It's the economy, stupid!

Public Affairs

Lange vor dem US-Wahlkampf war eine Zunahme außenpolitischer Themen zu beobachten. Der Krieg in Syrien, die Annexion der Krim, die Terroranschläge in Europa: Nach der Euphorie der neunziger Jahre ist die Globalisierung gegenwärtig vor allem als eine Globalisierung moderner Krisen und Konflikte greifbar.

Während man nach 1989 das “Ende der Geschichte” im Sinne eines Abschieds von Blöcken und Ideologien ausrief, muss man heute von einer Rückkehr der Geschichte sprechen. Sie lässt weniger Platz für anderes. Wirtschaft zum Beispiel.

Wie mit Patina überzogen scheint die Zeit, in der man die Sitzungen der Ethikkommission im Fernsehen übertrug. Noch im Bundestagswahlkampf 2013 unterstrichen Strategiepapiere wie jenes von Peer Steinbrück und Matthias Machnig den Stellenwert der Energiepolitik – und damit der Wirtschaftspolitik insgesamt.

Die Digitalisierung hat zwar in gewisser Weise das Erbe der Energiepolitik als Leitthema angetreten, wie sich an der Neujustierung von Verbänden oder Beratungsfirmen ablesen lässt. Gemessen an früheren Debatten fehlt ihr aber deren gesellschaftliches Momentum. Sie hat zudem mit der Verengung des medialen Spielraums zu kämpfen, die aus der Präsenz außenpolitischer Themen resultiert.

Dass sich die Wirtschaftspolitik hinter der inneren Sicherheit einreihen muss, erscheint zunächst plausibel. Keine Debatte über die digitale Vernetzung vermag es mit den Bildern der Kölner Silvesternacht oder vom Berliner Weihnachtsmarkt aufzunehmen.

Symptomatisch aber ist, dass beim Stichwort “Wirtschaft” vorrangig Fragen der Steuergerechtigkeit, Verfehlungen von Banken oder der Tabubruch diskutiert werden, den Dieselgate darstellt. Die gefühlte Klammer lautet: Verlust von Vertrauen, Verlust von Sicherheit.

Rohstoffe, Biotechnologie, Chemie: Die Ferne von vielen anderen Wirtschaftsthemen hat neben der Wohlstandsbehaglichkeit auch mit einer tiefen Skepsis gegenüber der Zukunft zu tun. Die Demonstrationen Hunderttausender gegen das Freihandelsabkommen TTIP richteten sich eben nicht allein gegen Schiedsgerichte oder die Befürchtung sinkender Standards, etwa im Bereich der Landwirtschaft. Sie dokumentieren auch die Angst vor einer Lebenswelt, deren Lauf ökonomisch, politisch, aber auch technisch immer weniger selbst bestimmbar erscheint. Dass die Vorteile fallender Zollbarrieren für viele exportorientierte Mittelständler hingegen kaum zur Sprache kommen, ist medial nicht mehr als eine Fußnote.

Es ist deshalb nicht der Forderung nach mehr Transparenz im Lobbying zuzuschreiben, dass die Wirtschaft heute stärker dialogorientiert agiert. Der eigentliche Dreh liegt neben den Erfahrungen der Lehman-Krise oder nach Fukushima, bei denen sich der Staat als starker Gestalter zeigte, in einem Kultur- und Milieuwandel begründet. Er beeinflusst die Akzeptanz der Industrie ganz wesentlich.

Dass mehr als 80 Prozent der Landwirte bei der Bundestagswahl 2013 für die Union stimmten, mag einer der wenigen Fälle sein, in denen sich Berufsgruppen noch klar bei einer Partei verorten lassen. Sie ist der Besonderheit einer regionalen Verortung zuzuschreiben.

Während die CDU im ländlichen Raum punkten kann, stellt sie in den meinungsrelevanten fünfzehn größten deutschen Städten mit Ausnahme Ulms nicht mehr den Oberbürgermeister – ein Sinnbild dessen, was man gespreizt als postmateriellen Wertewandel bezeichnen könnte. Übrigens in allen westlichen Ländern, hier gibt es keinen deutschen Sonderweg. In den USA zeigte sich das Auseinanderdriften zwischen Stadt und Land in besonders dramatischer Weise.

Für Verbände und Vertreter von Unternehmen drängt sich umso mehr die Frage auf, inwieweit sie mit ihren Themen Aufmerksamkeit im Vorfeld der bevorstehenden Wahlen erzeugen können.

Die Antwort kann dabei nicht allein in einer Schärfung der Instrumente liegen – oder in der sympathischen Chuzpe, als Automobilhersteller den Parteitag der Grünen in Münster zu besuchen, um dort über Mobilität zu sprechen. Auch ist die Zunahme von Agenturen oder Hauptstadtbüros bekanntlich kein Beleg für den proportional gewachsenen Einfluss auf die Politik. Vielleicht sogar für das Gegenteil, wenn die These von der Rückkehr der Geschichte zutrifft.

Wichtiger scheint deshalb das Nutzen jenes historischen Augenblicks zu sein, der gerade alle anderen Themen verdrängt.

Die jüngste Erklärung von Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries zusammen mit den Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft, von DGB und IG Metall, die sich gemeinsam gegen die Ankündigungen Donald Trumps wenden, ist ein Beispiel für ungeahnte Schulterschlüsse.

So paradox es klingt: Der Politik per Twitter und Dekret gelingt am Ende vielleicht eine Annäherung von Wirtschaft und Politik hierzulande, die es in dieser Einhelligkeit lange nicht gab. Und ähnlich nahe liegen die Positionen auch hinsichtlich der Notwendigkeit, den digitalen Wandel gemeinsam zu gestalten.

In diesen Zusammenhang gehört auch, dass die Wirtschaft ihren fundamentalen Beitrag zu jenen Attributen wieder deutlicher herausstreicht, nach denen sich offenkundig viele Menschen sehnen. Gesellschaftliche Stabilität etwa, die wesentlich mit der Konjunktur und der Exportstärke der Industrie zusammenhängt.

Die Politik kann diese Botschaft in einer globalen Welt, deren Geschicke an den Märkten in Asien oder Amerika mitentschieden werden, nicht mehr glaubhaft allein setzen. Sie braucht die Wirtschaft dafür als Partner.

Die Wirtschaft ihrerseits kann die Politik unterstützen, indem sie ihre Partikularinteressen auch im Wahljahr wahrt, alles andere wäre naiv; aber gerade jetzt hin zu einer Stärkung des Gemeinwohls und demokratischer Prinzipien argumentiert.

Die Sprache gibt auch hier die Richtung vor: Es ist eben nicht nur im Interesse des Markts, den Protektionismus anzuklagen und für Weltoffenheit einzutreten. Es ist auch eine Frage der Haltung, die beide Seiten verbindet.