Warum Sahra Wagenknecht und Thomas Kemmerich Themen der Rechten aufgreifen

Politik

“Liebe Friedensfreunde”, ruft Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht ihrem Publikum am 25. Februar vor dem Brandenburger Tor zu. „Ich bin so froh, dass ihr alle heute gekommen seid.“ Friedenstauben- und Regenbogenflaggen wehen, vereinzelt halten Menschen Transparente in Schwarz-Rot-Gold hoch. Parteiflaggen sind an jenem Tag, an dem Wagenknecht gemeinsam mit der Publizistin Alice Schwarzer zum „Aufstand für Frieden“ lädt, streng verboten. Es soll um Inhalte gehen, wie etwa die Forderung, Deutschland solle keine Waffen mehr in die Ukraine liefern. Dennoch dreht sich die Diskussion hauptsächlich um die Frage: Wo verorten sich die Besucher des „Aufstands“ politisch? Welche Partei wählen sie, und in welcher sind sie vielleicht sogar Mitglied? Wagenknecht weiß wohl genau: Ihre Demonstration, die auch politische Gegner ihrer eigenen Partei anzieht, sorgt für medialen Zündstoff. „Die Kampagne gegen uns, sie gipfelte darin, dass man versucht hat, uns in die Nähe der ex​tremen Rechten zu rücken“, sagt Wagenknecht in Berlin.

Damit spricht sie auch Gegner innerhalb der Linken an. Wagenknecht gilt seit Jahren als umstrittene Figur in ihrer Partei. Parteiinterne Kritiker werfen ihr vor, mit rechtspopulistischen Argumenten zu zündeln. „Sahra Wagenknecht wird mit der AfD keine Allianzen eingehen, das versteht sich von selbst“, betont Caroline Heptner, Büroleiterin und Sprecherin von Wagenknecht. „Wenn sie andere Ansichten als die Bundesregierung vertritt, etwa bei Fragen um Waffenlieferungen oder bei der Corona-Politik, und deshalb in die rechte Ecke gedrängt wird, ist das politische Strategie.“ Politiker dürften Themen nicht einfach ignorieren, die auch Wähler der AfD bewegen, sondern müssten sich damit auseinandersetzen. Schließlich seien viele ihrer Wähler nicht rechts, sondern nur unzufrieden mit der Berliner Politik. „Daher sollte sich jede Partei auch mit den Themen der AfD auseinandersetzen, um den Menschen Alternativen zu bieten“, sagt Heptner. „Denn wer zu diesen Themen schweigt oder die Menschen, denen sie wichtig sind, diffamiert, wird keine Wähler zurückgewinnen.“

Das stellt Heptner, Wagenknecht und ihr Team vor eine kommunikative Herausforderung. Im Fall des „Aufstands für Frieden“ bedeutete das vor allem: Ruhe bewahren und sich von jenen distanzieren, deren Ideologie man nicht teilt. „Dass beispielsweise Reichsbürger und Neonazis, die in der Tradition eines Regimes stehen, das den schlimmsten Weltkrieg der Menschheitsgeschichte zu verantworten hat, auf einer Friedenskundgebung nichts zu suchen haben, versteht sich von selbst“, sagt Heptner. Wagenknecht habe dies in Interviews mehrfach betont.

Die Linken-Spitze ist jedoch der Ansicht, Wagenknecht habe sich nicht ausreichend von Rechten distanziert. „Ganz konkret fehlt uns in dem Aufruf die klare Abgrenzung nach rechts, die nämlich augenblicklich dazu führt, dass namhafte Nazis und rechte Organisationen diesen Aufruf unterstützen und massiv zu der Demo am 25. mobilisieren“, zitiert die Deutsche Presseagentur (dpa) Tobias Bank, Bundesgeschäftsführer der Linken.

Wagenknecht macht es sich zu leicht

Matthias Quent sieht das ähnlich. Der Soziologe, Rechtsextremismusforscher und Mitgründer des Instituts für demokratische Kultur (IdK) an der Hochschule Magdeburg-Stendal sagt: „Die Zusammenkünfte zwischen Sahra Wagenknecht und Rechten, zum Beispiel auf Demonstrationen, sind ja nicht zufällig – sie ergeben sich, weil man dieselben Themen und Narrative bedient, teilweise dieselben illiberalen Antworten darauf findet.“ Einige in der Linkspartei, wie Diether Dehm, würden ebenso wie Rechtsextreme auf eine „Querfront“ hoffen. Es gibt aber nicht nur inhaltliche Parallelen, sondern auch Gemeinsamkeiten in der Kommunikation: „Gewisse linke und rechte Akteure emotionalisieren Themen und verkürzen deren Komplexität stark“, sagt der Wissenschaftler. „Wenn Wagenknecht den Vorwurf, sie mache sich mit Rechten gemein, als diffamierend bezeichnet, macht sie es sich also zu leicht – und entfernt sich aus einer inhaltlichen Auseinandersetzung.“

Linke, so Quent, müssten sich durch „emanzipatorische Positionen“ – auch kommunikativ – von Rechten abgrenzen. „Sie könnten stärker kritisieren, dass Russland auch eine Oligarchie mit extremer Ungleichheit ist, einen schrecklichen Krieg gegen die Ukraine, aber auch gegen die eigene Zivilgesellschaft führt“, sagt er. Man müsse sich klar auf die Seite der Betroffenen stellen. Das würde es AfD und Co erschweren, sich anzuschließen – und damit den Vorwurf entkräften, man stehe auf der Seite von Rechten. „Es gilt: starke Akzente statt Alibi-Argumente“, betont Quent.

Solange das nicht geschieht, haftet das gigantische Imageproblem an der gesamten Partei. Bodo Ramelow, linker Ministerpräsident in Thüringen, befürchtet, dass die Streitereien in seiner Partei den inhaltlichen Diskurs verblassen lassen. „Die innerparteiliche Debatte um Frau Wagenknecht führt dazu, dass wir über unsere politischen und gesellschaftlichen Positionen überhaupt nicht mehr wahrgenommen werden“, sagte Ramelow der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Kemmerich gilt als Querschläger

Nicht nur Sahra Wagenknecht musste in den vergangenen Jahren Kritik aushalten, sich dem rechten Lager anzunähern. Auch Thomas Kemmerich, Vorsitzender der FDP Thüringen und Mitglied des Landtags, kennt entsprechende Vorwürfe. Kemmerich wurde im Februar 2020 in Thüringen zum Ministerpräsidenten gewählt – mit den Stimmen der AfD. Der dortige Landesverband wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BV) beobachtet, den Vorsitz der Thüringer Landtagsfraktion hat der Rechtsextreme Björn Höcke inne.

Indem Kemmerich die Wahl an­nahm, löste er bundesweit ein politisches Beben aus. Weil seine eigene Partei und die Öffentlichkeit protestierten, kündigte er nur einen Tag nach der Wahl seinen Rücktritt an. Im Oktober 2020 wies Kemmerich auf Twitter jedes Fehlverhalten von sich: „Nicht die Annahme der Wahl war der Fehler, sondern der Umgang der anderen demokratischen Parteien mit der Situation.“ Die Konsequenz: Das FDP-Bundespräsidium beschloss, dass es keine „finanzielle, logistische oder organisatorische Unterstützung für einen Wahlkampf eines Spitzenkandidaten Thomas Kemmerich durch den Bundesverband geben wird.“

Kemmerich gilt als Querschläger in der FDP, immer wieder sieht er sich der Kritik ausgesetzt, er bandele mit der AfD an – zuletzt Ende März 2023, als der Kurzzeitministerpräsident im Youtube-Talkformat von Julian Reichelt sagte: „Wir brauchen politisch gute Ideen aus der Mitte. Und wenn die dann eine Mehrheit finden trotz oder mit der AfD, dann ist die Mehrheit halt da.“ Mit der AfD konstitutionell kooperieren will er nicht. Auch im Gespräch mit p&k betont Kemmerich diesen Punkt und distanziert sich von den rechtsextremen Standpunkten der Partei. Er bekennt sich zum Beschluss der Bundes-FDP – veröffentlicht zwei Tage nach Kemmerichs Wahl zum Ministerpräsidenten –, der eine Zusammenarbeit mit und eine Abhängigkeit von der AfD ablehnt. Aber er sagt auch: „Wir schielen nicht auf Mehrheiten, sondern es geht uns um unsere politische Agenda – und darum, handlungsfähig zu sein.“ Besonders in Thüringen, wo die AfD mit 19 Sitzen die drittstärkste Fraktion ist, ist die Situation aus Kemmerichs Sicht verzwickt. „Bei Beschlüssen kommt es immer mal wieder dazu, dass auch die AfD zustimmt – wie etwa bei dem neuen Spielhallengesetz im Februar 2023“, sagt er. Schließlich bildet die FDP gemeinsam mit AfD und CDU die Opposition, regiert wird das Land von der SPD, den Grünen und der Linken.

FDP fühlt sich ungerecht behandelt

Mirko Krüger, Sprecher der Thüringer Landtagsgruppe und ehemaliger Journalist, trägt diesen Konflikt auf Kommunikationsebene aus. „Bei den Spielhallen etwa kennt kaum jemand den politischen Sachverhalt“, sagt er. „Der Spiegel“ titelte dazu: „AfD, CDU und FDP verabschieden gemeinsam Änderung des Spielhallengesetzes“, „Die Zeit“ schrieb über „Kritik an Beschluss von Spielhallengesetz mit AfD-Stimmen“. „Die mediale Darstellung der politischen Situation hier in Thüringen ist oft verkürzend und skandalisierend“, klagt Krüger. Die FDP stehe seit der Krise 2020 unter besonderem Beschuss, während SPD, Grüne und Linke kaum kritisiert würden, wenn die AfD ihre Anträge unterstützt. „Da wird mit zweierlei Maß gemessen“, sagt Krüger. Das habe sich etwa im März 2023 gezeigt, als Rot-Rot-Grün gemeinsam mit der AfD eine Änderung der Kommunalordnung durchsetzte. Ein „kommunikatives Zaubermittel“ für diese Pro​bleme hat er bislang nicht gefunden. „Ich setze auf maximale Transparenz und versuche immer wieder, auch Journalisten bundesweiter Medien die besondere Lage in Thüringen zu erklären.“

Die Berichterstattung über die Thüringer FDP zeigt, dass Krüger das nicht so recht gelingt. Auch unter den Parteikollegen bleibt der Blick auf Kemmerich streng. FDP-Chef Lindner warnte ihn vor einer erneuten Spitzenkandidatur im Jahr 2021. Nachdem Kemmerich 2020 an einem Protest gegen die Covid-19-Maßnahmen teilgenommen hatte, hagelte es Kritik von Lindner und von der Bundestagsabgeordneten Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Letztere forderte Kemmerich sogar zum Austritt aus der Partei auf.

Milde geht man mit prominenten Querschlägern in der Politik also nicht um, stattdessen ist oft der demonstrative rhetorische Gegenschlag das Mittel der Wahl – so auch bei Gerhard Schröder (SPD), Boris Palmer (Grüne) oder eben Sahra Wagenknecht. Sie mögen daher mindestens kurzfristig recht einsam in ihrer Partei sein, gar wie Verstoßene wirken. Doch journalistische und soziale Medien goutieren nun mal Extreme und Konflikte. Am Ende sind es wohl die Inhalte, die unter den Scharmützeln Einzelner am stärksten leiden.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 143 – Thema: 15 Young Thinkers. Das Heft können Sie hier bestellen.