Die Sache mit dem "ti-äitsch"

Politik

„I think … there will no … it will not happen that there will be a Staatsbankrott in Greece“, stammelte der sonst wortgewandte Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble 2012 im Zuge der griechischen Finanzkrise. Entwicklungsminister Gerd Müller lieferte 2015 Jahr mit breitem Akzent eine wenig überzeugende Kurzansprache auf dem Earth Day in Washington. Günther Oettinger verhaspelte sich während seiner legendären Rede auf der siebten Jahreskonferenz der Columbia University in Berlin. Im Netz kursieren zahlreiche Videos, die zeigen, dass deutsche Politiker immer wieder mit Fremdsprachen auf Kriegsfuß stehen.

Neben der politischen Karriere bleibt wenig Zeit für den Spracherwerb. Die Prioritäten liegen anderswo, denn wen interessiert schon bei der Kandidatenaufstellung im Unterbezirk oder auf dem Kreisparteitag, wie gut die Fremdsprachenkenntnisse der zukünftigen Abgeordneten sind. Eine kurzsichtige Betrachtung, die sich im Laufe der politischen Karriere rächen kann.

Der Englischtrainer kommt regelmäßig ins Finanzministerium

Gregor Gysi bringt es auf den Punkt: „Für die Kommunikation in der enger zusammenrückenden Welt sind Fremdsprachen von außerordentlicher Bedeutung.“ Der ehemalige Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag arbeitet selbst gerade daran, sein Englisch zu verbessern. Als Motivation nennt er, sich im Urlaub besser verständigen zu können. Zudem sei die Kommunikation auch in politischen Gesprächen leichter. Wie er beim Lernen konkret vorgeht, will Gysi allerdings nicht verraten.  

„Gerade Politiker und Interessenvertreter arbeiten sehr oft in einem internationalen Umfeld – mit internationalen Kollegen, Geschäfts- und Gesprächspartnern. Gute bis sehr gute Englischkenntnisse werden vor allem auch in diesem Berufsfeld meist vorausgesetzt“, sagt Miriam Plieninger, Director of Didactics beim Sprachlerndienst Babbel.

Jens Spahn ist ein gutes Beispiel dafür, wie mit einem Karrieresprung die Anforderungen im Hinblick auf Fremdsprachenkenntnisse plötzlich steigen können. Nur wenige Kilometer von der niederländischen Grenze entfernt aufgewachsen, spricht er ein gutes Holländisch, ein großer Vorteil für den Vorsitzenden der deutsch-niederländischen Parlamentariergruppe. Die Berufung zum Parlamentarischen Staatssekretär im Finanzministerium ließ die Entscheidung in ihm reifen, seine Englischkenntnisse vor allem um Fachtermini zu erweitern. So sitzt er seit einigen Monaten einmal pro Woche im Finanzministerium mit einem Englischtrainer zusammen, um sich für Gespräche mit ausländischen Journalisten und Politikern zu rüsten. „Politik wird immer internationaler, das gilt auch für alle Bundestagsabgeordneten. Um mit dem Gegenüber auch mal vertraulich oder in einem Gespräch ohne Dolmetscher reden zu können, ist es wichtig, eine Fremdsprache zu beherrschen“, sagt Spahn. Privat schaut er Serien gerne in  der Originalsprache.

Bilaterale Gespräche ohne Dolmetscher

Einen ähnlichen Tipp hält Edelgard Bulmahn bereit: englischsprachige Bücher lesen und BBC oder englischsprachige Nachrichtensender schauen. Die Bundestagsvizepräsidentin spricht sehr gutes Englisch und misst der Lingua Franca einen hohen Stellenwert bei. Insbesondere während ihrer Zeit als Ministerin war sie auf ihre Sprachkenntnisse angewiesen: „Damals fanden bilaterale Gespräche oder informelle Diskussionen zur Lösung schwieriger Themen, beispielsweise im europäischen Ministerrat, auf Englisch statt.“

Für Gernot Erler zahlt sich aus, dass er bereits früh mit dem Sprachenlernen angefangen hat. Der Russlandbeauftragte der Bundesregierung spricht Englisch und Russisch fließend, verhandlungssicheres Französisch und beherrscht Grundkenntnisse in mehreren slawischen Sprachen. Und das, obgleich er sich selbst mangelnde Begabung attestiert. Sein Ansatz war immer, Grammatiken und Lehrbücher durchzuackern. Während seiner Zeit als Staatsminister im Auswärtigen Amt belegte er Intensivkurse in Englisch auf Malta sowie Russisch in Sankt Petersburg. Das Lernen von Sprachen hält Erler für gut vereinbar mit dem politischen Betrieb, schließlich gebe es zahlreiche Lernangebote, beispielsweise vom Deutschen Bundestag.

Auch die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hält es für gut machbar, begleitend zur Politik Sprachen zu lernen. Insbesondere die parlamentarische Sommerpause nutzt sie dazu. Zypries hatte sich immer gewünscht, mehrere Sprachen gut zu sprechen. Zumindest ihr Englisch hat sie nach eigenen Angaben durch Sprachkurse mittlerweile so verbessert, dass sie damit  heute recht gut zurechtkommt. Ihren Kollegen legt sie wie Erler die Kurse des Bundestags ans Herz.

Überhaupt scheinen viele Politiker beim Spracherwerb traditionell unterwegs zu sein. Erfahrungen mit Online-Angeboten, wie sie Dienstleister wie Babbel anbieten, hat bislang keiner der Befragten gemacht. Dabei haben diese laut Plieninger einen entscheidenden Vorteil: „Gerade in einem stressigen Beruf mit einem durchgetakteten Tagesablauf und wenig Freizeit sind kurze Lerneinheiten ideal.“ Nach ihrer Einschätzung reichen bereits zehn bis 15 Minuten am Tag – etwa morgens beim Kaffee, zwischen zwei Terminen oder während einer Bahnfahrt.

Klaus Waschik, Geschäftsführender Direktor des Landessprachinstituts in der Ruhr Universität Bochum (LSI), widerspricht. Zwar bietet auch sein Institut Online-Kurse an, doch erfordere diese Art des Lernens eine hohe Arbeitsdisziplin. Dies scheitere meist am engen Terminkalender von Politikern. Zudem sei insbesondere das Sprechen so nur eingeschränkt zu üben. Am besten sei daher eine Kombination aus Online-Kursen und Präsenzphasen.

Gerade in der Politik macht es einen großen Unterschied, ob man eine Sprache nur lesen oder auch flüssig sprechen kann. Nicht zu unterschätzen ist zudem die Bedeutung nonverbaler Kommunikation. „Im Idealfall wird den Worten eines Politikers von seinem Gegenüber die Bedeutung beigemessen, die auch er ihnen beimisst“, so Waschik. Dies könne erheblich dadurch beeinflusst werden, dass die Sprache des Gegenübers gesprochen wird und seine Kultur in Ansätzen bekannt ist. So entsteht der Eindruck von Wertschätzung. „Das gibt einen riesigen Vertrauensvorschuss. Und den benötigen Politiker mehr als andere“, so Waschik.

Nicht auf die lange Bank schieben

Generell hat der kulturelle Aspekt beim Sprachenlernen für Waschik einen zentralen Stellenwert: „Die Internationalität des Parlaments zeigt sich auch in den Sprach- und Kulturkenntnissen unserer Abgeordneten.“ Er rät daher dazu, das Lernen von Fremdsprachen als Erweiterung des eigenen Horizonts zu betrachten und sich nicht nur den instrumentellen Charakter vor Augen zu führen, auch wenn dieser zweifelsfrei vorhanden sei.

Bei Gernot Erler stößt er damit auf offene Ohren. Er habe immer nach der Devise gehandelt, dass nichts über den Sprung in den Verständigungs-Zwang im Alltag gehe. So böten Sprachferien im Ausland doppelten Mehrwert: das Kennenlernen von Land und Leuten sowie der Sprache. Dem politischen Nachwuchs rät er dazu, ein Jahr im englischsprachigen Ausland zu verbringen und eine weitere Fremdsprache als Hobby zu betreiben. Das mag manchem Nachwuchspolitiker als wenig praktikabel erscheinen, wenn der Fokus auf dem Fortkommen in Partei und Vereinigungen liegt. Doch Einwände lässt Erler nicht gelten: „Den Spracherwerb sollte man nicht aufschieben. Je jünger man ist, desto leichter lernt man.“

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe politik&kommunikation III/2016 US-Wahl/International. Das Heft können Sie hier bestellen.