„Noch nicht im Paradies“

p&k: Frau Künast, ein kurzer Zeitsprung ins Jahr 1998. Im Wahlkampf sprach der spätere Bundeskanzler Gerhard Schröder von „Frauenpolitik und so Gedöns“. Was haben Sie damals gedacht?
Renate Künast: Mein Gott. Das war alles, was ich gedacht habe.

Haben Sie ihn später im Kabinett einmal darauf angesprochen?
Nein, das nicht. Aber es hat immer wieder Debatten darum gegeben. Ich glaube, dass Gerhard Schröder irgendwann verstanden hat,  wie daneben der Spruch war. Das führte dann auch dazu, dass er am Rande von Abendessen versuchte zu erklären, warum er sich dann doch für die Frauenpolitik einsetzen würde.

2001 übernahmen Sie im Kabinett auch die Verantwortung für die Landwirtschaft in Deutschland. Ein klassisches Männerressort. Wurden Sie als Politikerin ernst genommen?
Ich hatte nicht das Gefühl, auf Ablehnung zu stoßen, weil ich eine Frau bin. Der Bauernverband und das gesamte Netzwerk drumherum hatten damals kritisiert, dass ich mich in der Landwirtschaft nicht auskennen würde. Sie fragten, wie sich jemand um die Landwirtschaft kümmern solle, der ursprünglich aus der Stadt kommt. Ablehnung kam aber deshalb auf, weil ich mich daran machte, die alten Pfründe und Subventio- nen auf den Prüfstand zu stellen. Diese war so massiv, dass das Thema Frau gar nicht wirklich aufgegriffen wurde.

Wie ist die Situation im politischen Alltag?
Im Bundestag, in den Sitzungen oder bei vielen Abendveranstaltungen ist es schon so, dass Männer dominieren. Beispielsweise in  der Art der Kommunikation, wie sie sich aufeinander beziehen und wie Stärke dargestellt wird. Natürlich hatte und habe ich es durch meine Ämter und Funktionen oft leichter. Als Ministerin oder Fraktionsvorsitzende erlebe ich selten eine direkte Diskriminierung. Falls doch, weiß ich mich zu wehren. Wenn einmal über meine Kleidung gesprochen wurde, sagte ich: ‚Jetzt lassen Sie uns doch auch einmal über den Anzug meines Nachbarn reden, der interessiert mich nämlich brennend.‘ Die meisten Männer sind dann so peinlich berührt, dass die Diskussion zu Ende ist.

Helfen Ihnen als Politikerin typisch weibliche Eigenschaften wie beispielsweise Verhandlungs- und Kommunikationsgeschick oder gar Einfühlungsvermögen weiter?
Ja, sie helfen mir, wenn ich etwas verhandeln will. Frauen haben einen anderen Modus, eine andere Art und Weise, Dinge um- und durchzusetzen. Aber es ist trotzdem so, dass sie in Verhandlungen ganz massiv auf bestimmte Verhaltensweisen bei Männern treffen. Und dann müssen sie zeigen, dass sie damit umgehen können.

Können Sie sich vorstellen, dass eine Politikerin in Deutschland einmal Verteidigungsministerin wird? In Spanien ist das mit Carme Chacón bereits der Fall.
Ich kann mir alles vorstellen. Es ist ja mittlerweile so, dass sich die Frauen in den vergangenen Jahrzehnten durch harte Kämpfe aus den angeblich weichen Ressorts herausgearbeitet haben. In den Bundesländern gibt es einige Finanz- oder Wirtschaftsministerinnen oder schauen Sie auf die EU-Kommissionen. Ich glaube auch, dass wir bei dieser Ressortfrage eine Neudefinition erleben. Gesundheit ist zum Beispiel schon lange kein weiches Thema mehr. Im Gegenteil: ein sehr hartes. Ich glaube aber, dass in einem Ressort wie der Verteidigung eine Frau an der Spitze eine riesige Medienaufregung auslösen würde. Selbst dann, wenn sie nicht schwanger wäre.

Müssen sich auch die Medien umstellen?
Politikerinnen haben es in der medialen Wahrnehmung in Deutschland nicht leicht. Es ist immer noch so, dass man nicht anerkennt, dass Verhaltens- und Darstellungsweisen bei Frauen vielleicht anders, aber mindestens genauso gut sind wie bei Männern. Stattdessen wird über die Kleidung der Politikerinnen berichtet. Wenn es darum geht, dieses ‚Weibchenbild‘ zu funktionalisieren, fällt mir vor allem eine Politikerin ein: Silvana Koch-Mehrin. Mit ihrem Baby-Bauch und ihrer Konzentration auf das Optische. Da geht es bloß um das Aussehen und nicht um den Kopf. Das sind Dinge, die ich so in der Berichterstattung über Männer nicht kenne.

Gab es Momente in Ihrer politischen Karriere, in denen Sie das Gefühl hatten, dass Ihre Leistung gegenüber der eines männlichen Kollegen reduziert wurde?
Nein, das war nicht der Fall. Ich erlebe einen Unterschied zwischen Frauen- und Männerkommunikation. Es gibt ein männlich geprägtes Führungsverständnis. Man erwartet gewisse Dinge. Bei der Körpersprache zum Beispiel: möglichst breitbeinig stehen und einen bestimmten, dominierenden Habitus an den Tag legen. Solche Sachen hält die Öffentlichkeit heute für stark. In der Realität erreichen Politiker damit teilweise gar nichts. Ich erlebe aber, dass das von Männern und sogar von Frauen als Führung wahrgenommen wird.

Um weiblichen Politikern trotz dieser männlich dominierten Verhaltensmuster den Zugang zur Macht zu erleichtern, haben die Grünen die Frauenquote. Sie schreibt vor, dass die Partei Wahllisten und Präsidien paritätisch besetzt. Ist die Quote noch ein zukunftsfähiges Modell?
Ich bin mit der Quote in meiner Partei immer noch sehr zufrieden. Wir beschimpfen die Männer ja nicht dafür,  dass eine Jahrtausende alte einhundertprozentige Männerquote dazu geführt hat, dass sie heute auf ihren Positionen sind. Aber es geht hier um ein Problem in der gesamten Gesellschaft. Sie ist immer noch auf das Alleinernährermodell ausgerichtet. Darauf, dass es im Wesentlichen der Mann ist, der das Geld verdient. Das zeigt sich auch in Wirtschaft und Politik – und die Quote hilft dabei, das zu verändern.

Hatten Sie im Verlauf Ihrer Karriere einmal das Gefühl, sich zwischen Karriere und Familie entscheiden zu müssen?
Für mich persönlich hat sich diese Frage nicht gestellt. Es hat sich einfach so ergeben, wie es jetzt ist. Ich weiß aber, dass es für sehr viele Frauen ein Problem ist, weil sie, wenn einmal Kinder da sind, bestimmte Dinge nicht mehr tun können. Diese Situation verbessert sich in Deutschland zwar von Jahr zu Jahr, aber gelöst ist das Problem noch nicht. Berlin oder die neuen Bundesländer haben auf dem Gebiet der Kinderbetreuung im Unterschied zu Westdeutschland ein vergleichsweise sehr gutes Angebot an Plätzen. Aber in Westdeutschland gibt es oft nur Halbtagskindergartenangebote – und auch das nicht ausreichend.

Glauben Sie, dass Angela Merkels Aufstieg ins Bundeskanzleramt ein gutes Signal für junge Frauen in Deutschland ist, sich in der Politik zu engagieren?
Die Tatsache, dass Politikerinnen in einem Bundeskabinett sitzen, wie Jutta Limbach als Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts gearbeitet haben oder eben zur Bundeskanzlerin aufsteigen, sind immer kleine Punkte, die Mut machen. Aber ich sage auch, dass es nicht reicht, nur Vorbilder in bestimmten Rollen zu haben.

Müssen sich junge Mandatsträgerinnen in der heutigen Mediengesellschaft anders verhalten als prominente Politikerinnen wie beispielsweise Hildegard Hamm-Brücher oder Rita Süssmuth vor 20 Jahren?
Lassen Sie mich einmal Ekin Deligöz und Nicole Maisch nehmen. Zwei Frauen aus meiner Fraktion. Beide sind in einer politischen Situation aufgewachsen, in der die Quote bereits existierte. Sie können sich mit Themen beschäftigen, die früher keine klassischen Frauenthemen waren. Und sie können sich auch für Themen wie Kinder- und Familienpolitik entscheiden, weil dies wichtige Politikfelder sind, ohne auf diese Rollenspiele im Alltag achten zu müssen. Hamm-Brücher und Süßmuth, die beide sehr ruhig, aber mit einer hohen Glaubwürdigkeit gewirkt haben, mussten sich in einer Welt durchsetzen, in der diese Wahlfreiheit noch nicht üblich war.

Wie war das bei Ihrer politischen Karriere?
Ich muss an meine Zeit im Innenausschuss oder Kontrollausschuss für den Verfassungsschutz des Berliner Abgeordnetenhauses denken. Nur Männer und immer die gleichen Diffamierungen, das gleiche Gehabe. Man haute sich auf die Schenkel und ließ dröhnende Sprüche ab. Das war persönlich sehr anstrengend. Zum Glück nahm das immer weiter ab. Dieses Verhalten erleben junge Frauen heute zwar nicht mehr. Trotzdem merken sie, wenn sie in einer wichtigen Funktion sind und schwierige Entscheidungen treffen müssen, wie hart die Realität für sie noch ist.

Auch in der Politik?
Auch in der Politik. Selbst eine Quote ändert daran nichts. Die Situation in der deutschen Politik hat sich in den letzten zehn oder zwanzig Jahren stark verändert, aber wir sind noch nicht im Paradies der Gleichstellung, in das wir eigentlich wollen. Es gibt noch sehr viel zu tun.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Anpacken, Mädels! Es gibt noch viel zu tun.. Das Heft können Sie hier bestellen.