Schulz ist Meister der authentischen Körpersprache

Deutschland ist im Martin-Schulz-Fieber. Seitdem der Europapolitiker Kanzlerkandidat der SPD ist, scheint nichts mehr so, wie es noch vor ein paar Wochen war. Merkel unschlagbar? Die SPD keine Volkspartei mehr? Unsinn! Politikverdrossenheit in Deutschland? Das war einmal. „Zeit für Martin“, plakatiert die SPD. „Merkeldämmerung“, schreibt der „Spiegel“.

Politik hat zwar auch etwas mit Autosuggestion zu tun. Aber das Umfragehoch der SPD ist keine Einbildung. Und ja, irgendwas ist anders auf der politischen Bühne. Welchen Anteil aber hat Martin Schulz als Person an diesem Höhenflug der SPD? Genauer gesagt: Welchen Anteil hat sein öffentliches Auftreten? Als Körpersprache-Experte hätte man schon über dessen Antrittsrede im Willy-Brandt-Haus und seinen anschließenden TV-Auftritt bei Anne Will ein ganzes Buch schreiben können. Da ist in der Tat diese Lebendigkeit, die er durch seinen schnellen Sprachrhythmus unterstreicht. Da sind die hochgezogenen Augenbrauen – Martin Schulz wirkt manchmal so erstaunt, als könne er es selbst kaum glauben. Da ist seine starke Mimik, die er – immer passend zum jeweiligen Inhalt – flexibel einzusetzen vermag. Und Martin Schulz beherrscht das breite und herzliche Lächeln.

Schulz‘ Körpersprache wirkt nicht einstudiert

Viele Kampagnenexperten haben Schulz dennoch empfohlen, sich in den kommenden Monaten auch mal zu reduzieren, damit die Puste nicht ausgeht. Damit sich ein Spannungsbogen aufbauen und vor allem halten lässt. Da ist was dran. Und das gilt auch für seine Körpersprache: Während einer einzigen Rede bewegt Martin Schulz seinen Körper mehr als manch anderer Politiker in seiner ganzen politischen Laufbahn. Das sieht zwar lebendig aus, passt aber an manchen Stellen überhaupt nicht zum Inhalt. Eine solche Körpersprache wirkt dauerhaft nur dann leidenschaftlich, wenn sie sich mit Ruhe paart beziehungsweise. abwechselt. Spätestens wenn das Wahlprogramm steht und die Inhalte konkreter werden, sollte Schulz auch mal stehen bleiben. Er täte gut daran, sich stärker zu disziplinieren. So könnte er die Standhaftigkeit seiner Argumente unterstreichen.

Unterm Strich aber lässt sich sagen: Martin Schulz steht in der nonverbalen Kommunikation weit über dem Durchschnitt der deutschen Politik – vor allem weil seine Körpersprache nicht einstudiert wirkt, sondern ein natürlicher Begleiter seiner verbalen Sprache ist. Für den Kanzlerkandidaten sind Unterhaltung und Politik erkennbar kein Widerspruch. Im Gegenteil. Schulz zeigt durch Mimik, Gestik, Tonlage und Stimme, dass er um das Bedürfnis vieler Menschen nach Unterhaltung weiß und dieses mit politischen Inhalten befriedigen kann. Man kann das mögen, muss es aber auch nicht. Fakt ist aber, dass hier einer der zentralen Unterschiede zwischen dem öffentlichen Auftreten Martin Schulz’ und dem Angela Merkels liegt. Denn die deutsche Politik tut sich – auch aus historischen Gründen – schwer mit zu viel Entertainment. Es ist typisch, dass Wolfgang Schäuble dem SPD-Kanzlerkandidaten umgehend „Dampfplauderei“ vorwirft. Dahinter steckt auch das alte Vorurteil, dass zu viel Unterhaltung in der Politik als unseriös gilt.

Kein leichtes Spiel gegen Angela Merkel

Zum Schluss noch ein Wort zur Bundeskanzlerin. Angela Merkel hat die Körpersprache sicher nicht erfunden. Dazu ist alles gesagt. Wer aber glaubt, Martin Schulz sei im Duell der nonverbalen Kommunikation der automatische Sieger, der irrt. Rhetorisches und körpersprachliches Talent sind kein Selbstzweck. Bei Körpersprache in der Politik geht es vor allem um Authentizität. Das, was man sagt, muss mit dem, wie man es sagt, übereinstimmen. Man kann Angela Merkel sicher vieles vorwerfen. Hängende Mundwinkel, die Raute in Endlosschleife, die hochgezogenen Schultern, angespannte Stimmlage. Aber bei allem, was sie tut, ist sie zu 100 Prozent authentisch. Auch das ist ein Schlüssel ihres Erfolgs, auch wenn man es auf den ersten Blick nicht glauben mag.

Und genau hier liegt eine Gefahr für Martin Schulz. Gerade jetzt, wenn die Berater, Agenturen und Spin-Doktoren Hand anlegen und der Kanzlerkandidat weiter „geformt“ wird. Dann kommt möglicherweise wieder das berühmte Gespenst in Form des politischen Korsetts, woran schon Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier gescheitert sind. Soweit muss es nicht kommen. Martin Schulz muss sich seine Authentizität bewahren. Aber auch das kann und muss er trainieren.