sich besonders bei jungen Politikern auszahlen und gar als Karrierekatalysator wirken. „Politische Quereinsteiger aus der Praxis werden in der breiten Öffentlichkeit besonders geschätzt“, sagt Hillje. „Ihnen wird unterstellt, dass sie ihr Fach verstehen und nicht direkt aus dem Hörsaal kommen.“ Sie gelten als Praktiker – oder zumindest profilierte Theoretiker, die sattelfest über ihr Lieblingsthema berichten und Sachlagen einschätzen können.

Erfahrung macht Experten?

Eine passende Biografie ist hilfreich – wie zum Beispiel die von Sebastian Fiedler (SPD). Der ehemalige Kriminalhauptkommissar war bis 2021 Vorsitzender des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BDK), zog dann in den Bundestag ein und äußert sich hauptsächlich zu Themen rund um Kriminalistik – naheliegend. „Ein biografischer Schwerpunkt ist in der Politik ein großer Vorteil, weil er den eigenen Aussagen zusätzliche Glaubwürdigkeit verleiht“, sagt Fiedler. Das beobachtet der Sozialdemokrat auch, wenn er in der Presse zitiert wird. Immer wieder wird in Bauchbinden seine ehemalige Funktion genannt. Auch Fragen an ihn nehmen oft darauf Bezug: „Wie sehen Sie das als ehemaliger Kriminalhauptkommissar?“

Aber prädestiniert eine solche Berufs- und Lebenserfahrung einen Politiker dafür, auch politisch im jeweiligen Bereich als guter Entscheider und Ratgeber zu glänzen? In der Wählerwahrnehmung kann das so wirken: „Kompetenzen und Erfahrungen aus der Praxis sind für Wähler ein hohes Gut“, sagt Kommunikationsberater Hillje. „Deswegen ist es durchaus schlau, diese Fachrolle als Politiker anzunehmen und zu spielen.“

Aus Sicht von SPD-Politiker Fiedler kommt es außerdem auf Authentizität an. „Als Vertreter des Berufsverbandes wurde mir diese mehr oder weniger automatisch zugeschrieben. Nun sehen manche in mir stärker den SPDler, der etwas zur Kriminalpolitik sagt. Wer mir eher zugeneigt ist, ordnet meine Aussagen aber dennoch immer noch als Expertenmeinung ein.“ In seiner vorigen Rolle als Vorsitzender des BDK habe er sich häufiger als Experte eingestuft gefühlt.

Das Fettnäpfchen der Unwissenheit

Auch Andrew Ullmann wird in der Presse gerne als Fachmann konsultiert. Der FDP-Bundestagsabgeordnete studierte zunächst Medizin und wurde 2012 Professor an der Universitätsklinik Würzburg. Seit 2017 sitzt der Infektiologe im Bundestag und macht sich dort vor allem für Gesundheitsthemen stark, äußerte sich zuletzt vor allem zur Pandemielage und Maskenpflicht. Mit seinem wissenschaftlichen Hintergrund ist Ullmann in der Gesundheitspolitik aber bei Weitem nicht allein. „In diesem Bereich ist kaum jemand unterwegs, der nicht irgendwie biografisch schon früher damit zu tun hatte“, sagt der FDP-Bundestagsabgeordnete. Für ihn ist auch klar: „Wäre ich nicht Arzt und Forscher und hätte ich nicht die Probleme tagtäglich zu spüren bekommen, dann wäre ich vermutlich nicht in die Gesundheitspolitik gegangen.“ Seine Expertise will er ausspielen und klar kommunizieren, aber auch nicht zu eindimensional wirken. Als Kompromiss bleibt er auf Bundesebene thematisch größtenteils bei Gesundheit, widmet sich in seinem Wahlkreis aber – abgeordnetentypisch – um alle anfallenden Themen: „Das gibt einem immer den Blick dafür, wie sich das große Ganze im kleinen Konkreten auswirkt.“ Als Generalist sieht er sich aber nicht: „Dafür bin ich zu stark als Wissenschaftler und Experte geprägt.“

Schließlich kann eine Aussage zu einem dem Politiker eher fachfremden Thema schnell nach hinten losgehen – siehe Karl Lauterbach (SPD). Der Gesundheitsminister hatte in der Silvesternacht einen Tweet zu den Ausschreitungen und Angriffen auf Rettungskräfte abgesetzt. Darin schrieb er: „Rücksichtslose Gefährdung der Rettungskräfte sollte ein Grund zur Kündigung der Wohnung sein.“ Das kam nicht gut an, der Tweet war schon kurze Zeit später wieder gelöscht.

„Social Media kann für Fachpolitiker Chance und Risiko zugleich sein“, sagt Kommunikationsberater Hillje. „Einerseits können Politiker dort bewusst Themen abseits ihres Fachgebiets bespielen, zu denen sie womöglich nie eine Presseanfrage bekommen hätten, und so ihr Profil erweitern. Andererseits können inhaltliche Ausrutscher zu Häme und Empörung führen – siehe Lauterbach.“ Es bleibt also eine Kosten-Nutzen-Abwägung.

Vollsortimenter, Spezialist und Gemischtwaren

Außerdem gilt: Je breiter die Themenpalette ist, in die man sich einmischt, desto höher ist die Gefahr, mit Aussagen danebenzuliegen – oder so allgemein bleiben zu müssen, dass Äußerungen untergehen. Trotzdem gibt es Politiker, die auf jedes Thema springen – wie zum Beispiel Jens Spahn. Der stellvertretende CDU-Vorsitzende war zuletzt Gesundheitsminister und ist nun energiepolitischer Sprecher der Fraktion. „Spahn hat den Anspruch, eine Führungspersönlichkeit zu sein – da muss er eine breite Themenpalette abdecken“, sagt Hillje. „Daran kann man auch ablesen, dass er durchaus noch höhere Ämter anstrebt.“

Neben den Vollsortimentern und Spezialisten gibt es noch die mit den Gemischtwaren. Sie hätten gern von beidem etwas. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter will sich nicht auf ein Thema festlegen. In den Medien kommt Kiesewetter aktuell aber überwiegend zum Thema Ukraine und Russland zu Wort. Bei seiner langen militärischen Laufbahn ist das kein Wunder. Kiesewetter ist Oberst a. D. und war von 2011 bis 2016 Präsident des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr. Dabei hätte Kiesewetter auch bei anderen Themen Gesprächsbedarf. „Mein Schwerpunkt ist weiterhin die Wahlkreisarbeit – und die spielt auch im Bundestag eine Rolle“, sagt er und verweist darauf, dass er sich nicht nur zu Militär und Außenpolitik äußere, sondern zuletzt zum Beispiel auch zu Migration und Energie als Teil eines ganzheitlichen Sicherheitsverständnisses. „Man könnte auch sagen: Am Ende hängt alles mit Sicherheit zusammen.“ Auf jedes Thema aufzuspringen, kommt für ihn dagegen nicht infrage. „Ich will meiner Linie treu bleiben, mich um Themen kümmern, in denen ich mich auskenne. Ich bin aber auch bereit, mir neue Themenfelder wie zum Beispiel Digitalisierung zu erarbeiten.“ Er will nicht einer der Politiker werden, die sich sagen: Egal, um was es geht, Hauptsache, ich komme vor.

Letztlich hängt die Frage, ob man als Generalist oder Spezialist auftritt, auch vom eigenen Rollenverständnis in der Partei ab. „Oft gibt es schon starke Persönlichkeiten in der Partei, die ein bestimmtes Thema für sich beanspruchen“, sagt Berater Hillje. „Dagegen muss man erst mal ankommen – und das kann schon mal für Macht- und Profilierungskämpfe innerhalb der Partei sorgen.“ Da müsse man dann durch oder sich mit den anderen Fachkollegen arrangieren. Als Beispiel nennt Hillje die CDU-Politikerin Serap Güler. Sie war bis 2021 Staatsekretärin für Integration im NRW-Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration. Heute beschäftigt sie sich vor allem mit der Verteidigungspolitik. „In diesem Feld hat Güler aber starke Konkurrenz aus der eigenen Partei – zum Beispiel mit Roderich Kiesewetter oder Norbert Röttgen“, sagt Hillje. Deswegen, aufgrund ihres vorherigen Fachgebiets und wahrscheinlich auch aufgrund der Tatsache, dass sie Kind von Gastarbeitern ist, wird Güler auch heute noch meist zu Integrationspolitik angefragt. „Am Beispiel Güler sieht man, dass man den Stempel Fachpolitikerin für einen bestimmten Bereich nicht so schnell loswird – besonders nicht, wenn das Thema zur eigenen Biografie passt“, sagt Hillje. Der eigene Schwerpunkt in der politischen Kommunikation will also wohlüberlegt sein.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 142 – Thema: Künstliche Intelligenz. Das Heft können Sie hier bestellen.