Was Politiker von Boxern lernen können

Politik

Andrea Nahles will der CDU auf die Fresse geben. Alexander Gauland will die Kanzlerin jagen. Der Wahlkampf und die ersten Stunden und Tage danach haben gezeigt: Irgendetwas läuft nicht rund im System der Bundesrepublik und es hat viel mit Kommunikation zu tun. Große Teile der Bevölkerung misstrauen den Parteien, die Parteien misstrauen den Medien. Es herrscht Verunsicherung im Land, ganz unten genauso wie ganz oben. Das ist alles ziemlich kompliziert. Um die Dinge ein bisschen besser zu machen, könnte man in dieser Legislatur damit anfangen, die Kommunikation besser zu machen.

Die Zeiten werden rauer im Deutschen Bundestag. Und die Sprache auch. Sprache aber prägt die Wahrnehmung von Wirklichkeit und in der Konsequenz das Denken und Handeln von Menschen. “Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt” lautet ein Aphorismus von Wittgenstein. Wenn ich diese Grenzen nicht überwinde, kann ich mich nicht verständigen. Nicht in anderen Ländern, aber auch nicht mit meinem politischen Gegner.

Auf dem Fußballplatz im Verein meines Sohnes gibt es dafür Regeln. Es wird Deutsch gesprochen, damit niemand ohne sein Wissen in einer anderen Sprache beleidigt werden kann. Wenn jemand beleidigt wird, ist das ein Sprach-Foul. Dafür werden Spieler, Trainer und nicht so selten auch Eltern vom Spielfeld oder Spielfeldrand verwiesen. Darüber gibt es einen Konsens und deswegen funktioniert das.

Ein paar Grundregeln, mehr braucht es nicht

Im politischen Raum ist der Konsens darüber, wie man anständig miteinander spricht und wie man mit den Bürgern kommuniziert, in die Brüche gegangen. Die Verunsicherung ist groß: Brauchen wir mehr oder weniger Konflikt? Einfache Erklärungen oder differenzierte Antworten? Aufschrei oder Gelassenheit? Ein ziemliches Durcheinander. Das kriegt man aber wieder hin, wenn sich die Beteiligten an einige einfache Regeln erinnern, die der Sache guttun:

1. Wir müssen wieder lernen, uns zu streiten, ohne uns zu hassen. Wir brauchen eine Debattenkultur im Bundestag, die dem politischen Gegner wie einem Boxer im Ringkampf begegnet. Mit Respekt und klaren Regeln, aber natürlich darf man zuschlagen. Es gibt die Kunst des “anständigen” Beleidigens, ohne persönliche Verletzungen und ohne Hass oder Wut zu schüren. Und ohne gespielte Empörung.

2. Wir dürfen Sprachlosigkeit nicht mehr zulassen. Wenn ich meine Frau richtig wütend machen will, dann schweige ich sie an. Ignoranz ist Gift für jede Beziehung. Martin Schulz hat das Schweigen der Kanzlerin einen “Anschlag auf die Demokratie” genannt. Aber die SPD hat in den Jahren der Regierungsverantwortung auch zu viel und zu laut geschwiegen.

3. Wir brauchen eine neue Ehrlichkeit im Austausch mit den Bürgern. Dazu gehört es auch, Fehler zuzugeben und zu sagen, wenn man etwas nicht weiß. Und dazu gehört ein unermüdliches Erklären, selbst wenn die Dinge zu kompliziert erscheinen. Die Regierung hat in der Eurokrise, bei TTIP, in der Flüchtlingspolitik zu wenig erklärt und zu wenig gesagt, was schiefgelaufen ist. Das verstehen viele Menschen nicht, aber sie spüren, dass etwas nicht stimmt.

4. Auf Facebook und Twitter brauchen wir mehr individuelle Verantwortung jedes Bundestagsabgeordneten, der seine Community wie Freunde und nicht wie Stimmvieh behandeln sollte. Ehrlich und anständig. Die schönste Anleitung hierzu kam im Wahlkampf per Twitter vom DGB Bayern: “Bevor man einen Kommentar postet, stellt man sich vor, wie man ihn abends seinen Kindern vorliest. Würde man sich dafür schämen, postet man ihn nicht.”

5. Die viel gescholtenen Medien sollten sich selber genauso kritisch hinterfragen wie die Politik. Die “New York Times” und die “Washington Post” haben nach der Trump-Wahl Sternstunden des Journalismus geschaffen, mit einer neuen Gründlichkeit, Hartnäckigkeit und jeder Menge selbstbewussten Selbstkritik. Die Abo-Zahlen steigen und die Glaubwürdigkeit auch.

Das ist eine ziemlich naive Liste mit Wünschen. Aber vielleicht müssen wir uns auch wieder mehr Naivität leisten. Viele Dinge, die das Miteinander ausmachen, sind kinderleicht und zugleich richtig. Ich höre zu, wenn mir jemand etwas sagt. Ich erkläre, wenn jemand etwas nicht versteht. Ich gebe Fehler zu, wenn ich welche gemacht habe. Das sind die Grundlagen von Anstand und Respekt. Altmodisch, naiv – und gut.