Greenpeace protestierte gegen BP und Shell aufgrund der Umweltrisiken der Ölförderung. Gewerkschaften liefen Sturm gegen Kik und Co. wegen menschenunwürdiger Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken. Das Chlorhühnchen ist uns allen als Bild der großen TTIP-Proteste in Erinnerung geblieben. Dass links-ökologische Milieus (Fehl-)Verhalten von Unternehmen kritisieren, gehört zur Tagesordnung der legitimen politischen Auseinandersetzung.
Aktuell beobachten wir eine aktive Gegenbewegung: Markenunternehmen, die zum politischen Diskursteilnehmer avancieren. Sie setzen sich außerhalb ihres eigenen Unternehmenszwecks für Vielfalt, Klimaschutz oder Gleichstellung ein und beteiligen sich damit an politischen Debatten. Das auffällige: Es wird von eher linksorientierten Milieus honoriert.
Jeder zweite Bundesbürger begrüßt gesellschaftliches Engagement von Marken
Eine neue Studie von Civey für das Buch „Marken als politische Akteure“ zeigt, dass rund jeder zweite Bundesbürger gesellschaftliches Engagement von Markenunternehmen befürwortet. 19 Prozent der Deutschen begrüßen es sogar ausdrücklich, wenn sich Unternehmen politisch äußern. Und das tun sie in den letzten Jahren immer häufiger, insbesondere in den USA seit Beginn der Präsidentschaft von Donald Trump. So hat sich der Ölkonzern Exxon zu den Zielen des Pariser Klimaschutzabkommens bekannt, als Trump den Austritt der USA aus diesem Vertrag bekannt gab. Patagonia protestierte gegen die Verkleinerung von Nationalparks mit der Kampagne „The president stole your land“. Nike wählte als Testimonial den Football-Quarterback Colin Kapernick, der sich zuvor als Protest gegen neu aufflammenden Rassismus weigerte, beim Abspielen der Nationalhymne aufzustehen und dafür von Trump lautstark öffentlich missbilligt wurde.
Auch in Deutschland häufen sich Haltungsäußerungen von Marken in der jüngeren Vergangenheit. Die Deutsche Bahn zeigte mit ihrer Kampagne „ToleranzZeit“ Flagge für Vielfalt. Die Eismarke Ben & Jerry’s engagiert sich im Klimaschutz und erinnert die Bundesregierung an ihre Klimaziele, und die Drogeriekette Rossmann wird am Weltfrauentag zu Rossfrau und positioniert sich in der Gender-Equality-Debatte.
Kritische Milieus werden aufgeschlossener
Diese Aktionen werden bemerkenswerterweise von den Milieus befürwortet, die sich sonst kritischer zu Wirtschaftsakteuren äußern. Rund 62 Prozent der Grünen-Wähler und 61 Prozent der Anhänger der Linkspartei honorieren gesellschaftspolitische Standpunkte von Markenunternehmen. SPD-Anhänger unterstützen ebenfalls mehrheitlich politische Haltung. Im Gegensatz dazu stehen mehr als die Hälfte der FDP-Anhänger einer Einmischung von Unternehmen in politische Debatten ablehnend gegenüber. Bei der AfD sind es 62 Prozent der Anhänger.
Konservativ und wirtschaftsliberal Denkende werden kritischer. Klassisch Wirtschaftsferne werden positiver. Lässt sich daher die These vertreten, dass Unternehmen durch ihre Politisierung neue Bündnispartner gewinnen? Dass die Grenzen von Milieus durchlässiger werden? Die „neuen Unterstützer“ entwickeln auch neue Forderungen. Sie sehen Unternehmen in der Verantwortung, gemeinsam mit der Politik an Lösungen gesellschaftlicher Herausforderungen zu arbeiten. Der Schulterschluss Politik und Wirtschaft wird gewünscht. Über die Hälfte der Bürger unterstützen dies explizit.
Druck auf Unternehmen sich zu positionieren wächst
Hinzu kommt: Die Verbraucher nutzen verstärkt ihre Macht. So gaben rund 65 Prozent der Bürger an, dass sie (eher) nicht bei einem Markenunternehmen Produkte kaufen würden, dessen politische Haltung der eigenen widerspricht. Auch hier überwiegen die Anhänger von SPD, Grünen und Linkspartei. Auch negative Beispiele aus der jüngsten Vergangenheit, wie das Edeka-Video zum Frauentag zeigen: Gut gemacht ist noch nicht gut gemeint. Gerade linke Milieus kritisierten sowohl das Frauen- als auch Männerbild im Video und lösten eine breite Debatte zum Thema moderner Gleichstellung aus. Mit einer einfachen, plakativen Idee mit dem Ziel, neue Zielgruppen zu erreichen, ist es somit nicht getan. Jede Haltung muss mit glaubwürdigem und nachhaltigem Inhalt unterfüttert sein.
Der Druck auf Unternehmen wächst, sich in gesellschaftlichen Debatten klug einzubringen und langfristig Verantwortung zu übernehmen. Auch eine Marke, die sich nicht zu Themen positioniert, nimmt eine Position ein und wird in Zukunft auch danach bewertet werden. Viele Unternehmen werden sich dieser Entwicklung nicht entziehen können. Gerade deshalb gilt es nun einen öffentlichen Dialog über die Rolle von Unternehmen zu führen und für Verbraucher, Gesellschaft und Wirtschaft eine Win-Win-Situation zu erzeugen.
Zu den inhaltlichen Stoßrichtungen und konkreten Politikfeldern ergibt sich ein interessantes Bild in den Zahlen von Civey. Klima- und Umweltschutz hat beim Wunsch nach politischer Haltung absolute Priorität bei den Deutschen. 45 Prozent der Bundesbürger sehen darin das wichtigste Thema, zu dem Unternehmen eine Position beziehen sollten – und das parteiübergreifend. Nur die Anhänger der AfD sind tief gespalten bei dieser Frage. Jedoch betont auch in ihrer Gruppe jeder fünfte, dass Unternehmen eine Meinung zum Klimaschutz beziehen sollten.
Marken müsse auf passive Positionierung vorbereitet sein
Markenstrategen sollten sich daher dringend mit diesen Fragen auseinandersetzen: Welche Themen passen zu uns und besitzen Authentizität und Glaubwürdigkeit? Wie gestalten sich Chancen und Risiken? Welche Themen sollten zumindest antizipiert werden für den Fall einer passiven Positionierung, bei der Dritte die Marke mit einem politischen Handlungsfeld in Verbindung bringen? Die Vorbereitung von Assets, Argumenten und Belegen hilft dabei, kurzfristig auf eine mögliche Opportunität zu reagieren.
Eine zentrale Frage für die Bürger ist zuletzt: Werden die Haltung und das Engagement von der obersten Spitze vertreten und gelebt? Jeder zweite Deutsche sieht Geschäftsführer und Vorstände als die wichtigsten Stellungen im Unternehmen, die Haltung zeigen sollten. Die Führungsriege weist somit eine klare Vorbildfunktion auf, der sie auch im Sinne des wirtschaftlichen Erfolgs nachkommen sollten. Unternehmen, bei denen Corporate-Social-Responsibility-Abteilungen und Nachhaltigkeitsbeauftragte allein diesen Bereich abdecken, werden in Zukunft mit ihrer Strategie scheitern. Die „CEO-Aktivisten“ müssen Verantwortung übernehmen. Diese Perspektive wird auch in der internationalen Forschung gespiegelt – so hat die Kommunikationsberatung Weber Shandwick in der Studie „The Purposeful CEO“ seit 2016 auch für die USA diese Erwartungshaltung bei der Bevölkerung und den Mitarbeitern belegt.
In diesem Fluidum entfaltet sich eine Vision eines neuen kollaborativen marktwirtschaftlichen Leitbildes mit intensiv vernetzten Akteuren in einem „Connected Capitalism“. Marken sind fest eingebunden in gesellschaftliche Kontexte, in Diskurse und in soziokulturelle und politische Umfelder, die nicht notwendigerweise nur mit Blick auf die eigenen Produkte und den engen Unternehmenszweck, sondern zunehmend auch in der Perspektive eines „Corporate Political Citizens“ betrachtet werden müssen.