Özdemir gegen Altmaier – ein körpersprachliches Duell

Praxis

In Deutschland ist das mit der Körpersprache in der Politik so eine Sache. Parteien und Ministerien investieren zwar Jahr für Jahr Millionen Euro in Informationskampagnen oder Wahlkämpfe, aber etwas sehr Naheliegendes – nämlich das Training der Körpersprache der handelnden Personen – findet kaum Beachtung. Dabei spielt sie in der politischen Kommunikation eine sehr wichtige Rolle, schließlich hängt die Wirkung einer politischen Person maßgeblich von ihrer Körpersprache ab und – entgegen landläufiger Meinung – weniger von der Rhetorik.

Aus Sicht der nonverbalen Kommunikation war die gestrige Anne-Will-Sendung sehr aufschlussreich. Dort saßen unter anderen Peter Altmaier und Cem Özdemir und diskutierten über das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei. Auf der einen Seite also der Kanzleramtschef, dessen Physis allein für sich zu sprechen scheint. Und auf der anderen Seite der smarte und rhetorisch begabte Grünen-Chef. Zwei Herren, die in puncto Körpersprache gegensätzlicher kaum sein können.

Foto: NDR/Wolfgang Borrs

Özdemir wirkt einmal mehr erfrischend, temperamentvoll, inspiriert und inspirierend. Nur zu Beginn der Sendung ist er erkennbar angespannt, was seine zitternden Augenlider und seine belegte Stimme zeigen. Anders als Altmaier wendet sich Özdemir seinem Gegenüber zu. Es wäre allerdings besser, wenn er dies nicht nur auf den Oberkörper reduzieren würde. Özdemirs Füße und Beine verharren gefühlte 60 Minuten lang in derselben Position, weshalb dieses Zuwenden irgendwann nicht mehr selbstverständlich, sondern antrainiert wirkt.

Altmaier hingegen gibt den Stoiker. Schon bei Anne Wills erster Frage schaut er sie nicht an, sondern blickt abwechselnd auf den Boden oder in die Weite, so als läge dort irgendwo die Antwort verborgen. Seine Gestik ist das Gegenteil von Özdemirs. Während der Grünen-Chef seinen Worten mit Armen und Händen Nachdruck verleiht, sitzt Altmaier nahezu unbeweglich auf seinem Stuhl. Schon seine Sitzhaltung zeigt, wer Regierung und wer Opposition ist. Altmaiers Haltung transportiert Macht und Bedeutung. Und seine gefalteten Hände, oft im Schoß liegend, erinnern an die Merkel-Raute. Das ist konsequent, schließlich ist sie seine Chefin.

Wer aber glaubt, in diesem Duell der nonverbalen Kommunikation sei Özdemir der automatische Sieger, der irrt. Es geht ja nicht um die Körpersprache an sich, sondern um ihre Wirkung. Körpersprache ist mehr als ein stoischer Blick oder flackernde Augen. Sie ist immer die Gesamtheit aus Atmung, Mimik, Gestik, Stimme und Rhythmus. Und hier macht Altmaier Punkte gut.

Foto: NDR/Wolfgang Borrs

Der Kanzleramtschef hat eine angenehme Tonqualität, einen guten Stimmduktus und eine gute Artikulation. Er wirkt rational, bedacht und kontrolliert. So unterstreicht er das, was er mutmaßlich auch transportieren möchte, nämlich, dass er das Flüchtlingsthema im Griff hat und nicht das Thema ihn. Auch taut Altmaier im Laufe der Sendung erkennbar auf. Seine anfängliche Distanz lässt nach und er fängt an, sich seinen Gesprächspartnern zuzuwenden und sie anzuschauen.

Anders als Altmaier hat Özdemir mehr Spielraum in der Mimik. Und er ist variabler. Es gelingt ihm, sympathisch zu lächeln und warmherzig zu wirken, was beim Thema Flüchtlinge nicht von Nachteil ist. Sein Normalzustand in dieser Sendung aber ist ein anderer. Seine hochgezogene Stirn und sein Augenaufschlag wirken irgendwann verkrampft. Seine Argumente könnten auf Dauer mehr Ruhe in der Sprache vertragen. Özdemir verliert aber vor allem in körpersprachlicher Hinsicht während der Sendung an Haltung. Sein anfangs angespannter Oberkörper hängt später buchstäblich ein bisschen in den Seilen. So läuft er Gefahr, etwas zu signalisieren, was gar nicht stimmt, nämlich, dass er am Ende die Diskussion verloren hat.

Zum Schluss lohnt an diesem Sonntagabend ein Blick nach Hannover. Dort ist zur selben Zeit US-Präsident Barack Obama auf seiner letzten Deutschlandvisite. Obama gilt als kommunikatives Naturtalent. Seine Reden und öffentlichen Auftritte waren schon Gesprächsstoff, bevor er Präsident wurde. Das ist kein Zufall. Jeder öffentliche Auftritt von Obama ist zu 100 Prozent authentisch. Das bedeutet: Was er sagt oder tut, passt genau zu dem, wie er es sagt oder tut – egal ob bei der Rede an die Nation, im TV-Interview, beim Baseball oder eben bei der Begegnung mit Angela Merkel in Hannover. Der US-Präsident überlässt körpersprachlich nichts dem Zufall. Er mag Talent haben, aber er hat jede Situation körpersprachlich trainiert.

Die deutsche Politik dagegen ist körpersprachlich noch unterentwickelt. Rhetorik spielt bei uns eine große Rolle, aber dem Zusammenspiel aller körpersprachlichen Aspekte zu einem wirkungsvollen Großen und Ganzen wird zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Eine gute politische Rhetorik sorgt noch nicht für eine entsprechend gute Wirkung. Dieser Sonntagabend hat das wieder einmal mehr deutlich gemacht.