Gut gerüstet

Lobbyismus

Der Schock saß tief im Februar 2022. „Die Bundeswehr, das Heer, das ich führen darf, steht mehr oder weniger blank da“, schrieb Heeresinspekteur Alfons Mais frustriert auf dem Netzwerk Linkedin. Deutschland könne sein Militärbündnis kaum unterstützen. Zwei Tage zuvor hatte Russland die Ukraine überfallen, ganz konventionell, mit Bodentruppen, Panzern, Flugzeugen und Artillerie. In der politischen Diskussion stellte sich schnell heraus, dass Deutschland solches Gerät kaum noch einsatzfähig in seinen Garagen und Hangars hat.

Seitdem ist viel gesprochen worden: von Politikern, Soldatinnen und Diplomaten. Eine wichtige Stimme aber kam zunächst zu kurz: derjenigen, die militärische Mittel entwickeln und bauen. Die Stimme der Rüstungsindustrie. Wer aber weiß besser, welche Geräte verfügbar sind, wann sie geliefert werden können und – was das kostet?

Die Rüstungsindustrie hat in der Bundesrepublik traditionell einen äußerst problematischen Ruf. Der Grund liegt auf der Hand: Zwei Weltkriege, die nationalsozialistische Schreckensherrschaft und der Kalte Krieg sind im kollektiven Gedächtnis des Landes verankert. Die Deutschen sehen mit äußerstem Argwohn, dass in ihrem Land noch Rüstungsgüter produziert werden.

In einer YouGov-Umfrage vom Mai 2018 sprachen sich etwa knapp zwei Drittel der Befragten für einen sofortigen Stopp aller Rüstungsexporte aus. Eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik aus dem gleichen Jahr kam zu dem Ergebnis, dass 43 Prozent der Deutschen ein negatives Bild von der Branche haben und lediglich 17 Prozent eine positive Wahrnehmung.

Im nahen Ausland ist das anders

Nachbarländer wie Frankreich nutzen ihren Nationalfeiertag, um stolz die Innovationskraft und Stärke ihrer heimischen Rüstungsindustrie zu präsentieren. In Deutschland redet man dagegen sehr zurückhaltend darüber, Produktionskapazitäten zu beschaffen, zu innovieren und strategisch auszurichten.
Setzen wir uns als Gesellschaft nicht mit den Themen der Rüstungsindustrie auseinander, weil wir zu wenig Bescheid wissen über Geopolitik oder liegt es an einem simplen Pazifismus der Wählerinnen und Wähler? Diese Begründungen wären zu einfach.

Am 27. Februar 2022 diagnostizierte Bundeskanzler Olaf Scholz eine Zeitenwende. „Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor“, sagte er in einer außerordentlichen Sitzung des Bundestages. Diese Einsicht ist von großer Bedeutung. Mit der Invasion russischer Truppen in die Ukraine hat sich Europa verändert. Viele Menschen haben verstanden, dass es notwendig ist, sich zu verteidigen und eine Abschreckung mit Waffen aufrechtzuerhalten.

Plötzlich systemrelevant

Die Umbrüche sind für die Rüstungsindustrie sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance. Die Gesellschaft zeigt sich zunehmend offen dafür, dass die Rüstungsindustrie eine Rolle in der öffentlichen Diskussion spielt. Das eröffnet Möglichkeiten für einen Dialog, der zuvor nur schwer vorstellbar war. Dennoch muss die Industrie noch viel tun, damit die Bevölkerung ihr noch mehr vertraut. Das geht nur mit mehr Transparenz.

Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat vielen Menschen die Bedeutung einer leistungsfähigen und fortschrittlichen Rüstungsindustrie vor Augen geführt. In einer Umfrage des ARD-DeutschlandTrends sprachen sich unmittelbar nach dem russischen Einmarsch in der Ukraine im Februar 2022 rund 61 Prozent der Befragten für Waffenlieferungen an die Ukraine aus. Wenige Wochen vor Beginn des Krieges lag die Zustimmung noch bei lediglich 20 Prozent. Ein Jahr nach Beginn des Krieges stieg der Wert derer, die bisherige militärische Hilfen beibehalten oder noch ausweiten wollen, auf fast drei Viertel der Menschen, wie das ZDF-Politbarometer ermittelte.

Die öffentliche Meinung hat sich dabei nicht nur im Hinblick auf Waffenlieferungen an die Ukraine fundamental gewandelt. Zwei Drittel der Deutschen befürworten jetzt, dass Deutschland das Zwei-Prozent-Ziel der NATO einhält, 26 Prozent könnten sich sogar vorstellen, einen gesetzlichen Feiertag abzuschaffen, um das zu finanzieren.

Das äußert sich auch am Kapitalmarkt. Viele Menschen zeigen sich offener, ihr Geld in Aktien von Sicherheits- und Verteidigungsunternehmen anzulegen. Das hat die Debatte neu entfacht, wie diese Unternehmen in der geplanten Sozialtaxonomie der Europäischen Union eingestuft werden sollen. Die soll – analog ihrer grünen Variante – den investierenden Banken Auskunft darüber erteilen, welche Firmen und Branchen dem Gemeinwesen dienen und deshalb den sozialen Standards entsprechen. Nach Schätzungen von Bloomberg soll im Jahr 2025 rund ein Drittel aller weltweiten Geldanlagen nach ESG-Kriterien vermarktet werden. Das Thema ist für die Finanzierungsmöglichkeiten der Industrie also nicht zu unterschätzen.

Vom Hinterzimmer auf die Bühne

Das aktuelle Bewusstsein für den Beitrag, den die Rüstungsindustrie zum Erhalt der demokratischen Ordnung leistet, ist eine einmalige Chance für die Branche, sich von ihrem negativen Image in Deutschland zu befreien. Damit das gelingt, muss sie ihre Public-Affairs-Arbeit umkrempeln. Bisher setzte die Industrie auf eher traditionelle Methoden der Interessenvertretung: Gespräche, parlamentarische Abende, Sponsoring.

Spätestens mit der Ampelkoalition ist aber eine neue Abgeordnetengeneration in den Bundestag eingezogen, die die Politik jünger, transparenter und digitaler gestalten will. Die Rüstungsindustrie sollte daher mit den eigenen politischen Anliegen bewusst die große Bühne suchen, anstatt sich in Hinterzimmern zu verstecken. Die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr, die Entwicklung moderner Verteidigungstechnologien oder die Höhe der Munitionsreserven gehen alle Bürgerinnen und Bürger etwas an. Außerdem hat sich in den vergangenen Jahren der Kreis derjenigen geweitet, die an verteidigungspolitischen Entscheidungen beteiligt sind. Neben altbekannten Akteuren aus Bundestag, Verteidigungsministerium, Bundeswehr und Beschaffungsamt sitzen aufgrund der neuen Realitäten verstärkt auch Stakeholder aus den Bereichen Umwelt oder Menschenrechten mit im Boot.

Für Verantwortliche in den Unternehmen und Verbänden bedeutet das konkret: Sie sollten ihre Argumente nicht nur in Fachforen und Expertengremien zirkulieren, sondern eine breite Palette von Stakeholdern ansprechen und selbstbewusst an die Öffentlichkeit treten. Egal ob durch Social Media, öffentliche Veranstaltungen oder politische Kampagnen: Zentral ist es, komplexe Inhalte verständlich aufzubereiten und darzustellen, ohne in eine Rhetorik abzurutschen, die als militaristisch wahrgenommen werden könnte. Transparenz, Offenheit und Authentizität müssen die Eckpfeiler jeglicher politischen Kommunikation sein.
Hersteller können darüber aufklären, wie ihre Produkte und Technologien Menschen im Ernstfall schützen. Im Rahmen der Beschaffung des Arrow-3-Systems wurde in den Medien viel über die Wirksamkeit und Notwendigkeit eines Abwehrsystems für Langstreckenraketen aufgeklärt. Kurze Erklärvideos auf Instagram und Tiktok könnten das begleiten und so eine breitere Öffentlichkeit erreichen.

Weniger zeigen, mehr erklären

Viele Hersteller posten in sozialen Medien lediglich Hochglanzfotos von Waffensystemen im Einsatz, anstatt die Bedeutung ihrer Produkte für die Sicherheit jeder und jedes Einzelnen hervorzugeben. Diese Bildsprache wirkt auf Branchenfremde abschreckend und sollte dringend überdacht werden. An die Stelle des x-ten Panzerbildes im Gelände könnte zum Beispiel ein Q&A-Format treten, in dem der Hersteller darüber informiert, welche seiner Produkte aktuell in der Ukraine im Einsatz sind und wie diese den Menschen dort helfen. Denkbar ist auch ein Faktencheck über die strenge Exportkontrolle in Deutschland, um den Mythos der kriegsexportierenden Indus­trie zu entkräften.

Die notwendigen Reformen im Beschaffungswesen der Bundeswehr, ein ausgewogener und realistischer Blick auf die Industrie in der EU-Taxonomie oder die Verbesserung der regulatorischen Rahmenbedingungen sind allesamt keine neuen Ziele. Die Aufstockung des Wehretats ist ein Dauerthema. Bis auf das Sondervermögen Bundeswehr hat sich hier aber nichts Nennenswertes getan. Der aktuelle Haushaltsentwurf sieht zwar eine leichte Steigerung des Verteidigungshaushalts vor, diese deckt aber lediglich Tarifsteigerungen ab und eröffnet keinen neuen Handlungsspielraum.

Dass sich hier so wenig bewegt hat, ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass öffentlicher Druck und das Gefühl für die akute Notwendigkeit fehlten. Eine überzeugende Ansprache der Öffentlichkeit könnte das ändern. Allerdings muss die Branche schnell sein. Die öffentliche Meinung kann sich schlagartig wandeln und das aktuell günstige Handlungsfenster könnte sich wieder schließen.

Einer Neuausrichtung der Kommunikation müssen dann auch Taten folgen. Sicherheits- und Verteidigungsunternehmen müssen vorweisen, dass sie sich tatsächlich für die Belange der Menschen einsetzen. Das bedeutet in erster Linie, ESG ins Zentrum jeder Unternehmensstrategie zu stellen. Für kaum eine andere Branche wird das Thema Nachhaltigkeit so geschäftskritisch werden. Dabei sollte sich ESG wie ein roter Faden von der Entwicklung (Minimiere ich den CO2-Fußabdruck meiner Produkte?) über die Produktion (Zahle ich faire Löhne, fördere ich Diversität und schütze ich die lokale Umwelt?) bis hin zu einer erweiterten Exportkontrolle (Stelle ich sicher, dass meine Produkte auch nach Versand nur für die Zwecke und von den Akteuren eingesetzt werden, für die sie bestimmt sind?) durchziehen. Nur wenn hier glaubwürdig gehandelt wird, kann der Imagewandel gelingen.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 145 – Thema: Halbzeit. Das Heft können Sie hier bestellen.