p&k: Herr McAllister, vor einem Dreivierteljahr haben Sie den Ministerpräsidentensessel gegen einen einfachen Sitz im niedersächsischen Landtag eingetauscht. Wie ist es denn so, wieder normaler Abgeordneter zu sein?
David McAllister: Es geht mir gut. Klar, zunächst war das ein Prozess der Umstellung und Entschleunigung. Die Taktung ist jetzt eine andere: weniger Termine, weniger Post, weniger Medienanfragen, und auf dem Blackberry blinkt nicht mehr alle drei Minuten eine Agenturmeldung. Ich habe mich nach der Wahlniederlage auch ganz bewusst mit öffentlichen Terminen zurückgehalten.
Dass Sie unter dem Verlust des Amtes gelitten haben, war Ihnen aber deutlich anzumerken.
Dieser Eindruck täuscht. Ich war leidenschaftlich gern niedersächsischer Ministerpräsident und wäre dies auch sehr gerne geblieben. Wahr ist aber auch, dass CDU und FDP im Mai 13 Punkte hinter Rot-Grün lagen. Wir haben um Niedersachsen gekämpft und nach einer fulminanten Aufholjagd ganz knapp nicht gewonnen. Aber zur Demokratie gehören nun mal Sieg und Niederlage. Ämter werden in einer Demokratie immer nur auf Zeit vergeben. Wer Politik macht, weiß das.
Warum wollen Sie eigentlich keinen Posten im Bundeskabinett übernehmen?
Nach der Wahl habe ich lange überlegt und viele Gespräche geführt: Soll ich in der Landespolitik bleiben, auf einer anderen Ebene etwas machen oder die Politik ganz verlassen? Als dann Hans-Gert Pöttering, der seit 30 Jahren unser niedersächsischer Spitzenmann in Straßburg und Brüssel ist, erklärte, nicht wieder für das Europäische Parlament zu kandidieren, haben mich viele Parteifreunde ermutigt, für den ersten Platz unserer CDU-Landesliste für die Wahl zum Europaparlament anzutreten. Das war also eine bewusste Entscheidung für Europa und nicht gegen Berlin.
Dennoch halten sich hartnäckig Spekulationen, dass Sie doch noch ins künftige Bundeskabinett wechseln könnten.
Mein parlamentarischer Weg geht nach Straßburg und Brüssel. Nun freue ich mich auf eine neue politische Herausforderung.
Warum zieht es Sie mehr nach Brüssel als nach Berlin?
Weil viele Weichen, zum Beispiel in der Energiepolitik, bei der Strukturförderung oder für die Landwirtschaft, heute von der EU gestellt werden. Dabei geht es um zentrale Interessen der Menschen in unserem Land. Meine Entscheidung für Brüssel ist auch vor dem Hintergrund gefallen, dass ich dort viel für Niedersachsen erreichen möchte.
Nach echter Europabegeisterung klingt das aber nicht.
Im Gegenteil, ich bin überzeugter Europäer, nicht zuletzt aufgrund meiner deutsch-britischen Herkunft. Die Europäische Union ist eine einmalige Wertegemeinschaft, die uns Frieden und Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie Wohlstand und soziale Sicherheit garantiert. An diesem einzigartigen Projekt mitzuwirken und es den Menschen näher zu bringen, dafür möchte ich mich engagiert einsetzen.
Vor Harmonie strotzen die Beziehungen der Mitgliedsstaaten derzeit ja nicht gerade. Vor allem Bundeskanzlerin Merkel ist in europäischen Krisenländern wie Griechenland und Italien höchst unbeliebt. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass sie mit ihren rigiden Sparvorgaben das „einzigartige Projekt Europa“, wie Sie es genannt haben, aufs Spiel setzt?
Nein. Deutschland geht es auf Dauer nur gut, wenn es ganz Europa gut geht. Finanzielle Stabilität und Strukturreformen gehören zusammen, um verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen. Für diese Politik steht Angela Merkel. Sie ist eine weltweit angesehene Regierungschefin. Ihre Wahrnehmung in geringeren Teilen der Öffentlichkeit einiger Mitgliedsstaaten der EU ist ohnehin uneinheitlich bis widersprüchlich.
Das müssen Sie erklären.
Auf der einen Seite gibt es die Kritik, dass Deutschland zu sehr auf Haushaltskonsolidierung und strukturelle Reformen drängt. Auf der anderen Seite heißt es, Deutschland würde in Europa zu wenig führen. So hat der britische „Economist“ Deutschland eine Titelgeschichte gewidmet: „The reluctant hegemon“. Da sehen Sie schon die ganze Bandbreite, wie die Politik der Bundesregierung in anderen Ländern beurteilt wird – von angeblich zu starker deutscher Dominanz bis hin zu einem angeblich nicht wahrgenommenen deutschen Führungsanspruch. In der Mitte liegt – wie so oft – wohl die Wahrheit.
Die Beurteilung Merkels etwa in Griechenland dürfte aber eindeutig ausfallen: Dass sie mit ihren harten Sparforderungen den Menschen dort das Äußerste abverlangt.
Die Konsolidierung für solide Staatsfinanzen, Strukturreformen für mehr Wettbewerbsfähigkeit sowie Impulse für mehr Wachstum und Beschäftigung sind die zentralen Herausforderungen, um Europa zukunftsfest zu machen. Das gilt auch für Griechenland.
Welche Rolle sollte Deutschland künftig dabei spielen?
Die bestehenden Schwierigkeiten werden am besten behoben, wenn wir weiterhin die momentan schwächeren Partner „fördern und fordern“. Wer Hilfe braucht, soll durch eigene Leistungen dazu beitragen, die entstandenen Probleme zu lösen. Dazu gehört, die Schulden zu reduzieren und ebenso, mehr in Bildung, Forschung und Technologie zu investieren. Vor allem aber muss der Konstruktionsmangel der Währungsunion behoben werden.
Der da wäre?
Weil wir eine gemeinsame Währung haben, brauchen wir eben auch eine vertiefte wirtschaftspolitische Koordinierung unter den Mitgliedsstaaten, zum Beispiel in der Steuer- oder Arbeitsmarktpolitik. Sinnvoll ist ein Pakt für mehr Wettbewerbsfähigkeit, in dem die Nationalstaaten sich mit der Kommission und dem Europäischen Parlament auf konkrete Maßnahmen verständigen, um ihre Lage zielgenau zu verbessern.
Als CDU-Politiker mit einem deutschen und einem britischen Pass pflegen Sie ja einen engen Draht zu den britischen Konservativen.
Ja. Zuletzt war ich Ende September auf dem Parteitag der Conservatives in Manchester und habe dort unter anderem Außenminister William Hague und Europaminister David Lidington gesprochen. Premierminister David Cameron kenne ich auch aus mehreren Begegnungen.
Damit sind Sie ja geradezu prädestiniert für eine Art Sondermission, von der die „Welt“ erfahren haben will: die Tories in die Europäische Volkspartei (EVP) zurückzuholen, die sie vor vier Jahren verlassen haben.
2009 habe ich es sehr bedauert, dass die britischen Konservativen die EVP/ED-Fraktion im Europaparlament verlassen haben. Es war ihre Entscheidung. Die Tories werden auch alleine entscheiden, ob sie zurückkehren wollen. Die Tür steht offen, aber wir verbiegen uns nicht. Bei wichtigen Themen der Wirtschafts- und Finanzpolitik etwa gibt es ein großes Maß an Übereinstimmung zwischen CDU, CSU und den britischen Konservativen. In europapolitischen Grundsatzfragen haben wir allerdings unterschiedliche Auffassungen.
Premier Cameron geht ja sogar so weit, die Mitgliedschaft Großbritanniens in der EU in Frage zu stellen.
Bei den Konservativen gibt es ganz unterschiedliche Tendenzen. Es gibt proeuropäische, aber auch dezidiert euroskeptische Stimmen. Bei Letzteren schüttele ich oft und energisch mit dem Kopf. Gleichwohl ist es hilfreich, die Argumente dieser Leute zu kennen und zu beobachten, ob und wie sie bei ihren Anhängern ankommen. Auch deshalb bin ich auf dem Parteitag in Manchester gewesen. Persönlich werbe ich bei jeder Gelegenheit für einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union.
Wie schätzen Sie die Lage ein?
Premierminister Cameron hat einen Fahrplan vorgestellt. Die Konservativen wollen 2015 mit dem Versprechen eines Referendums über die Mitgliedschaft in der EU in den Wahlkampf zum Unterhaus ziehen. Dieses mögliche Referendum soll dann spätestens bis 2017 stattfinden. Vorher will der Premierminister über aus seiner Sicht substanzielle Verbesserungen in der EU verhandeln. Nun gilt es erst mal abzuwarten, welche konkreten Vorschläge die britische Seite überhaupt macht.
Zurück zu Ihnen: Da Sie nicht nur die deutsche, sondern auch die britische Staatsangehörigkeit besitzen, könnten Sie auch in die britische Politik gehen. Ist das eine Option für Sie?
(lacht.) Nein. Ich bin in Deutschland zuhause und meine Familie lebt hier. Ich bin auch sehr gerne Vorsitzender der CDU in Niedersachsen. Das soll so bleiben. Aber ich werde regelmäßig nach Großbritannien eingeladen. Einen deutschen Politiker mit schottischem Nachnamen findet man auf der Insel interessant.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Team America – Die neuen Transatlantiker. Das Heft können Sie hier bestellen.