p&k: Herr Professor Korte, der Ausgang der Landtagswahl in Thüringen war denkbar knapp, sowohl Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht als auch der Spitzenkandidat der Linken, Bodo Ramelow, haben sich am Sonntagabend zum Wahlsieger erklärt. Für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass Ramelow Ministerpräsident in Thüringen wird?
Karl-Rudolf Korte: Ich glaube nicht, dass es in Thüringen eine rot-rot-grüne Koalition geben wird – auch vor dem Hintergrund, dass es bisher kein Erfolgsmodell gibt für Dreierkoalitionen auf Landesebene. Die letzte, die 2012 mit großem Aplomb gescheitert ist, war die so genannte Jamaika-Koalition in Saarbrücken.
Großer Wahlverlierer in Thüringen ist die SPD. Warum tun sich die Sozialdemokraten – abgesehen von Brandenburg – so schwer in den neuen Bundesländern?
Weil die eigentliche Kümmerer- und Servicepartei in den neuen Bundesländern nach wie vor die Linke ist. Diesem Image läuft die SPD hinterher. Was die Zahl der Bundestagsdirektmandate angeht, ist eindeutig die Union die Partei des Ostens.
Liegt das miserable Ergebnis der SPD auch daran, dass sie sich im Vorfeld der Wahl nicht festgelegt hat, mit wem sie koalieren will?
Ja, das war ein großer Fehler. Ein Wähler möchte Macht verteilen, möchte wählen, abwählen, Unterschiede markieren. Wenn aber überhaupt nicht klar ist, was mit seiner Stimme am Ende passiert, dann geht er nicht wählen. Dass sich die SPD nicht festgelegt hat, mit wem sie ein Regierungsbündnis anstrebt, hat also sowohl zur mangelnden Mobilisierung für die SPD als auch zur niedrigen Wahlbeteiligung insgesamt beigetragen.
War das ausschließlich ein Fehler des thüringischen Landesverbandes oder sehen Sie auch eine Mitschuld der Bundes-SPD?
Nein, die sehe ich nicht. Der thüringische Landesverband der SPD ist – wie schon bei der letzten Wahl 2009 – erkennbar zerrissen. Es gab ja auch bereits vor fünf Jahren eine linke Mehrheit. Insgesamt hat es seit 1990 26 Mal eine linke Mehrheit gegeben. Aber nur in fünf Fällen ist daraus eine Regierungsbeteiligung der Linken erwachsen. Sie ist also ein Ausnahmefall.
Die sozialdemokratische Spitzenkandidatin Heike Taubert hat vor der Wahl gesagt: „Die Wähler verlangen Koalitionsaussagen, sie selbst sind aber volatil, das macht es uns als Parteien schon schwer.“ Stimmen Sie dieser Diagnose zu?
Ja. Wählerische Wähler sind volatil, besonders in Ostdeutschland. Parteien müssen sich in einer Koalitionsdemokratie Optionen vielfältiger Art offenhalten, um überhaupt noch mehrheitsfähig zu sein. Und sie müssen schon im Vorfeld deutlich machen, mit wem sie zusammenarbeiten wollen. Das ist wichtig. Dann kann es eben auch durchaus sein, dass man lagerübergreifende Bündnisse als Erfolgsmodell propagiert.
In Brandenburg hat der Linken ihr Kümmerer-Image offensichtlich nichts genutzt. Wie erklären Sie sich den dortigen Absturz der Partei in der Wählergunst?
Da wird ein klassisches Muster deutlich: Der Juniorpartner in einer großen Koalition gewinnt nie dazu. Ein einziges Mal – bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 1998, die zeitgleich mit der Bundestagswahl stattfand –, ist es einer rot-roten Koalition gelungen, als große Koalition zuzulegen.
Ministerpräsident Dieter Woidke (SPD) hat am Wahlabend angekündigt, sowohl mit der CDU als auch mit der Linken Sondierungsgespräche führen zu wollen. Welche Koalitionsoption halten Sie für am wahrscheinlichsten?
Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass sich Woidke diesmal für die Union entscheiden wird, weil sie offenbar gestärkt, verlässlicher und geschlossener ist, als es in der Vergangenheit der Fall war. Zudem kann er dann die Probleme im Land mit einer neuen Perspektive angehen und zu lösen versuchen.
Hätte es für die SPD nicht auch Vorteile, die Koalition mit einem geschwächten Partner fortzusetzen?
Nein, denn Schwäche führt im Regierungsalltag zu Irritationen. Koalitionen der Differenzen lassen sich nur mit starken Partnern machen, nicht mit schwachen. Es ist viel leichter, mit einem Partner zu verhandeln, der stark, verlässlich und berechenbar ist. Nur dann lassen sich Konflikte einhegen. Schwache Partner in der Koalition sind fatal für jeden Konflikt.
Die Linke hat viele Wähler an die AfD verloren. Wie lässt sich das erklären? Man würde doch vermuten, dass das Wählerpotenzial der beiden Parteien auseinanderklafft.
Nein, die AfD kriegt ja Zulauf aus allen Parteien. Und als klassische Neu- und Protestpartei bringt sie vor allem konjunkturelle Nichtwähler an die Wahlurne. Das ist nicht nur ein Problem für die Linke, sondern eine Herausforderung für das gesamte Parteienspektrum.
Einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen zufolge hat die AfD besonders stark bei Arbeitslosen, Selbstständigen und Männern gepunktet. Was verrät das über die Partei?
Dass sie zum einen eine Protestpartei ist, die zum zweiten mit Themen zieht, die stark rechtskonservativ sind, und die zum dritten auch Nichtwähler mobilisieren kann. Man darf aber nicht vergessen, dass sie auch im Bildungsbürgertum Zuspruch erfährt. Die AfD hat ja drei Flügel: einen nationalkonservativen, einen rechtspopulistischen und einen neoliberalen.
Meinen Sie, dass einer dieser Flügel die Partei in absehbarer Zeit dominieren wird?
Nein, die AfD ist eine Sammlungsbewegung. Welche Richtung die Partei künftig akzentuieren wird, ist derzeit absolut unkalkulierbar. Das wird natürlich auch von den Kandidaten abhängen und von den Schwerpunkten, die sie setzen werden.
In Brandenburg durften erstmals in einem Flächenland Jugendliche ab 16 Jahren mit abstimmen. Wie hat sich das auf das Wahlergebnis ausgewirkt?
Jüngere wählen in der Regel weniger etablierte Parteien. Davon scheinen die Grünen in Brandenburg profitiert zu haben. Denn auch wenn sie nicht unbedingt so aussehen – die Grünen wirken auf Jugendliche oftmals weniger etabliert. Der Wermutstropfen dabei: Zwar nehmen Erstwähler überproportional häufig an Wahlen teil. Die zweite Gelegenheit, zur Wahl zu gehen, lassen die meisten jungen Menschen aber aus. Das ist eine traurige Erkenntnis der Wahlforschung. Insofern ist langfristig nicht davon auszugehen, dass durch eine Senkung des Wahlalters eher linke, weniger etablierte Parteien gestärkt werden.
Die Wahlbeteiligung war sowohl in Thüringen als auch in Brandenburg sehr gering. Damit scheint sich der Negativtrend, der bei der Landtagswahl in Sachsen begann, fortzusetzen. Ist diese Wahlmüdigkeit ein „Ostproblem“?
Nein, sie ist auch ein Westproblem. Die Frage ist, wie man bei relativer Zufriedenheit und hohem Wohlstand noch für Wahlen mobilisieren kann. Das ist eine ständige Herausforderung in einer politischen Kultur, die extrem mittig ist und daher wenig Alternativen anbietet.