Kulinarisch ­kommunizieren

Politik

“Politik auf höchster Ebene ist nicht so sehr Entscheidungshandeln als vielmehr Dramaturgie und Inszenierungskunst”, lautet die bis heute gültige Verdichtung des politischen Kommunikationsklassikers “Politik als Ritual” von Murray Edelman. Eine diesbezüglich hierzulande unterschätzte Disziplin ist das klassische Staatszeremoniell, was nicht zuletzt den Brüchen und Abgründen der deutschen Geschichte geschuldet ist. Ein Teil dieser repräsentativen Politikgestaltung sind die Abendessen im Rahmen von Staatsbesuchen, die in den Medien zumeist nur als gesellschaftliches Ereignis stattfinden. Hingegen bebildern Karikaturisten politische Themen oft gastrosophisch, insbesondere wenn es in den Beziehungen hakt. Ein Beispiel hierfür lieferten Greser & Lenz, deren Zeichnung Ende April auf der Titelseite der “Frankfurter Allgemeinen” abgedruckt war.

Zusätzlich zu der Inszenierung rund um ein Staatsbankett – entsprechende Kleiderordnung, Vorfahrt und Defilee, die festlich gedeckte Tafel mit Geschirr, Gläsern und Besteck, das jeweils mit dem Präsidentenadler geziert ist, den Reden sowie der Tischmusik – lässt sich mittels der Menügestaltung national repräsentieren; oder regelrecht kommunizieren. Reichskanzler Otto von Bismarck galt als Meister darin, mittels der Menüfolge Zeichen zu setzen. Während des Berliner Kongresses ließ sich anhand von Gerichten wie Straßburger Pastete, Ente nach Wiener Art, Rehrücken russisch oder Eisbombe türkisch der Verhandlungsstand ablesen. Angeblich ließ er bei festgefahrenen Verhandlungen die Sitzung unterbrechen und exzellente Gewächse auffahren – zusammenfassend ist von ihm der Satz überliefert: “Deutscher Wein ist doch mein bester Botschafter.” Ähnlich verfuhr Konrad Adenauer, der eine regelrechte Weindiplomatie betrieb. Seinem Ruf hat das nicht geschadet, seine asketische Anmutung dürfte dazu beigetragen haben.

Ein stilvolles Bankett auszurichten, gehörte zu den Spezialitäten des ehemaligen Bundespräsidenten Walter Scheel. (c) Insel Verlag

Staatsrepräsentation mit Stil

Anders bei Walter Scheel, dem wohl schillerndsten Staatsoberhaupt in der Geschichte der Bundesrepublik. Schon die Überschrift “Zufall, dass er das Amt nicht ruiniert hat” (ein anonymes Insider-Zitat) verhieß wenig Wohlgefälliges. In dem Artikel, mit dem “Der Spiegel” im Mai 1979 dessen Zeit als Bundespräsident bilanzierte, fanden sich weitere Sätze ätzender Kritik: “Sir Walter, dem vierten Amtsinhaber, schien es an der Zeit, die Verfassung voll auszuschöpfen und außer Macht- auch Pracht­entfaltung zu betreiben. Ganz demokratisch sollte alles sein, wirkte dann aber nur peinlich: schöner wohnen, essen und trinken.” Dass sich mit Speisen und Getränken Staatsrepräsentation betreiben lassen sollte, schien dem Autor nicht einzuleuchten.

Dem als Lebemann geltenden Liberalen Scheel sagte man unter anderem einen Hang zu exklusiven Weinen nach, fortwährend soll es Champagner, Bordeaux und Barolo gegeben haben. Das war falsch, bei von Scheel gegebenen offiziellen Essen gab es meistens deutschen Wein. Und die deutschen Botschaften waren in seiner vorhergehenden Amtszeit als Außenminister angewiesen worden, wenn möglich deutsch auszuschenken und aufzutischen. Doch solche Geschichten trugen dazu bei, Scheels Ruf nachhaltig zu schädigen.

Ein Beispiel: Bei seinem Staatsbesuch in der Sowjetunion 1975, dem ersten eines Bundespräsidenten, gab es bei der Gegeneinladung als Weiß- und als Rotwein Gewächse von Staatsweingütern sowie als Sekt Henkell trocken, die Menüfolge lautete: Helgoland-Hummer, Fasanenessenz, niederbayerische Gänsebrust, Halbgefrorenes “Rheingold”. Gustatorisch mag das geschmäcklerische Gaumen nicht überzeugt haben, patriotischer ging es aber kaum. Wiederum “Der Spiegel” amüsierte sich über derlei protokollarischen Aufwand, zu dem noch die mit auf die Reise genommene Tischwäsche, passende Kerzen und eine Floristin addiert werden mussten. Es mag durchaus sein, dass, hinreichend süffisant formuliert, die “unablässigen Bemühungen um den feineren Lebensstil Gesellschaftskolumnisten köstlichen Stoff lieferten”.

Der erhöhte Logistikaufwand ließe sich indes als besondere Umsicht deuten, die bei der eigentlichen Zielgruppe ankam. Der erste chinesische Botschafter in der Bundesrepublik, Wang Shu, berichtet anerkennend von den Festivitäten anlässlich der Aufnahme diplomatischer Beziehungen beider Staaten in Peking im Oktober 1972. Dort habe Scheel als Außenminister ein “wohlvorbereitetes Erwiderungsbankett” gegeben: “Die Deutschen legten dabei großen Wert auf gutes Essen und Trinken, das sie komplett und tiefgekühlt von zu Hause hatten einfliegen lassen. Mitgebracht hatten sie auch einen deutschen Meisterkoch” Selbe Geschichte, andere Lesart – zumindest das politische Wirken Scheels hätte ein milderes Urteil der Geschichte verdient. Generell scheinen die Einschätzungen über den Offizialausschank eher dem Image des Amtsinhabers und dem des deutschen Weins in der jeweiligen Zeit geschuldet zu sein. Für Rotwein gilt das teilweise immer noch.

1975: Die Menüfolge als patriotisches Statement (c) Insel Verlag

Heimatliebe kulinarisch

Bei Helmut Kohl wiederum war es die von ihm nicht zuletzt kulinarisch zelebrierte Heimatliebe, die zumindest Intellektuellen zuwider war; Karl Heinz Bohrer mokierte sich im “Merkur” über die “Herrschaft des Bauches über den Kopf”. Er und andere verkannten jedoch, wie nutzbringend diese Form von Diplomatie war. Michail Gorbatschow beispielsweise soll Kohl bei einem Besuch im Deidesheimer Hof das Du angeboten haben, Bill Clinton erinnerte in seiner Ansprache auf dem europäischen Trauerakt nach Kohls Tod an ihre gemeinsame Leidenschaft – das gute Essen – und daran, wie er von dem Deutschen in dessen Lieblingsrestaurant in Washington D. C. ausgeführt worden sei.

Bei offiziellen Essen übt sich die Bundesrepublik noch heute gemäß dem von Theodor Heuss geprägten Diktum vom “Pathos der Nüchternheit” in Bescheidenheit, was insbesondere im Vergleich mit Frankreich – Joschka Fischer zufolge “die mit Abstand beste Staatsküche der Welt” – öfter von Gastrokritikern beanstandet wird. Sie übersehen allerdings die typisch bundesdeutsche Zurückhaltung, bei der neben der deutschen Geschichte unterschiedliche Kontinuitäten zu beachten sind. In unserem Nachbarland ist der Präsident eine Art Nachfolger des Sonnenkönigs Ludwig XIV., in Deutschland steht er in der preußischen Traditionslinie als des Staates erster Diener.

Auch ohne Sterneküche und teuerste Gewächse lässt sich bundesrepublikanisch angemessen repräsentieren. Die Zutaten für das Essen stammen sämtlich aus deutschen Landen, bei den Weinen handelt es sich in aller Regel um die gehobene Mittelklasse meist sehr guter Produzenten – um es in einem Vergleich mit dem deutschesten der deutschen Produkte auszudrücken: Audi A6 oder Mercedes E-Klasse mit einem 2,0-Liter-Motor, skandalfreier Benziner natürlich. Aus der Gesamtkomposition lässt sich das Selbstverständnis der Berliner Republik ablesen.

Menükarte als Andenken

Rückblickend vermerkte der Schriftsteller Ivan Ivanji, der in den siebziger Jahren als Kulturattaché an der jugoslawischen Botschaft in Bonn tätig war und zudem als Dolmetscher für Präsident Josip Broz Tito an vielen offi­ziellen Essen teilnahm: “Heute bedaure ich fast mehr, dass ich die Menüs mit den Speisenfolgen auf Staatsbanketts nicht gesammelt habe, als dass ich mir keine Aufzeichnungen über politische Gespräche gemacht habe. Ich glaube, was man wo bei solchen Gelegenheiten zu essen und zu trinken bekam, sagt auch etwas über Staat und Staatsform aus.”

Beispiel Irland

Wie sich mittels Staatsbanketten politisch kommunizieren lässt, veranschaulichte 2011 ausgerechnet die Republik Irland – ein Land, bei dem man zumindest historisch eher an Hungersnöte denkt. Doch dass es sich bei dem Besuch von Queen Elizabeth II., dem ersten eines britischen Monarchen neun Jahrzehnte nach der Unabhängigkeit der Republik Irland, um einen symbolisch hochverdichteten Akt handelte, überrascht dann schon weniger. Der Küchenchef eines der besten Dubliner Restaurants bekam den Auftrag für ein Menü ausschließlich aus den besten heimischen Zutaten. Dass Geschirr, Gläser, Besteck und Tischwäsche aus irischer Produktion stammen, ist schon seit den vierziger Jahren Standard auf der Grünen Insel. Präsidentin Mary McAleese befand hinterher, dass die Speisenfolge eine Geschichte des Landes und des irischen Essens erzählt habe – was der Queen nicht verborgen geblieben sei. Wein gibt es in Irland naturgemäß keinen, es wurden je ein weißer und ein roter Bordeaux ausgewählt, die beide irische Bezüge aufweisen. Das meistgereiste Staatsoberhaupt der Welt, Elizabeth II., die ihrerseits als Referenz an den Gastgeber bei ihrer Ankunft ganz in Grün gekleidet war, soll diesen Staatsbesuch später als die bedeutendste Reise ihrer Regentschaft bezeichnet haben.

 

Knut Bergmanns Buch “Mit Wein Staat ­machen. Eine ­Geschichte der Bundesrepublik Deutschland” ist im Insel Verlag ­erschienen. 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 124 – Thema: Die Macht der Länder. Das Heft können Sie hier bestellen.