Auf der Zielgeraden

Angela Merkel sieht zufrieden aus. Neben ihr sitzt Franz Müntefering und beantwortet die Fragen der Pressevertreter: „Die Botschaft kann sein: Da fangen welche an, die entschlossen sind, das Land nach vorne zu bringen.“ Es sei „Erstaunliches gelungen“, legt die CDU-Vorsitzende nach. Hinter ihr liegen 26 Tage Verhandlungen über ein Bündnis, das als die zweite Große Koalition in die Geschichte der Bundesrepublik eingehen wird. „Gemeinsam für Deutschland. Mit Mut und Menschlichkeit“, so lautet der Titel des Koalitionsvertrags, den die Vertreter von CDU/CSU und SPD gerade beschlossen haben, es ist der 12. November 2005.
Auf den mehr als 200 Seiten des Regierungsprogramms kündigten die Parteien grundlegende Reformen an, die das Land „zukunftsfähiger“ machen sollten. Mittlerweile sind die wichtigsten Punkte abgearbeitet. Der Bundestag verabschiedete in dieser Legislaturperiode unter anderem eine Föderalismusreform, reformierte das Gesundheitssystem, gestaltete die Förderung der Kinderbetreuung um und erweiterte die Kompetenzen des Bundeskriminalamts zur Terrorbekämpfung.

Volle Konzentration

In den letzten Monaten der Legislaturperiode stehen vor allem die 16 Wahlen des Jahres 2009 im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Politiker. Das Restprogramm der Koalition bietet jedoch noch einige Stolpersteine. So verabschiedete das Parlament zwar den Großteil der Föderalismusreform, die wichtige Neuregelung der Bund-Länderfinanzen jedoch steht noch aus. Am 5. Februar trifft sich die Föderalismuskommission II zu ihrer letzten Sitzung. Das zentrale Thema wird die Schuldenregelung der Länder sein.
Vor allem die Weltwirtschaftskrise fordert derzeit die volle Aufmerksamkeit der Regierenden. „Bis zur Wahl wird die Regierung alle Hände voll zu tun haben, um die Wirtschafts- und Finanzkrise in erträglichen Grenzen zu halten,“ sagte Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Im Konjunkturpaket II sind mehr als 50 Milliarden Euro für die Stärkung der Wirtschaft vorgesehen, ob vielleicht noch ein drittes Paket notwendig ist, kann zu diesem Zeitpunkt noch niemand sagen. „So werden die letzten Monate der Großen Koalition zu ihrer größten Bewährungsprobe,“ ergänzte der Gewerkschaftsführer.
Die politische Arbeit der beiden Fraktionen wird angesichts der Landtagswahlen auf eine harte Probe gestellt. „Deutschland wird dieses Jahr in permanentem Wahlkampf sein“, sagte BDI-Präsident Hans-Peter Keitel Mitte Januar. Deshalb sei die Versuchung stets groß, mit der aktuellen Politik auf die nächsten Wahlen Rücksicht zu nehmen. Für solche Rücksichten sei aber kein Platz. Oskar Niedermayer, Parteienforscher an der Freien Universität Berlin, beruhigt: „Es muss Platz für konstruktive Politik sein für den Rest des Jahres, weil die Parteien bei den Bürgern in der Pflicht stehen.“ Dass von nun an nur noch Wahlkampf herrscht, glaubt er aber nicht.
In den Fraktionen laufen jedenfalls die Planungen für den Rest des Jahres. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Thomas Oppermann, spricht von einem „ambitionierten Programm“, das die Koalition in den nächsten Monaten beschäftigen wird. Die Gefahr eines Dauerwahlkampfs wiegelt er ab: „Wir sind ja nicht in diese Ämter gewählt worden, um ausufernde Wahlkämpfe zu machen, sondern um das Land in der Krise gut zu regieren.“ Dafür würde im Sommer der Kampf um die Wählerstimmen umso heftiger geführt werden. Sein Pendant bei der CDU, Norbert Röttgen, wollte sich gegenüber p&k zum Restprogramm der Regierung nicht äußern.
Neben den bereits geplanten Gesetzesvorhaben (siehe Kasten) gibt es mehrere andere, deren weitere Zukunft in den Sternen steht. Besonders trifft dies auf das Dauerprojekt Umweltgesetzbuch zu, das laut Koalitionsvertrag vor der nächsten Bundestagswahl verabschiedet werden sollte und für Oppermann einen wichtigen Punkt darstellt. Sigmar Gabiel unternahm diese Woche einen letzten Versuch die Skeptiker, wie Horst Seehofer, umzustimmen. Eine Beendigung der anhaltenden Streitigkeiten ist jedoch unwahrscheinlich und verschiebt den Abschluss des Gesetzes auf unbestimmte Zeit. Ähnliches gilt für die Bankenaufsicht und die Regelung der Managergehälter.
Für eine Bilanz der Großen Koalition ist es noch zu früh. Die Gesundheitsreform zum Beispiel steht immer noch in der Kritik, auch über das BKA-Gesetz wird weiter gestritten. Einzig für das Bankenrettungspaket erhalten CDU/CSU und SPD von allen Seiten Lob, Ähnliches gilt für das Konjunkturprogramm II: „Die große Koalition hat mit dem zweiten Konjunkturpaket einen richtigen Schritt getan“, sagt beispielsweise Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt. Der Mindestlohn wiederum scheint langsam durch die Hintetür eingeführt zu werden. Der Bundestag nahm weitere sechs Branchen in das Entsendegesetz auf. Fast vier Millionen Beschäftigte sind nun durch eine Lohnuntergrenze geschützt.
Aushängeschild der Regierung Merkel hätte eigentlich die Haushaltskonsolidierung sein sollen. Nach dem Plan von Finanzminister Peer Steinbrück wäre Deutschland 2011 in der Lage gewesen, erstmals seit mehr als 40 Jahren wieder ohne Neuverschuldung auszukommen. Dies wäre ein historischer Schritt gewesen. Dann kam die Finanz- und Wirtschaftskrise dazwischen. Nun müssen die öffentlichen Haushalte wieder kräftig durch Kredite finanziert werden, um der Rezession zu trotzen.

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