Lach- und Sachpolitik

Humor

In schweren Zeiten kann ein guter Witz Wunder wirken. Genaue Auskünfte über Lacher im Plenarsaal geben die Plenarprotokolle, die die Wochenzeitung „Die Zeit“ im September dieses Jahres ausgewertet hat. Die Journalisten haben untersucht, welche Abgeordneten wie oft lachen – und warum. Die Stenografen unterscheiden nämlich zwischen „Heiterkeit“, also die Reaktion auf etwas Lustiges, und „Lachen“, das eher abfällig gemeint ist. Das Ergebnis: Die Anzahl an Lachern war bei der SPD am höchsten, und zwar in beiden Kategorien. Es folgen die CDU/CSU, dann die Grünen und dann die FDP, auf den letzten beiden Plätzen die AfD und Die Linke.

Die Rangliste ist wenig überraschend, da sie nicht den relativen Anteil an Lachern angibt, sondern absolute Zahlen. Große Fraktionen liegen daher vorn. Interessanter ist das Verhältnis von heiterem und hämischem Gelächter. So sind bei SPD und Grünen etwa ein Drittel aller Lacher „Auslacher“, bei CDU/CSU mit rund 40 Prozent etwas mehr. Vertreter von FDP und Linke lachen seltener aus, nur jeder fünfte Lacher ist laut den Protokollen gehässig. Anders bei AfD-Abgeordneten: Wenn sie lachen, dann geht das in drei Viertel aller Fälle auf Kosten anderer.
Doch wie genau unterscheiden sich die verschiedenen Fraktionen in Sachen Humor? Wer macht welche Witze, wer lacht über was – und wen? Und: Wer nutzt Humor strategisch?

CDU/CSU: Die Angriffslustigen

Als Oppositionspartei lacht es sich im Bundestag gut über die anderen Parteien, wie die Zahlen zeigen. Besonders in den vergangenen Monaten, in denen sich die Unionsfraktion immer vehementer gegen die Regierungsparteien gestellt hat, haben ihre Mitglieder den Plenarsaal genutzt, um auszudrücken, wie lächerlich sie Aussagen und Entscheidungen von Ampel-Vertretern finden. Ein Beispiel: „Es spricht ja schon für sich, wenn der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland seine Politik nur noch in der Comicsprache ausdrücken kann“, sagte die CDU-Abgeordnete Anne König im Oktober. „Aber nicht nur Ihre Sprache, sondern auch Ihre Inhalte haben etwas Unseriöses. Denn treffender müsste man nicht von Doppel-Wumms, sondern von Doppel-Wirrwarr sprechen.“

Es folgt zwar lediglich Gelächter aus den eigenen Reihen und von einem AfD-Abgeordneten. Dass humoristische Seitenhiebe wie von König allerdings auch beim breiten Publikum erfolgreich sein können, zeigt eine Studie mit dem Titel „Sind politische Angriffe eine lächerliche Angelegenheit? Drei Experimente zu politischem Humor und der Wirksamkeit von Negativkampagnen“, veröffentlicht von einem internationalen Forscherteam im Juni 2021. Darin heißt es: „Die Kombination von politischen Angriffen mit Witzen gegen die Gegner verringert die Wahrscheinlichkeit, dass die Angriffe gegen den Angreifer selbst zurückschlagen.“ Humor kann den Forschern zufolge also einen Konter verhindern, ohne den politischen Botschaften ihre Schärfe zu nehmen.
SPD: Die Selbstironischen

Die SPD ist den Zahlen zufolge die heiterste Partei im deutschen Bundestag. Doch worüber lachen die Sozialdemokraten besonders gern? Wenn man sich durch ein paar Plenarprotokolle wühlt, wird man schnell feststellen: meistens über Aussagen aus den eigenen Reihen – wobei das keine SPD-spezifische Angelegenheit ist. Alle Fraktionen lachen am liebsten über die Witze der Partei­freunde, wobei sich Regierungs- und Oppositionsparteien jeweils gern miteinander verbünden. Im September 2022 zeigte die SPD allerdings, dass sie auch über Spitzen gegen die eigenen Mitglieder lachen kann – zumindest, wenn sie aus der eigenen Fraktion kommen. So sagte Dagmar Wetzel, SPD-Abgeordnete: „Man kann der Ansicht sein, dass es einen niemals trifft, dass man die beste Geschäftsidee, den sichersten Job hat, dass man selber resilient gegen alle Schicksalsschläge ist, dass man eine Gesundheit hat wie Karl Lauterbach“ – und hat die Lacher der Parteikollegen auf ihrer Seite. Vielleicht wusste Wetzel aber auch, dass der Gesundheitsminister Späße auf seine Kosten aushält. Denen setzt er sich schließlich auch regelmäßig in Comedy-Formaten aus, etwa in der Heute-Show.

Die Grünen: Die harmlos Heiteren

September 2021, kurz vor der Bundestagswahl. Viele Straßen sind gesäumt von Wahlplakaten – eines davon komplett in grün, darauf zu sehen: die Spitzenkandidaten Annalena Baerbock und Robert Habeck. Baerbock lacht ganz offen, zeigt ihre Zähne, Habeck lächelt eher verschmitzt. Die Kampagne wurde zu Zeiten entwickelt, in denen sich die Grünen erhoffen konnten, stärkste Partei des Landes zu werden. So kam es nicht, doch die Grünen lachen trotzdem weiter, wie die Protokolle der Stenografen zeigen, und zwar meistens, weil etwas witzig ist, und nicht, weil sie sich über politische Gegner erheben. Selbst reißen sie zwar kaum Witze, wie ein Blick in die Protokolle der laufenden Legislaturperiode verrät. Auch unter den neun Abgeordneten, die laut „Zeit“-Analyse am meisten lachen, ist kein einziger Grüner. Doch vor allem gemeinsam mit ihren Koalitionspartnern lachen die Vertreter der Partei gern, auch über Situationskomik. Etwa Anfang September 2022: SPD-Abgeordnete Bettina Hagedorn sprach lange über die Haushaltsansätze der Regierung – und schloss mit folgenden Worten ab: „Ich kann jetzt alles andere, was ich mir eigentlich aufgeschrieben hatte, nicht mehr sagen.“ Es folgten Lacher von den Grünen, der SPD und der FDP.

FDP: Die Türöffner

Nicht nur die SPD hat mit Karl Lauterbach einen Abgeordneten, der wohl Mitgliedern und Wählern fast aller Parteien Freude bereitet. Auch die FDP hat spätestens seit ein paar Monaten so jemanden: Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Mitglied des Bundes- und Fraktionsvorstands und Vorsitzende des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestags. Letztere Position hat ihr seit dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine viel Aufmerksamkeit verschafft und sie regelmäßig zu Markus Lanz, Anne Will und Co. geführt, wo sie durch ihre Schlagfertigkeit auffällt. „Humor ist für mich ungemein wichtig“, sagt Strack-Zimmermann im Gespräch mit p&k. „Politik kann so ernst sein, insbesondere in meinem Bereich Verteidigung. Aber gerade dann ist Humor von großer Bedeutung, ansonsten ist man in der Politik wirklich verloren.“ Deshalb war sie zuletzt auch bei Formaten wie „World Wide Wohnzimmer“ zu sehen, einer Comedyshow, die vor allem ein junges Publikum anspricht. Eine Strategie, um die jungen Zuschauer von der FDP zu überzeugen? „Strategie, das wäre wohl zu hoch gegriffen“, sagt sie.

Allerdings spreche sie meist ein ganz anderes Publikum an, etwa Frauen ihrer Generation oder bundeswehraffine Männer. „Und als Bundespolitikerin möchte ich von unterschiedlichen Wählergruppen wahrgenommen werden, also auch von jüngeren Menschen“, sagt Strack-Zimmermann. „Gerade das Thema Sicherheit stößt bei vielen jungen Leuten auf großes Interesse.“ Unter den Videos von Strack-Zimmermanns Auftritten, aber auch in ihren Social-Media-Postfächern findet sich allerdings immer wieder die Aussage, dass man sie sympathisch, witzig und klug finde – und gerade deshalb nicht versteht, dass sie bei der FDP ist. Darüber kann Strack-Zimmermann weniger lachen. „Ich bedauere das“, sagt sie. „Ich bin eine Freie Demokratin und als solche sitze ich im Deutschen Bundestag. Schade, dass manche da einen Unterschied machen.“ Dem Wahlergebnis der letzten Bundestagswahl zufolge haben ihre Auftritte und Posts bei Twitter und Co. zumindest nicht geschadet. Die Ergebnisse bei den Jungwählern, die Formate wie „World Wide Wohnzimmer“ schauen, waren für die FDP so hoch wie bei keiner anderen Partei.

Die Linke: Die ­Nach‑Oben-Treter

Die Linksfraktion gehört zur Gruppe derjenigen, die häufiger heiter lachen als gehässig. Jan Korte, Erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion, hält sich dennoch in den sozialen Netzwerken nicht mit humoristischen Seitenhieben gegenüber den anderen Parteien zurück. „Die Legalisierung von #Cannabis ist nur vernünftig. Auch, weil viel zu alte Politiker:innen dann hoffentlich aufhören, sich mit Wörtern wie Bubatz an die jungen Leute ranzuwanzen“, schreibt Korte Ende Oktober bei Twitter. „Zu meiner Zeit hat man dazu noch Sportzigarette gesagt. Das war peinlich genug.“ Zu p&k sagt er, Witze seien bei „all dem Blödsinn, den man im Bundestag tagtäglich erlebt“, die „vielleicht gesündeste und oft auch produktivste Art“, damit umzugehen. Dabei nutzt Korte Humor malstrategisch, aber auch spontan. „Es gibt natürlich meist einen konkreten Anlass oder eine Situation“, sagt er. „Aber klar verfolgt man damit auch immer das Ziel, Aufmerksamkeit zu erzeugen. Leider klappt das mit einem mehr oder weniger flachen Witz oft besser als mit einem inhaltlich gut durchdachten und sauber formulierten Antrag.“ Gerade als kleinste Oppositionsfraktion dringe man selten mit seinen Inhalten und Konzepten durch. Was aus Kortes Sicht allerdings gar nicht geht, sind Witze, bei denen nach unten getreten wird. „Die besten Witze sind die, die das Agieren der Mächtigen auf die Schippe nehmen“, findet der Linke.

AfD: Die Gehässigen

Eine Sitzung im September 2022, es geht um nicht weniger als die Energiesicherheit in Deutschland. Ingrid Nestle von der Grünen-Fraktion steht am Rednerpult, spricht von drei Krisen im Energiebereich, die gleichzeitig Europa erschüttern. Zwischenruf vom AfD-Mann Stephan Brandner: „Die grüne Krise!“ Nestle fährt fort, attackiert auch die AfD für ihre bisherigen Forderungen zum Thema und spricht vom Angriffs- und Energiekrieg Putins. Zuruf von der AfD: „Den führen wir!“ Dann geht es um die Verfügbarkeit der Atomkraftwerke in Frankreich. „Die Atomenergie ist die zweite große Krise, die wir gerade haben“, sagt Nestle – und die AfD-Fraktion reagiert mit hämischem Gelächter. Diese Reaktionen stehen stellvertretend für den Humor der AfD. Ihre Abgeordneten lachen andere deutlich häufiger aus als die der anderen Fraktionen. Ob sie damit eine Strategie verfolgt und wenn ja, welche, möchte die Fraktion auf p&k-Anfrage nicht beantworten. Laut der Studie zu politischen Angriffen und Humor könnte die Partei damit allerdings durchaus erfolgreich sein – solange die Bürger die Aussagen von Alice Weidel, Tino Chrupalla und anderen auch als Witze verstehen und nicht etwa als Beleidigungen. Die aktuellen Umfragewerte der rechten Partei sprechen aktuell für Ersteres.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 141 – Thema: Interview mit Norbert Lammert. Das Heft können Sie hier bestellen.