Die Monate vor Bundestagswahlen sind für die Generalsekretäre der Parteien eine harte Zeit: keine freie Zeit im Wahlkampf, Besprechungen mit nervösen Vorstandsmitgliedern, Siegeszuversicht verbreiten, auch wenn die Umfragen mau ausfallen. Danach aber kommen, im Siegesfalle, die Tage der Ernte, zunächst bei Koalitionsverhandlungen, an denen sie maßgeblich beteiligt sind, und dann bei der Verteilung von Posten und Ämtern. 2013 kamen sämtliche Generalsekretäre von den Unionsparteien und SPD ins Bundeskabinett. Hermann Gröhe (CDU) wurde Gesundheitsminister, Alexander Dobrindt (CSU) Verkehrsminister und Andrea Nahles (SPD) Arbeitsministerin.
Auch im vergangenen Dezember gingen die Generalsekretäre der Ampelparteien nicht leer aus. Volker Wissing (FDP) wurde Bundesminister für Verkehr und Digitales und Michael Kellner (Grüne) immerhin Parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschafts- und Klimaschutzministerium. Lars Klingbeil (SPD) ist nun SPD-Parteivorsitzender. Sie hatten das Handwerk gelernt und ihre Bewährungsproben bestanden. Wer will schon solche Parteiämter abschaffen, in denen meist jüngeren Politikern derlei Chancen geboten werden? Politischer Rambo zu sein und sich um Parteigliederungen zu kümmern, lautet die Stellenbeschreibung.
Lang ist die Liste der Generalsekretäre und Bundesgeschäftsführer, wie das Amt früher bei der SPD genannt wurde und bis heute bei den Grünen genannt wird, die später in höchste Ämter aufstiegen: Angela Merkel (CDU, Bundeskanzlerin), Volker Rühe (CDU, Verteidigungsminister), Volker Kauder (CDU/CSU-Fraktionsvorsitzender), Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU, Verteidigungsministerin), Ronald Pofalla (Chef des Bundeskanzleramtes). Franz Müntefering (SPD-Chef und Bundesminister in verschiedenen Ressorts), Hubertus Heil (SPD, Arbeitsminister), Olaf Scholz (SPD, Bundeskanzler), Katarina Barley (SPD, Bundesministerin in verschiedenen Ressorts und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments), Guido Westerwelle (FDP, Außenminister) und Christian Lindner (FDP, Finanzminister). Auch die bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß, Max Streibl und Edmund Stoiber waren in jungen Jahren CSU-Generalsekretäre, wie auch Karl-Theodor zu Guttenberg (Wirtschafts- und dann Verteidigungsminister) und Friedrich Zimmermann (Innenminister). Die neue Umweltministerin Steffi Lemke (Grüne) war einst Bundesgeschäftsführerin ihrer Partei.
Anfänge
Gerne erkundigen sich Journalisten bei Generalsekretären zu Beginn deren Amtszeit, ob sie mehr als „General“ oder mehr als „Sekretär“ wirken wollen, was eine Frage nach Selbstverständnis und Führungsansprüchen ist. Und wie es so ist in der Politik: Auf die Umstände kommt es an. Schon mit Begrifflichkeiten ist es so eine Sache. In der Historie der CDU gilt Josef Hermann Dufhues als erster Generalsekretär, der damals freilich – vor sechzig Jahren – „Geschäftsführender Vorsitzender“ genannt wurde, was ein Affront gegen den 86-jährigen CDU-Vorsitzenden Konrad Adenauer war, den die junge Garde der Partei für nicht mehr auf der Höhe der Zeit hielt.
Die SPD schuf 1968 nach einer Reihe von Wahlniederlagen das vergleichbare Amt, weil der Vorsitzende Willy Brandt sich als Vizekanzler und Außenminister nicht genügend um die Partei kümmern könne – nannte es aber „Bundesgeschäftsführer“. Erst seit 1999 heißt es „Generalsekretär“. Franz Müntefering bestand darauf. Als Bundesgeschäftsführer hatte er den Wahlsieg 1998 organisiert und war dann als Verkehrsminister in das rot-grüne Bundeskabinett Gerhard Schröders eingetreten. Als sich Ottmar Schreiner, sein Nachfolger im Parteiamt, als nicht tauglich erwies, die Parteizentrale zu organisieren, kehrte Müntefering zurück – nun als „Generalsekretär“, um die Bedeutung des Amtes und auch seine Ansprüche von politischer Führung zu dokumentieren. Die Grünen wiederum unterscheiden zwischen einem „Politischen Bundesgeschäftsführer“, der anderswo Generalsekretär heißt, und einem „Organisatorischen Bundesgeschäftsführer“, der so etwas wie ein interner Verwaltungschef der Parteizentrale ist. Einen solchen Verwaltungschef haben CDU und SPD natürlich auch. Bundesgeschäftsführer heißt er dort.
Koch oder Kellner?
Falsch wäre es, aus den unterschiedlichen Aufgabenstellungen eine zwangsläufige Rangordnung in der realen Hierarchie der Parteizentrale abzuleiten. Es kommt eben auf die Umstände an. Zwar werden die Generalsekretäre von Parteitagen gewählt und gehören als stimmberechtigte Mitglieder der engeren Parteiführung an; die Bundesgeschäftsführer sind eher leitende Angestellte. Doch unpolitisch sind sie nicht, und ehrgeizig noch dazu. Klaus Schüler etwa war in den Jahren der CDU-Vorsitzenden Angela Merkel „nur“ Bundesgeschäftsführer. Doch sein Einfluss auf die Politik der Partei war größer als der der jeweiligen Generalsekretäre. Die gaben zwar Interviews und traten in Pressekonferenzen auf. Die Fäden aber zog Klaus Schüler – bis in die Organisation von Wahlkämpfen hinein, obwohl – formal gesehen – die Generalsekretäre „Wahlkampfleiter“ sein sollten.
Auch bei der SPD war das einst so. Zu Zeiten Schröders als Kanzler war Klaus Uwe Benneter Generalsekretär. Er trat auch öffentlich auf, hatte aber wenig zu sagen – und wusste es auch. Müntefering als Parteichef und dessen Vertrauter Kajo Wasserhövel als Bundesgeschäftsführer führten 2004 und 2005 die SPD. Als es Müntefering nach der Bundestagswahl 2005 misslang, Wasserhövel als SPD-Generalsekretär durchzusetzen, verzichtete Müntefering auf sein Amt als SPD-Vorsitzender.
Eigentlich aber hatte Müntefering ein anderes Verständnis vom Amt des Generalsekretärs, das in den späten 1990-er Jahren von den Machtkämpfen zwischen Rudolf Scharping, Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine geprägt war. Ob er nun der Bundesgeschäftsführer von Scharping, Schröder oder Lafontaine sei, wurde er gefragt. Er sei nicht der Bundesgeschäftsführer eines dieser Führungsleute, sondern „der SPD“, lautete seine selbst- und machtbewusste Antwort.
Als Generalsekretärin der SPD und nicht des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel verstand sich auch Andrea Nahles, und auch Lars Klingbeil trat nicht als Generalsekretär der SPD-Vorsitzenden Nahles und danach von den Ko-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans besonders in Erscheinung. Auch Kevin Kühnert, sein Nachfolger als Generalsekretär, scheint eigene personalpolitische Ziele zu verfolgen. Benjamin Köster war schon zu Juso-Zeiten Kühnerts Pressesprecher. Mit Kühnerts Aufstieg wurde Köster zum „Abteilungsleiter Kommunikation“ in der SPD-Parteizentrale befördert. Personalfragen sind Machtfragen.
Besetzung ist Chefsache
In den Unionsparteien herrscht ein anderes Verständnis vor. Der Generalsekretär wird nur auf Vorschlag des Parteivorsitzenden vom Parteitag gewählt. Helmut Kohl ließ sich das Heft nicht aus der Hand nehmen. Als sein Generalsekretär Kurt Biedenkopf unbotmäßig wurde, ersetzte Kohl ihn durch Heiner Geißler, und als dieser zunehmend beanspruchte, „geschäftsführender CDU-Vorsitzender“ sein zu wollen, entzog ihm Kohl 1989 das Amt. Angela Merkel teilte Kohls Führungsverständnis. Ihre Generalsekretäre mussten erfolgreich sein – und vor allem treu zu Diensten. Im Zweifelsfall regierte das Kanzleramt – also Merkel selbst und ihre Vertraute, die Büroleiterin Beate Baumann – in die Parteizentrale im Konrad-Adenauer-Haus hinein.
Dass Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet, Merkels Nachfolger als CDU-Vorsitzende, dieses Rollenverständnis nicht beherzigten, war eine der Ursachen ihres Scheiterns. Es verstand sich, dass Friedrich Merz nicht am bisherigen Generalsekretär Paul Ziemiak festhielt. Dass Merz nun neben dem neuen „General“ Mario Czaja für Christina Stumpp den – durch eine Satzungsänderung noch zu bestätigenden – Titel einer stellvertretenden Generalsekretärin erfand, hing mit den Umständen zusammen. Merz wollte sich bei seiner Wahl zum Parteichef die Stimmen der Frauen in der CDU sichern. Dass die CSU schon seit einiger Zeit eine stellvertretende Generalsekretärin hat, mag Merz die Entscheidung leichter gemacht haben: Viel zu bedeuten hat es nicht mehr. Generalsekretäre werden nach allen möglichen Proporzgesichtspunkten ausgesucht.
Wie Monumente aus vergangenen Zeiten ragen Altvordere heraus. In der CDU ist – oder war? – Heiner Geißler das Maß aller Dinge. Erinnert sei an seine – gegen SPD, Grüne und die Anti-Nachrüstungsbewegung gerichtete – Rede im Bundestag im Juni 1983: „Der Pazifismus der 30er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.“ Tumulte im Parlament brachen aus. Geißler hatte sein Ziel erreicht: Parteipolitische Fronten waren geschaffen und geklärt. Doch Geißler war auch Modernisierer der CDU, der aus der Honoratiorenpartei eine Volkspartei formte. Karl-Hermann Flach, Journalist und FDP-Generalsekretär in den frühen 1970er Jahren, legte die geistigen Grundlagen des Sozialliberalismus. Peter Glotz war einst intellektueller Kopf der SPD – unabhängig und scharfzüngig zugleich. Ihre Epigonen sind gewöhnliche Mitglieder der jeweils engeren Parteiführungen – die einen mehr, die anderen weniger erfolgreich. Letztere gehen dann bei allfälliger Postenvergabe leer aus.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 138 – Thema: Rising Stars. Das Heft können Sie hier bestellen.