Die Bundesratgeber

Lobbying im Bundesrat

Lobbyismus ist ein beliebtes Thema der Medien. Zuletzt wurde im Zuge des Maskenskandals und der Einführung des Lobbyregisters wieder viel und ausführlich darüber geschrieben. Allerdings beschränkt sich die Aufmerksamkeit auf den Bundestag. Für die Interessenvertretung im Bundesrat interessieren sich wenige. Auch außerhalb der Medien ist nicht viel dazu bekannt. Selbst viele Lobbyisten in Berlin wissen nicht, wie und warum man im Bundesrat lobbyieren sollte. Denn im Gegensatz zum Lobbying im Deutschen Bundestag ist es viel komplizierter, im Bundesrat zu lobbyieren.

Doch wer macht das dann eigentlich? Auf diese Frage gibt es keine klare Antwort. Carolin Zeller, Politikprofessorin an der Quadriga Hochschule, sagt: „Lobbyismus im Bundesrat kann jeder machen, der auch Lobbyismus de facto im Bundestag oder in den Bundesministerien macht, also interessierte Parteien aus Wirtschaft, Verbänden oder NGOs.“ Allerdings geht sie davon aus, dass im Bundesrat weitaus weniger lobbyiert wird als im Deutschen Bundestag. Handfeste Zahlen gibt es nicht, denn grundsätzlich wird nicht beim Bundesrat in der Leipziger Straße lobbyiert, sondern bei den 16 Staatskanzleien, die dazu keine Zahlen erheben. Im Gegensatz zum Parlament gibt es in der Länderkammer auch keine Hausausweise für Lobbyisten, die einen Anhaltspunkt bieten könnten.

Blick auf den Gesetzgebungsprozess

Der Bundesrat ist vielfältig in den deutschen Gesetzgebungsprozess eingebunden. Für Interessenvertreter lohnt es sich, auch ihn in den Fokus zu nehmen. Um das zu verstehen, hilft ein Blick auf den Gesetzgebungsprozess. Ein Gesetzesentwurf der Bundesregierung wird zunächst dem Bundesrat für eine Stellungnahme zugeleitet. David Issmer leitet den deutschen Public-Affairs-Bereich des Beratungsunternehmens Teneo. Für ihn ergibt sich hier der erste Ansatzpunkt, um Einfluss zu nehmen: „Wenn ich als Interessenvertreter irgendwas Problematisches in einem Gesetz sehe, dann habe ich hier eine allererste Stufe, auf Änderungen hinzuwirken.“ Denn bevor ein Gesetzesentwurf im Bundestag debattiert wird, haben die Bundesregierung und die Länderkammer sich bereits in einer Stellungnahme des Bundesrats und der Gegenäußerung der Regierung darüber ausgetauscht – die im Idealfall die Bedenken und Ideen der Interessenvertreter aufgreifen.

Ein Beispiel für erfolgreiches Lobbying im Bundesrat über die Stellungnahme ist das Gesetz zur Änderung des Grunderwerbsteuergesetzes im vergangenen Jahr. Damit sollte es bei Immobilientransaktionen schwerer gemacht werden, die Grunderwerbsteuer zu umgehen. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung berücksichtigte jedoch nicht, dass die Besteuerung auch Aktien betroffen hätte, obwohl dies eigentlich gar nicht das Ziel der Gesetzgebung war. Interessenvertreter haben dann bereits im Bundesratsverfahren darauf hingewirkt, eine sogenannte „Börsenklausel“ in das Gesetz aufzunehmen – ein entsprechender Vorschlag fand sich schließlich ausformuliert in der Stellungnahme des Bundesrats. Da die Bundesregierung auf die Zustimmung der Länder im zweiten Durchgang angewiesen war, fügte sie die „Börsenklausel“ schließlich in das Gesetz ein, das dann von Bundestag und Bundesrat beschlossen wurde.

Nachdem ein Gesetz im Deutschen Bundestag beschlossen wurde, wird es erneut dem Bundesrat zugeleitet. Wie der Prozess in diesem zweiten Durchgang weitergeht, ist davon abhängig, ob der Bundesrat dem Gesetzesbeschluss zustimmen muss oder nicht. „Ein Einspruchsgesetz im Bundesrat aufzuhalten ist kaum noch möglich“, sagt Issmer. Denn dazu bräuchte es eine Mehrheit für den Einspruch. „Die wird man im Bundesrat gegen ein Gesetz der Ampelkoalition nicht bekommen”, sagt Issmer, „denn SPD, Grüne und FDP sind in den meisten Landesregierungen vertreten und können überall für eine Enthaltung sorgen – wenn sie im Landeskabinett die sogenannte ‚Koalitionskarte‘ ziehen, muss sich das gesamte Land im Plenum enthalten.“

Ganz anders ist die Lage bei Zustimmungsgesetzen. In diesem Fall hat der Bundesrat drei Handlungsmöglichkeiten: Er kann dem Gesetz zustimmen, seine Zustimmung verweigern oder den Vermittlungsausschuss anrufen. Welche Gesetze zustimmungspflichtig sind, ist im Grundgesetz geregelt: Gesetze, die die Verfassung ändern, Gesetze, die Auswirkungen auf die Finanzen der Länder haben, sowie Gesetze, für deren Umsetzung in die Organisations- und Verwaltungshoheit der Länder eingegriffen wird.
Stimmt der Bundesrat mit „Nein“ oder beruft einen Vermittlungsausschuss ein, der im Ergebnis ebenfalls die Zustimmung verweigert, ist ein Gesetz gescheitert. Eine Zustimmung des Bundesrats kommt durch eine Mehrheit der Stimmen zustande, die aktuell bei 35 Stimmen liegt. Ein wichtiger Punkt dabei ist, dass Enthaltungen – anders als im Bundestag – wie ein „Nein“ wirken. Damit ist die Hürde bei einem zustimmungspflichtigen Gesetz, dass eine Bundesratsmehrheit zustande kommt, relativ hoch. Für Expertin Carolin Zeller haben Interessenvertreter, wenn sie ein Gesetz verhindern wollen, bei diesen zustimmungspflichtigen Gesetzen die beste Möglichkeit, noch in das Verfahren einzugreifen, da hier Enthaltungen eine Zustimmung verhindern.

Zusätzlich kann der Bundesrat selbst Gesetze anstoßen. Interessenvertreter, die im Bundestag oder in der Regierung keinen Ankerpunkt finden können, haben so noch eine weitere Möglichkeit, eine Initiative auf die Agenda zu heben.

Lobbying über die Staatskanzleien

Theoretisch klingt das alles recht einfach. Die Praxis aber ist äußerst komplex. Die eigentliche Arbeit im Bundesrat findet in seinen 16 Ausschüssen statt. In diese entsenden die Länder ein oder mehrere Mitglieder. Dabei macht es einen Unterschied, ob es sich dabei um einen politischen oder einen Fachausschuss handelt. In den politischen Ausschüssen – das sind die Ausschüsse für Auswärtige Angelegenheiten und Verteidigung – werden die Länder durch ihre Regierungschefs vertreten. In die Fachausschüsse werden die zuständigen Minister ent­sandt, wobei diese sich durch fachkundige Ministerialbeamte vertreten lassen können. Insbesondere in Fachausschüssen passiert das so häufig, dass sie fast immer in Beamtenbesetzung tagen. Interessenvertreter, die auf Entscheidungen des Bundesrats Einfluss nehmen wollen, sollten also die für ihr Anliegen richtigen Staatskanzleien und zuständigen Landesministerien strategisch auswählen und im engen Kontakt mit ihnen stehen.

Grundsätzlich ist Lobbying im Bundesrat ohne Lobbying in den Ländern nicht möglich. Carolin Zeller vergleicht das gerne mit 3D-Schach. „Man hat mehrere Schachbretter, die konstant miteinander interagieren: ein europäisches Schachbrett, ein bundesdeutsches Schachbrett und ein Länderschachbrett,“ sagt sie. Wer im Bundesrat lobbyieren möchte, müsse ein Länderschachbrett aufbauen – und zwar nicht nur einmal, sondern potenziell 16-mal. „Je nachdem wie die Mehrheitsverhältnisse sind, kann man auch nur mit vier oder fünf Länderschachbrettern spielen. Aber im Endeffekt baut man eine neue Dimension.“

Gute Kontakte sind wichtig

David Issmer hält es für besonders wichtig, die zeitliche Abfolge der internen Prozesse des Bundesrats zu kennen. „Viele sehen nur, dass der Bundesrat alle drei Wochen freitags tagt“, sagt er. „Aber was dann entschieden wird, das wird in den drei Wochen vorher festgelegt.“ In der ersten Woche treffen sich die Ausschüsse. Darauf folgen zwei Koordinierungswochen. Zunächst koordinieren sich die Länder intern und dann alle Länder noch einmal mit dem Bund.

Für Interessenvertreter können gute Kontakte in die Landesvertretungen beim Bund sehr hilfreich sein. Dort wird zwar nichts final entschieden, aber durch die starke Koordination untereinander sind die Ständigen Vertretungen immer auf dem neuesten Stand. „Die wissen einfach alles und vor allem wissen sie, wie die Mehrheiten sind“, sagt Zeller. „Und es macht natürlich überhaupt keinen Sinn, für etwas zu lobbyieren, von dem man weiß, dass man nie eine notwendige Mehrheit bekommen kann.“

Interessenvertreter sollten sich von der Komplexität, die das Lobbying im Bundesrat mit sich bringt, nicht abschrecken lassen. Momentan wird hier wenig lobbyiert, aber wer den Prozess verstanden hat und anwenden kann, liegt im politischen Berlin ganz vorn.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 139 – Thema: Politische Events. Das Heft können Sie hier bestellen.