Auf in die Provinz!

In Berlin gibt es weit über 5000 Interessenvertreter und schätzungsweise die dreifache Zahl in Brüssel. Die Zahl derjenigen, die die Interessen einer Region lobbyieren, dürfte europaweit im Null-Komma-Bereich liegen. Dabei haben die Europäische Union und der deutsche Föderalismus mit dem Subsidiaritätsprinzip sowie der damit verbundenen wettbewerblichen Ausrichtung der Regionen durchaus die Provinzen im Fokus ihrer Politik: „Organisiert euch selbst, dann unterstützen wir euch“, ist der richtige Ansatz. Doch im Kampf um Fördermittel, Fachkräfte und Genehmigungen von Infrastrukturprojekten ist es erforderlich, regionale Interessen professionell in den politischen Hauptstädten zu vertreten. Bislang sitzen an den langen Tischen der Bundesregierung und der EU vor allem global agierende Konzerne, welche die Zukunftsprojekte unseres Landes definieren. Die Umsetzung erfolgt in den Regionen, doch davon erfahren die politischen Akteure in der Provinz meistens erst, wenn ein Projekt längst beschlossene Sache ist. Für Landräte, Bürgermeister, Mandatsträger und Familienunternehmen kann Regionallobbying eine sinnvolle Antwort sein.

Image wird wichtiger

Deutschland steht vor einem epochalen Umbruch mit Blick auf die Energie- und Technologiewende. Milliardenbeträge werden in den nächsten Jahren für den Umbau der deutschen Städte und Regionen zur Dezentralisierung der Energieversorgung ausgegeben. Die Vergabe erfolgt wettbewerblich. Wie erfolgreich dies sein kann, zeigt das Beispiel „Innovation-City Ruhr“, eines Wettbewerbs um die besonders energieeffiziente Entwicklung von Wohnquartieren in Kommunen des Ruhrgebiets. Die Management-Gesellschaft moderiert, koordiniert, kommuniziert und erfüllt damit klassische Lobbyarbeit für die Region im internationalen Wettbewerb. Deutlich wird: Die politische Kommunikation, aus den Regionen heraus sowie in ihnen selbst, ist eine Herausforderung, die der Professionalisierung bedarf. Denn der Markt regionaler Interessen ist weitestgehend anarchisch, da es seitens des Staats keine konkreten Vorgaben gibt; auch erfolgt die Allianzbildung zwischen den Regionen bisweilen strategielos oder gar nicht. Pioniere der professionalisierten Interessenvertretung in und für die Region werden künftig auf europäische, bundes- oder landespolitische Vorhaben erfolgreich Einfluss nehmen. Die nüchterne Aussicht: Wer sich der kommunikativen Professionalisierung verwehrt, wird zusehen müssen, was übrig bleibt.
Arthur Benz und Dietrich Fürst haben Regionen als (intellektuelle) Konstrukte beschrieben, die sich über ihre Grenzen erst räumlich konkretisieren. Das Image dieser sozialen Gebilde hat in der neuesten Vergangenheit erheblich an Bedeutung gewonnen. Die in ihnen wirkenden Akteure stehen in der Wahrnehmung oftmals für ein Wertefundament, das als Garant gegen die Wirtschafts- und Finanzkrise gilt. Auch die Spitzenpolitiker haben den Wert der regionalen Traditionen erkannt, sodass in den medienwirksamen Reden Identitätsfiguren wie „Familienunternehmen“ oder die von Angela Merkel genannte „schwäbische Hausfrau“ nicht fehlen dürfen. Regionen haftet somit etwas Freundliches und Traditionelles an, und damit eben – mit Max Weber gesprochen – etwas Nicht-Rationales. Ihr Marketing ist demnach überwiegend kulturtouristisch konnotiert.

Paradoxe Situation

Ihre Events, vornehmlich in den Landesvertretungen verortet, haben Schaufenster- und kaum rationale Agitationsfunktion. Dies ist paradox: Für die politische Sonntagsrede ist die „Region“ ein Wir-Gruppen bildendes Instrument – für die bedarfsorientierte Durchsetzung von Interessen aber ist genau dies der Hemmschuh. Die Strategie muss daher zunächst auf einen Imagewandel abzielen, der eine Abkehr vom klassischen Marketing hin zum Lobbying für Regionen voraussetzt. Dies beinhaltet aber auch die Bereitschaft lokaler öffentlicher Institutionen zur Externalisierung der Kommunikation: Denn eine überparteiliche Agentur rationalisiert die Kommunikation und enthebt sie der Obrigkeitshörigkeit, die in der Provinz systembedingt wirkt und sie mitunter zahnlos macht.
Sucht man einen geeigneten Kommunikator für die regionale Interessenvertretung, muss Ausschau gehalten werden nach jenen, die auch in den Hauptstädten ein Gewicht haben. Dies können Industrie- und Handelskammern, größere Familien­unternehmer und politische Mandatsträger sein. Hingegen werden die projektorientierten, neuartigen Vereine und Consultings, welche das Clustermanagement für Regionen übernehmen, von den regional ansässigen mittelständischen Initiatoren und Treibern oftmals nicht akzeptiert. Eine beauftragte Agentur oder ein Regionalmanager muss dies beachten: Statt sich selbst öffentlich zu kommunizieren, sollten die „einheimischen“ Akteure in den Vordergrund gestellt werden. Die Agentur liefert die wahrnehmbare Professionalisierung jener und zieht im Hintergrund die Strippen. So werden regionale, traditionsreiche Akteure mit einer hohen Bedeutung für die Menschen in der Provinz auch weiterhin als Player wahrgenommen. Ähnlich dem Unternehmenslobbyisten kann der Regionallobbyist Screen­ing und Mapping, Ansprachen, Events, PR-Arbeit und Recherche für erfolgreiches Lobbying liefern – die entscheidende Kommunikation ist auch hier Chefsache zwischen dem in der Region anerkannten Vertreter und dem politischen Entscheider im Bund oder bei der EU.
Eine besondere Herausforderung für regionale Campaigner ist es, nicht nur in Berlin oder Brüssel präsent zu sein, sondern die Kommunikation, welche die Hauptstädte erreichen soll, zu steuern. Dies erfordert ein Vorgehen, das zwischen den diversen Stakeholdern vermittelt. Man kann dies als Prozess kollektiver Identitätsbildung beschreiben. Denn erstens soll die Bürgerschaft das zu lobbyierende Projekt tragen, zweitens wollen die politischen Mandatsträger, Medien und Unternehmer mobilisiert werden, und drittens gilt es, auch die Gegner des Vorhabens dergestalt zu integrieren, dass kein überregional wahrnehmbares Störfeuer zu erwarten ist.

Vorbild Schweiz

Regionallobbying erfordert die Anpassung der Lobbyinginstrumente sowie die Berücksichtigung von traditionellem, das heißt: nicht-rationalem Denken und Handeln. Regionen sind bislang schwer kampagnenfähig. Denn die Organisation von Interessenvertretung erfolgt, wenn überhaupt, durch kommunale Pressereferate, die im kommunalen Tagesgeschäft schwimmen. Chancen und Risiken externer Politikprozesse für die eigene Region können so nicht strategisch erarbeitet werden. In der Schweiz ist dies ein bekanntes Problem: Kantone haben dort eigene Lobbyisten im Bundeshaus. Der Bedarf an Professionalisierung ist somit enorm, doch das Bewusstsein muss erst geschaffen werden. So müssen Spezialisten ihr hilfreiches Angebot zunächst bewerben: Ab in die Provinz!

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Überleben – Krisenkommunikation für Politiker. Das Heft können Sie hier bestellen.