Fünf Lehren aus dem Wahljahr für Parteikommunikation und -strategie

Kampagne

1. Ein Amtsbonus ist kein Automatismus.

Gerade in Landtagswahlkämpfen wird der Amtsbonus gern betont. Allein: Den Amtsinhabern Hannelore Kraft und Torsten Albig hat er wenig genützt. Gerade die Kampagne der SPD in Nordrhein-Westfalen schien abgekoppelt von der Wahrnehmung einer krisengeschüttelten Landesregierung. Torsten Albig verlor in Schleswig-Holstein gegen einen nahezu unbekannten Herausforderer, der nur durch den Rückzug des CDU-Landesvorsitzenden und eigentlichen Spitzenkandidaten überhaupt zum Zuge gekommen war. Auch Stephan Weils niedersächsische SPD lag noch wenige Wochen vor dem Wahltermin in Umfragen abgeschlagen hinter der CDU. Und bei der Bundestagswahl wurde sowohl die CDU der Kanzlerin als auch die mitregierende SPD von den Wählern abgestraft: Die SPD hatte es nicht geschafft, die eigenen Erfolge in der Regierungszeit zu verkaufen und gleichzeitig Differenzen zur Union hervorzuheben. Aber auch der CDU ist es nicht gelungen, für eine weitere Amtszeit von Angela Merkel zu begeistern.

Ein Amtsbonus ist eben kein Automatismus. Eine Partei, auch an der Regierung, muss für sich werben, eigene Erfolge vermarkten und mit Krisen professionell umgehen, damit sie nicht zur Belastung für den Wahlkampf werden. Die Möglichkeiten der Regierungsinstitutionen sind dafür aus gutem Grund gesetzlich eingeschränkt. Gerade deswegen ist es ein Irrweg, die Parteizentralen in den Winterschlaf zu versetzen und nur alle dreieinhalb beziehungsweise viereinhalb Jahre aufzuwecken, wenn der nächste Wahlkampf vor der Tür steht. Das gilt insbesondere dann, wenn in der Koalition der Verlust der eigenen inhaltlichen Konturen droht, wie das bei der SPD in einer Großen Koalition oder den Grünen in einer schwarz-grünen Konstellation der Fall ist.

2. Mut zur Polarisierung!

Ob dem TV-Duell zwischen Angela Merkel und Martin Schulz aufgrund des Auftretens der beiden Kandidaten, des vom Kanzleramt eingeengten Formats oder der Gesprächsführung des Moderatorenteams jegliche Spannung fehlte, sei dahingestellt. Die fehlende Polarisierung zwischen den Regierungsparteien im Bundestagswahlkampf aber führte im Ergebnis zum Erstarken der AfD und zu deutlichen Verlusten sowohl für Merkels CDU als auch für die historisch schwache SPD. Auch das TV-Duell zwischen Hannelore Kraft und Armin Laschet verlief eher freundlich: Laschet nickte Kraft während ihrer Ausführungen mehrmals höflich zu, Kontroversen versteckten sich eher im Detail. Profitieren konnte davon eine starke FDP.

Ganz anders in Niedersachsen: Obwohl die programmatischen Differenzen zwischen niedersächsischer SPD und CDU, abgesehen von einigen grundlegenden Konflikten etwa im Bereich der Schulpolitik, realistisch betrachtet überschaubar waren, führte der niedersächsische Wahlkampf zu einer spürbaren Polarisierung. Der Wahlkampf lebte insbesondere von der Auseinandersetzung zwischen den beiden Spitzenkandidaten, die sich in einem bissigen TV-Duell entlud. Die Polarisierung führte zu einer Bindung an die Volksparteien: Die SPD legte deutlich zu, während die CDU schlussendlich zwar die Wahl, jedoch in absoluten Zahlen kaum Wählerstimmen verlor. Gerade am Rand blieb dabei wenig Platz: Der AfD gelang es kaum, mit ihren Provokationen durchzudringen, sodass sie in Niedersachsen deutlich schlechter abschnitt als in anderen Bundesländern. Die Linke scheiterte an der Fünf-Prozent-Hürde.

3. Die Wähler wollen diskutieren, nicht zuhören.

Die vollen Marktplätze machten der SPD im Bundestagswahlkampf bis zum Schluss trügerische Hoffnung: Mehr als 4.500 Menschen kamen in Freiburg, um Schulz zu sehen, 1.500 waren es selbst in Braunschweig oder 2.000 in Nürnberg. Die SPD hat davon nicht profitieren können. Unentschlossene und Wechselwähler sind mit klassischen Parteiveranstaltungen kaum zu erreichen. Anstelle von Großkundgebungen mit den immer gleichen Reden funktionierte ein – zugegebenermaßen nicht mehr ganz neues – Format deutlich besser: Town Halls, bei denen Parteien und Spitzenkandidaten den Bürgern die Möglichkeit gaben, mitzureden und Fragen zu stellen. Die Wähler fühlten sich ernstgenommen, es entstand ein Dialog und statt der einen Standardrede, die die Spitzenkandidaten irgendwann selbst nicht mehr hören können, waren diese gezwungen, spontan zu reagieren.

Das Potenzial solcher Formate konnten die Zuschauer des Auftritts eines leicht “übercoachten” Martin Schulz’ in der TV-Arena live beobachten. Im Gegensatz zum TV-Duell waren es im Bundestagswahlkampf auch die Town Halls, die neue Akzente setzten: So kam der Pflegekrise zum Beispiel erst die gebührende Aufmerksamkeit zu, als ein junger Pfleger aus Hildesheim die Kanzlerin direkt und mutig mit den Missständen konfrontierte.

4. Agenda-Setting: Mehr als ein Buzzword.

Das Wahlprogramm, inhaltliche Grundlage jedes Wahlkampfs, wird in guter Tradition zu Beginn der Kampagne vorgelegt. Manchmal ist es mehrere hundert Seiten lang, vollgepackt mit von Arbeitskreisen gemeinsam formulierten Initiativen und Ideen für verschiedene Politikfelder, die in mehreren Jahren umgesetzt werden sollen. Nach etwa 24 Stunden ist die mediale Aufmerksamkeit verflogen. Insbesondere der CDU in Schleswig-Holstein und der SPD in Niedersachsen ist es im Wahlkampf aber gelungen, neue politische Ideen und Forderungen bis wenige Tage vor dem Wahltermin vorzulegen. So gelang es, den medialen Diskurs über politische Inhalte bis kurz vor der Wahl zu dominieren. Der politischen Konkurrenz blieb dabei wenig anderes übrig, als die Ideen der anderen Parteien zu bewerten, sie konnte aber nicht mehr mit eigenen Vorschlägen punkten. Versuche, die Agenda zu bestimmen, indem über mehrere Wochen gestreckt Schattenkabinettsmitglieder vorgestellt wurden, scheiterten dagegen meist an den gerade in der Landespolitik eher unbekannten Gesichtern und Namen.

5. Frames entscheiden Wahlen.

Der Umgang mit dem Fraktionswechsel der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Elke Twesten könnte ein Lehrstück für die Bedeutung von Framing für die politische Kommunikation sein. Während die Opposition im Landtag den Fall Twesten als Beleg für die fehlende Regierungstauglichkeit von Rot-Grün inszenierte, rahmte die SPD den Wechsel ein in eine Erzählung über Intrigen, Machthunger und fehlende Moralvorstellung des politischen Gegners. Berichte, die Abgeordnete habe bereits früher von “unmoralischen Angeboten” der CDU gesprochen, trugen dazu bei, dass sich der Frame der SPD festsetzte. Kurz nach dem Fraktionswechsel erklärten drei von vier Niedersachsen und sogar eine Mehrheit der CDU-Anhänger im Land, das Verhalten der Abgeordneten sei “nicht richtig”. In der Folge stürzte auch Weils Herausforderer Bernd Althusmann bei der Direktwahlfrage innerhalb von vier Wochen um historisch wohl einmalige zehn Prozentpunkte ab. Die CDU musste in ihrer abschließenden Wahlanalyse zugeben, dass es keine funktionierende Kommunikationsstrategie rund um den Übertritt gegeben habe. So habe die CDU “den Nimbus der Anständigkeit verloren”.