Warum das Auswärtige Amt auf digitale Kanäle setzt

International

Der 23. Juni 2016 wird in die Geschichte eingehen: An diesem Tag stimmten 51,9 Prozent der Briten für den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union. Aber das ist nicht der einzige Grund: Am selben Abend veröffentlichte das Auswärtige Amt das reichweitenstärkste Social-Media-Posting aller Zeiten: “Wir gehen jetzt in einen irischen Pub und betrinken uns. Ab morgen arbeiten wir dann wieder für ein besseres #Europa. Versprochen! #EUref.”

Der Tweet und das spätere Facebook-Posting erreichten zusammen mehr als fünf Millionen Impressions. Durch die Verbreitung von Medien auf der ganzen Welt werden es noch einige weitere Millionen zusätzlich gewesen sein. Mit diesem emotionalen Stil ist das Auswärtige Amt vermutlich erstmals direkt in den Timelines vieler Leute gelandet. Die Zahlen zeigen: Diese ungewöhnliche Art diplomatischer Kommunikation wird honoriert.

Außenpolitik findet schon seit Längerem nicht mehr ausschließlich in Botschaften, auf Konferenzen oder Empfängen statt, sie ist in der digitalen Welt angekommen. Der Begriff digital diplomacy umfasst dabei alle Aktivitäten, die zur Lösung außenpolitischer Probleme mithilfe des Internets und neuer Informationstechnologien angewendet werden. Für US-Außenminister John Kerry ist der Begriff schon wieder überholt: “The term digital diplomacy is almost redundant – it’s just diplomacy, period.” Diplomatie und Dialog finden für ihn längst im Digitalen statt.

Bereits unter Außenminister Guido Westerwelle (FDP) öffnete sich das Amt und verstärkte seine Online-Aktivitäten. Frank-Walter Steinmeier (SPD) forcierte das Thema weiter: Unter anderem startete er mit “Review 2014 – Außenpolitik weiter Denken” einen Prozess, in dem die neue Rolle der deutschen Außenpolitik in einer globalisierten Welt diskutiert und die Öffentlichkeit explizit über ein Online-Portal eingebunden wurde.

Zudem motivierte das Außenamt alle diplomatischen Vertretungen, eigene digitale Kanäle für die Außenpolitik im Gastland zu etablieren. Mit Erfolg: Aktuell nutzen weltweit 136 deutsche Botschaften, ständige Vertretungen und Konsulate Social Media. Davon sind bisher 120 auf Facebook präsent und etwa 70 auf Twitter. Neben der klassischen Webseite werden nun Facebook, Twitter, Youtube, Instagram, Flickr, Tumblr, VK Kontakte, Vine, Blogs und sogar ein eigener Buzzfeed-Kanal (Deutsche Botschaft Washington) für die Diplomatie genutzt, um deutsche Positionen, Informationen und Bewertungen in den Gastländern zu verbreiten.

Auch wenn die deutsche Öffentlichkeit davon nur wenig mitbekommt, geschieht das mit zunehmendem Erfolg. Auf die quantitativen Reichweiten einiger Botschaften auf Facebook könnten viele politische Akteure in Deutschland neidisch werden. So hat beispielsweise die Botschaft Kairo in den vergangenen drei Jahren eine Community mit fast 350.000 Fans aufgebaut, für die Postings der Botschaften Tunis und Dhaka interessieren sich mehr als 200.000 Fans. Zum Vergleich: Die Facebook-Community der Linkspartei hat lediglich 143.000 Fans und damit trotzdem mehr als die anderen im Bundestag vertretenen Parteien.

Auch die qualitativen Reichweiten können sich sehen lassen. Dank überdurchschnittlicher Interaktionsraten und einem professionellen Auftritt erzielen viele Postings hohe Reichweiten über die eigenen Fans hi­naus. Viele Menschen, insbesondere in Nordafrika, informieren sich direkt beim deutschen Staat. Die deutsche Außenpolitik erreicht so unabhängig von Gatekeepern die Bevölkerung.

Das gilt auch für die Kanäle des Auswärtigen Amts. Nicht nur das Pub-Posting, auch weniger emotio­nale Postings erreichen Millionen Kontakte, sowohl in der diplomatischen Community als auch in der Öffentlichkeit der betreffenden Länder. Das ist auch eines der Ziele des Ministeriums: mit eigenen Themen weltweit wahrgenommen zu werden. Heute reicht es nicht aus, am Verhandlungstisch zu sitzen und Argumente im richtigen Moment zu platzieren. Internationale Verhandlungen werden in Echtzeit medial begleitet. So wird die Resonanz auf die eigene Position erhöht und internationale Unterstützung für Verhandlungen organisiert.

Zu beobachten war das beispielsweise bei der Syrien-Friedenskonferenz in Wien oder bei den Verhandlungen zum Atomabkommen mit dem Iran, dem #IranDeal. Das Weiße Haus richtete exklusiv für diese Verhandlungen einen Single-Issue-Account auf Twitter ein. Auch das Auswärtige Amt war mit aktuellen Ergebnissen zeitnah online. Dafür wird vor allem der Account @GermanyDiplo genutzt, auf dem auf Englisch, Französisch, Spanisch und in anderen Sprachen getwittert wird.     

Bisher hat das Außenamt keine Social-Media-Strategie ausformuliert und niedergeschrieben, aber alle Aktivitäten zielen darauf ab, für die eigenen Positionen zu werben, als wichtige Stimme in Diskussionen wahrgenommen zu werden und die Meinungsbildung bei Verhandlungen digital zu beeinflussen. Neben dem diplomatischen Corps gehören internationale Multiplikatoren und Journalisten zur Kernzielgruppe.

Die ausländischen Botschaften in Deutschland werden ebenfalls anlassbezogen adressiert und eingebunden. Auch hier hat sich in den vergangenen  Jahren einiges getan: Nach eigenen Recherchen nutzen 58 ausländische Botschaften und 33 Konsulate soziale Netzwerke, um in Deutschland digital präsent zu sein.

Diplomatisches Handeln soll durch die Aktivitäten im Netz transparenter gemacht werden, um das Vertrauen in den Zielgruppen zu stärken. Der über digitale Kanäle geführte Dialog mit einer breiteren Öffentlichkeit ergänzt die klassischen Instrumente der Diplomatie. Für Diplomaten bedeutet das auch, dass ihre eigene Rolle neue Facetten bekommt. Sie treten nicht mehr nur als Beauftragte der Regierung auf, sondern auch als Vertreter der Bürger. Mit traditioneller Diplomatie ist diese Form der Kommunikation mit der Zivilgesellschaft schwer zu vereinbaren.

Die Ziele des Auswärtigen Amts werden in Berlin von einem bisher achtköpfigen und durch Umstrukturierungen zukünftig erweiterten zwölfköpfigen Online-Team umgesetzt. Neben der Webseite ist es für alle Social-Media-Kanäle und mehrsprachigen Online-Projekte verantwortlich. Die Aktivitäten sind in den vergangenen Jahren sichtbar professioneller geworden, auch dadurch hat das Vertrauen der Hausleitung zugenommen, was wiederum neue Freiräume für die Onliner geschaffen hat. Eine kleine Revolution in einer hierarchischen Institution wie dem Außenministerium.

Die Botschaften selbst handeln autark, übergreifende Themen werden zwar besprochen, was genau gepostet wird, entscheidet jede Vertretung aber individuell. Auch hier gab es in der Vergangenheit keine groben Schnitzer, die zu diplomatischen Verwerfungen führten. Hilfreich war sicherlich die um die digitale Kommunikation ergänzte Diplomaten-Ausbildung.

In Zukunft werden wir also dank digital diplomacy mehr aus der Welt der Diplomatie erfahren und können uns vielleicht schon auf das erste Twitter-Battle des Auswärtigen Amts freuen. Vor einigen Monaten lieferten sich die Vorreiter in Sachen digital diplomacy, Schweden und Dänemark, einen ironischen aber lehr- und informationsreichen Schlagabtausch. Sie spülten so die große Diplomatie niedrigschwellig in Millionen Timelines – letztlich profitierten davon beide Länder.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation III/2016 US-Wahl/International. Das Heft können Sie hier bestellen.