p&k: Sie waren Politikerin, sind jetzt Verbandschefin. Seit dem Rausschmiss von Norbert Röttgen ist ungeheuer Bewegung in der Energiepolitik. Reizt es Sie nicht gerade jetzt, in die Politik zurückzuwechseln?
Müller: Ich agiere ja weiterhin politisch, nur eben von der anderen Seite. Das ist faszinierend, denn Energiepolitik gehört zu den zentralen Themen auf der politischen Agenda.
Es heißt, Sie verfügen über einen direkten Draht ins Kanzleramt. Wie oft kann man so einen Joker einsetzen, ohne den Kontakt dabei zu verbrennen?
Es ist schön, wenn persönliche Freundschaften auch den Wechsel von einer Sphäre in die andere überstehen. Man muss da aber trennen, denn es geht um professionelle Distanz. Wenn es um politische Interessen und inhaltliche Fragen geht, zählt nur das Wissen, das man anbieten kann. Der Anspruch guter Lobbyarbeit ist es doch, Daten und Fakten und ausgewogene Empfehlungen für die Politik zu liefern. In unserem Fall also der Versuch, in der Debatte zur Energiewende Emotionen und Ideologien auf Sachverhalte zurückzuführen.
In einem großen Verband wie dem BDEW gibt es sehr verschiedene Interessen. Da stehen die Konzerne neben den Stadtwerken. Wie kriegen Sie die unter einen Hut?
Wir vertreten Brancheninteressen, andere nur Partikularinteressen. Große und Kleine, Kommunale und Überregionale, Öffentliche und Private – sie alle sind bei uns organisiert. Das bedeutet auch: Schwierige Debatten nach innen zu führen. Das ist nicht immer einfach, ist dann aber auch ein echtes Angebot an die politischen Akteure, das trägt. Zum einen haben wir schnelle Deeskalationsverfahren eingerichtet, um bei kritischen Themen auf eine Position zu kommen. Zudem suchen wir den Kontakt zu gesellschaftlichen Gruppen wie NGOs und Gewerkschaften, mit denen wir früher nicht so geredet haben. Im Zuge der Energiewende erkennen alle Seiten, dass es jetzt an der Zeit ist, aus den Schützengräben zu kommen. Die Ziele der Energiewende sind Konsens; wir reden jetzt über deren Durchführung.
Oft scheren aber gerade die Konzerne aus und verfolgen dann ihr eigenes Lobbying. Ärgert Sie das?
Ein Verband ersetzt ja nie das Vortragen eines eigenen Interesses. Der BDEW hat den Vorteil, dass wir eben nicht nur eine Einzelmeinung der Politik vortragen, sondern dass wir aufzeigen, was die Branche leisten kann und einen Konsens über die verschiedenen Interessen herbeiführen. Dass ein Unternehmen auch mal eine abweichende Meinung haben kann, ist völlig normal und gefährdet nicht die Sprachfähigkeit eines Verbands.
Heißt das dann auch, dass ein Verband den Mut haben muss, der Politik gegenüber zu sagen: Wir haben hier keine einheitliche Position?
Ja. Aber dann gibt man natürlich aus der Hand, wirkliche Vorschläge für die Politik zu machen. Scheinlösungen, die Geschlossenheit vorgaukeln, haben ebenfalls keine Tragfähigkeit. Ich glaube, über die große Aufgabe Energiewende hat die Energiewirtschaft gelernt, wie wichtig es ist, auch zusammenzustehen.
Wird die Energiewende im Wahljahr 2013 zum Schlüsselthema?
Energie ist eine der existenziellen Fragen der Politik und damit natürlich ein Schlüsselthema. Das macht Hoffnung und Sorge. Hoffnung macht, dass damit die Aufmerksamkeit und das Interesse hochbleibt, diesen Prozess zu begleiten. Sorge macht dagegen ein mögliches Auseinanderfallen des Konsenses, den es bis jetzt zwischen Bund und Ländern und zwischen Regierung und Opposition gab. In Wahlkampfgetöse könnte dieser wieder aufbrechen, eine Rückkehr zur Ideologie darf es nicht geben.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Follow me – Das Lobbying der Sozialen Netzwerke. Das Heft können Sie hier bestellen.