Wir beginnen mit einem rhetorischen Paukenschlag. Wir erinnern uns: Angela Merkel tritt vor ihr Volk und bittet um Verzeihung. Ein geradezu unerhörtes Ereignis. Die Kanzlerin konnte sich sicher sein: Das wird nicht überhört. Entsprechend sorgsam hat sie ihre Worte gewählt. Sie bat um: Verzeihung. Und explizit nicht um: Entschuldigung. Eine Schuld wollte sie nicht auf sich geladen haben. Mit der „Verzeihung“ macht sie die Angelegenheit vielmehr zu einer Regierungspetitesse. Das ist schon feinste rhetorische Grammatur.
Ein kleines Gewicht legte die Kanzlerin da in die rhetorische Waagschale. Aber mit großer Wirkung. Angela Merkel hat gezeigt, was sie im Fall der Fälle versteht: Die Kunst, ein „rhetorisches Momentum“ entstehen zu lassen. So etwas passiert, wenn in einem entscheidenden Augenblick die innere Haltung und das richtige Wort auf der richtigen Bühne zusammenkommen. Sowas kann eine Regierungschefin aber auch nur einmal bringen.
Teleprompter
Der Bürger und die Bürgerin wundern sich, warum die Kanzlerin die Macht und die Kraft des Wortes in der Corona-Krise nicht häufiger bemüht hat. Wir erinnern uns: Am Anfang gab es dieses vom Teleprompter abgelesene TV-Statement. Aber, bitte schön, was soll das? Die ewige Teletrompete. Ich wünsche mir mal ein Virus, das alle Teleprompter dieser Welt zeitgleich befällt und sie ohne den Umweg über irgendwelche technische Intensivstationen direkt in den Orkus selbstgefälliger Monologe befördert.
Was sollen wir denn von unseren Regierenden anderes erwarten, als das gesprochene Wort? Einfach gerade raus. So, wie wir auf dem Wahlzettel auch unsere Kreuze machen. Sebastian Kurz in Österreich hat dabei meist einen kleinen Zettel in der Hand. Na und? Dafür spricht er frei. Die Kunst des im Augenblick des Sprechens verfertigten Gedankens mit all seinen Macken und „Ähs“ hat viel mehr Gewicht, Schlagkraft und Relevanz als jede durch den Prompter genudelte Perfektion. Gerade in einer Krise gibt es für die vermeintlich Mächtigen kaum ein mächtigeres Werkzeug als das frei gesprochene Wort. Und das wirkt – wie ein rhetorisches Vakzin. Die freie Rede kann der mächtige Trägerstoff für die Botschaft sein.
Ein großes Wir
Das hat Neuseelands Regierungschefin Jacinda Ardern bewiesen. Sie ist in der Corona-Krise regelmäßig vor die Kameras getreten. Sie hat aus den Individuen in ihrem Land ein großes Wir geformt. Ihr Mantra des „großen Teams von 5 Millionen“ hatte eine starke Integrationskraft. Wissenschaftler haben gezählt und herausgefunden, dass Ardern in der Krise deutlich mehr Pronomen verwendet hat, als es sonst in einer Politiker-Rede üblich ist. Sie hat ihre Landsmänner und -frauen rhetorisch umarmt. Das ist das Gegenteil des rhetorischen Zeigefingers.
Jacinda Ardern hat mit der Kraft ihrer Worte Transparenz hergestellt. Einen Satz wie den folgenden haben wir alle gemeinsam in der deutschen Corona-Politik wohl niemals gehört: „Das sind grundsätzlich alle Informationen, Daten und Analysen, die wir zur Verfügung stellen werden, um Neuseelands nächsten Schritt zu bestimmen. Ich teile das mit Ihnen, weil wir im Kampf gegen Covid-19 offen und transparent waren und weil ich persönlich sehr stark daran glaube, dass es schlicht fair ist. Da wir gemeinsam in diesem Boot sitzen, müssen wir alle weiterhin zusammen in Richtung Erfolg arbeiten. Und das heißt, dass wir die Faktoren, die wir berücksichtigen, und die Daten, die wir verwenden, allen zugänglich machen.“
Zielgruppe entscheidend
Solch klare Worte wählte die studierte Kommunikationswissenschaftlerin schon immer. So schafft man mit Rhetorik Leadership. Oder, bajuwarisch gewendet: So markiert man den starken Mann. Damit wären wir bei Markus Söder und dem besten Beispiel dafür, dass für den Erfolg von Rhetorik immer auch die Zielgruppe entscheidend ist.
Eigentlich macht Markus Söder alles richtig. Es gibt kaum ein Interview mit ihm, in dem er nicht von Gemeinsamkeit, Zusammenstehen, Sicherheit, Zukunft und Verantwortung spricht. Das folgt einer alten Regel, die besagt: Verteidige nicht dich und dein Handeln, sondern die Werte, für die du stehst. Wenn das aber erfolgreich sein soll, warum hat es bei Markus Söder mit der Kanzlerkandidatur nicht funktioniert? Söder ist im besten Sinne Populist. Er hört sich das lauteste Lamento in seinem Volke an und wählt seine Agenda entsprechend. Klar ist das populistisch, aber was sollen wir von Politikern anderes erwarten, als populistisch zu sein? Keine Kritik! Das ist ihr Job.
Aber wenn am Ende nicht die Stimme des Volkes, sondern elitäre und im weitesten Sinne akademische Zirkel der Partei über den Kanzlerkandidaten entscheiden, stößt der Populismus offenbar an seine Grenzen. Und so wurde der Markus eben nicht der Kandidat, sondern der andere. Obwohl der sich rhetorisch gerade eher in einer Stümperphase befand.
Medientraining der 80er
Die Grünen sind aus einer wie auch immer gearteten Regierungsverantwortung gerade nicht herauszurechnen. Sie wollen andere Menschen auf anderen Kanälen erreichen. Deshalb hat Annalena Baerbock für ihr erstes Interview als Kanzlerkandidatin einen Auftritt bei Prosieben gewählt. Sie ging nicht artig zu Heinz Weiss und Heide Keller im ZDF ins „Was nun?“-Traumschiff (Oh, Verzeihung. Humor für ältere Herren. Das sind ja Peter Frey und Bettina Schausten) – sondern auf den heißen Stuhl bei Pro Sieben.
Dort hat man dann offenbar schnell zwei Journalistendarsteller gecastet und mit Fragen aus dem Fragen-Archiv von ARD und ZDF ausgestattet – allerdings nicht aus der Politik-, sondern aus der Sportredaktion. Es beginnt mit der dümmsten aller Fragen aus dem Spielertunnel: „Wie geht’s Ihnen jetzt, nach der Wahl?“ Jeder mittelmäßige Medientrainer würde Baerbock raten: „Sprich jetzt nicht über dich! Schwenke schnell auf deine Themen: Gesellschaft, Veränderung, Zusammenhalt, Klimawandel.“
Und, Kruzifix, Baerbock macht das – und entpuppt sich so als rhetorisch-politische Mogelpackung. Wer aus einer jungen Generation antritt und eine neue Politik verspricht, sollte nicht mit den verstaubten Medientrainings-Tipps der 80er-Jahre arbeiten. Es wäre eine Herausforderung – und ich bin sicher, manch ein Profi der Branche würde sie annehmen –, eine neue Generation in der Politik auch mit einer neuen Interview- und Argumentations-Rhetorik auszustatten. Die mittelprächtige Performance von Frau Baerbock war am Ende aber gar nicht so schlimm. Denn die haben das Interview ohnehin jeder Gravität beraubt, als sie am Ende ihrem politischen Gast auch noch applaudierten. Wo gibt’s denn sowas?
Markus, fass!
Politisches Profil gewinnt man nur im echten Diskurs. Die eigene Waffe kann nur wirken, wenn auch der Gegner gekonnt und mit scharfer Klinge kämpft. Die Show von Markus Lanz ist inzwischen zu einer Showdown-Location für Politiker mutiert. Für meine Klienten ist sie zurzeit die zweitgefürchtete Arena nach Claus Kleber und Marietta Slomka.
Wo die beiden nur grimmig gucken, federt Markus Lanz mit seinem Oberkörper nach jedem dritten Wort aus seinem Sessel nach vorne und lässt seine Gäste kaum einen Gedanken ausführen, der nicht seiner Erwartung entspricht oder wenn ihm seine Regie das Codewort „Markus, fass!“ aufs Ohr gibt. Damit ist er wohl einer der wenigen Moderatoren, die Markus Söder ein rhetorisches Unentschieden abgerungen haben. Über den Blattschuss auf Armin Laschet schweigt der Beobachter milde.
Merke: Wer mit komplexen Ideen und Gedanken zu Lanz geht, der sollte die Aufzeichnung in seinem Hotelzimmer besser verschlafen. Mit langer Herleitung, komplexer Argumentation und umfassender Dialektik ist hier nichts zu holen. Das mag man beklagen. Aber man muss es wissen. Es stellt sich die Frage: Tue ich mir das an, die konsequente Reduzierung meiner Positionen auf Slogans? Ich rate im Zweifel: Übe es! Und tue es! Wenn man diese Bühne beherrscht: Glaubwürdiger und zahlreicher kann man seine Zielgruppe zurzeit im Fernsehen nicht erreichen, weil Markus Lanz eben nicht applaudiert.
Toter Hase
Zum Schluss dann eine völlig andere Geschichte. Kennen Sie Peter Gauweiler? Der stand im vergangenen Quartal auch in den Schlagzeilen, weil er einem Milliardär wohl regelmäßig Rechnungen geschrieben hat, auch während er Abgeordneter war. In der Summe sollen es über zehn Millionen Euro sein. Die Story selbst ist eigentlich egal. Entscheidend ist seine Antwort auf eine Anfrage der „FAZ“.
Wo jeder Krisenkommunikator wohl nervös im Dreieck springt, mit welchen rhetorischen Kniffen man seinen Mandanten aus dem Schussfeuer bekommt, lässt Peter Gauweiler sich so zitieren – Achtung, bitte langsam und aufmerksam lesen: Die Nachfragen, die in dieser Sache nun an ihn gerichtet würden, erinnerten ihn an die Szene, wie der Künstler Joseph Beuys einem toten Hasen, den er auf dem Arm trägt, die Bilder einer Ausstellung erklärt. Das muss man mehrfach lesen und sich auf der Zunge zergehen lassen. Rhetorisch eleganter und innerlich unabhängiger kann man das, was man eigentlich sagen möchte, kaum verpacken. Nämlich: Leckt mich doch einfach alle am Arsch! Oh, Verzeihung!
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 135 – Thema: Was kann Spahn?. Das Heft können Sie hier bestellen.