Drei Herausforderungen für digitale Kampagnen zur #btw17

Kampagne

Der Bundestagswahlkampf hat begonnen und damit die Debatten über die Rolle von Technologie und Daten im Kontext politischer Kampagnen. Vergangene Woche fand die erste „Campaign Tech Europe“-Konferenz in Berlin statt, auf welcher Kampagnenexperten aus den Vereinigten Staaten und Europa über die Veränderungs- und Gestaltungsmacht von Technologie in Wahlkämpfen diskutierten. Den kontextuellen Rahmen dieser Debatte prägen dabei drei zentrale Herausforderungen, vor denen Parteien im Bundestagswahlkampf 2017 stehen:

Die erste Herausforderung besteht in der Disruption des politischen Meinungs- und Willensbildungsprozesses. Der Begriff Disruption ist in diesem Zusammenhang als eine Unterbrechung der etablierten Handlungslogik eines Systems, Prozesses oder Ereignisses zu definieren. Auf der systemischen Ebene verdeutlichen das beispielsweise der Brexit oder die Wahl von Donald Trump und Emmanuel Macron – in den genannten Fällen haben sich neue politische Akteure und Kräfte durchsetzen können.

Gleichzeitig ist auf der Prozessebene von Politik festzustellen, dass sich das Mediennutzungsverhalten und damit die Informationsgewinnung zur Meinungsbildung verstärkt ins Netz verlagert hat. Diese technologiebasierte Disruption ist anhand der vieldiskutierten Filterblasen beziehungsweise Echokammern und der daraus resultierenden Bedeutung von „Fake News“ sowie Social Bots nachzuvollziehen.

Die Bedeutung von Plattformen wie Facebook als Ort der  Informationsgewinnung und -verlinkung für die politische Meinungsbildung stellt Wahlkampfstrategen und Kandidaten vor die Herausforderung, ihre Inhalte und Kommunikationsstrategien an die Darstellungs- und Hierarchisierungslogik von Algorithmen anzupassen. Folgt man dem amerikanischen Internetaktivisten Ethan Zuckermann, dann werden in weniger als zehn Jahren nicht mehr Parteien und Politiker das Machtzentrum von politisch kommunikativem Handeln und Entscheiden sein, sondern Plattformen.

Die zweite Herausforderung, der sich Parteien im Wahlkampf stellen müssen, bildet die Grundlage für die genannte Machtverschiebung: die Fragmentierung der Öffentlichkeit als Normalzustand für politische Kommunikation in Wahlkämpfen. Die Erosion der Deutungshoheit und kommunikativen Souveränität von Kandidaten, Parteien und Medien ist darauf zurückzuführen, dass Algorithmen auf Plattformen als Gatekeeper fungieren. Jeder einzelne Facebook-Newsfeed bildet eine auf den Nutzer und seine Interessen spezifizierte Mikroöffentlichkeit, welche nicht länger über eine überschaubare Anzahl an TV- und Radio-Sendern sowie Zeitungen erreicht werden kann. Nur wer die Darstellungs- und Hierarchisierungslogik von Algorithmen versteht, wird die Deutungshoheit in Wahlkämpfen erlangen können.  

Die dritte Herausforderung besteht in der Kampagnenfähigkeit von Parteien und Strategen als Resultat der Disruption der Meinungsbildung und der Fragmentierung der allgemeinen Öffentlichkeit. Zunächst müssen Parteien und Kandidaten damit aufhören, nur selbstreferenziell über politisches Handeln im Netz zu sprechen. Vielmehr ist es entscheidend, Unterstützer und Wähler in das Zentrum der Kommunikation zu stellen, diese fortlaufend zu involvieren und Mitmachmöglichkeiten zu bieten. Menschen fungieren im Netz nicht in erster Linie als Informationsempfänger von Wahlwerbung, sondern sollten vielmehr als potenzielle Träger von Botschaften und Multiplikatoren für die Werte sowie Ziele der Kampagne verstanden werden. Die Herausforderung besteht darin, mit einem „one-to-one“-Kommunikationsansatz personalisierte politische Kommunikation für spezifische Zielgruppen zu entwickeln, zu testen, Schlussfolgerungen zu ziehen, um diese anzupassen oder zu skalieren.

Zusammenfassend ist es für die Kampagnenfähigkeit von entscheidender Bedeutung, Daten nicht nur als ein Produkt kommunikativen Handelns zu begreifen, sondern als strategische Handlungsressource, um die eigene Kommunikation deutlich effizienter und effektiver zu gestalten. Dies bedeutet in der Konsequenz, dass jede Interaktion mit dem potenziellen Wähler auch einen Erkenntnisgewinn über dessen individuelle Präferenzen liefert, was dabei hilft, eine personalisierte Kampagnenerfahrung zu ermöglichen.

Es muss Kampagnenmachern gelingen, ein „data first-mindset“ zu entwickeln, um datenbasiert Entscheidungen in Wahlkämpfen zu treffen, ganz gleich ob bei der digitalen Kommunikation, bei der Planung von Infoständen oder dem Tür-zu-Tür-Wahlkampf. Im Zuge der digitalen Transformation können Wahlkämpfe nur gewonnen werden, wenn ein Momentum und eine Bewegung für eine Partei oder einen Kandidaten im Netz entsteht. Der Erfolg hängt davon ab, wie Unterstützer und Wähler mittels Daten befähigt werden, selbst in einer Kampagne aktiv zu werden.