Anfang September lieferten sich Präsident Joe Biden (Demokraten) und Ex-Präsident Donald Trump (Republikaner) einen Schlagabtausch. „Donald Trump und die MAGA-Republikaner verkörpern einen Extremismus, der die Fundamente unserer Republik bedroht“, sagte Biden in einer Rede in Philadelphia. MAGA steht für Trumps alten Wahlkampfslogan „Make America Great Again“. Wenige Tage später konterte Trump bei einem Auftritt in Wilkes-Barre im Bundesstaat Pennsylvania: „Sie verunglimpfen 75 Millionen Bürger, plus weitere wahrscheinlich 75 bis 150 Millionen, wenn wir ganz genau sein wollen, als Bedrohung der Demokratie und als Staatsfeinde. Aber sie sind alle Staatsfeinde“.
Dabei schloss er Biden mit ein: „Er ist der Staatsfeind, wenn Sie die Wahrheit wissen wollen.“ Damit läuteten die alten Kontrahenten die heiße Phase des Wahlkampfs der US Midterm Elections – zu Deutsch Halbzeitwahlen – ein. Und das, obwohl keine der beiden zur Wahl steht. Am 8. November wählen die US-Amerikaner alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses, 35 der 100 Senatoren des Senats sowie die Gouverneure in 36 Staaten und drei Territorien. Zusätzlich stehen zahlreiche Kommunalwahlen an.
Senat: Pennsylvania
„Die Midterm-Wahl ist immer der Tag, an dem ein erstes Urteil über den vor zwei Jahren gewählten Präsidenten gefällt wird“, sagt Juliane Schäuble, US-Korrespondentin des „Tagesspiegels“. Denn je zufriedener die US-Bürger mit Präsident Bidens Arbeit sind, desto eher können die Demokraten darauf hoffen, die Mehrheit in beiden Kammern des Kongresses zu behalten. Aktuell sind die Mehrheitsverhältnisse im Senat und im Repräsentantenhaus äußerst knapp. Im Repräsentantenhaus halten die Demokraten lediglich 221 der 435 Sitze. Im Senat sind beide Parteien mit jeweils 50 der 100 Sitze gleichauf. Kommt es hier bei Abstimmungen zu einem Patt, entscheidet die Stimme der Vizepräsidentin Kamala Harris (Demokraten).
„Historisch war es oft so, dass die regierende Partei nach zwei Jahren abgestraft wurde“, sagt Schäuble, denn „die Amerikaner mögen ihre Checks and Balances.“ Die aktuellen Wahlprognosen deuten an, dass das auch bei dieser Wahl so sein wird. Demnach könnten die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus erringen, während die Demokraten wahrscheinlich die Mehrheit im Senat behalten.
Worum es für Demokraten und Republikaner geht
Schon der Verlust einer der beiden Kammern würde die Regierungsarbeit deutlich erschweren. Denn ein Gesetz tritt nur in Kraft, wenn es von beiden Kammern mit einfacher Mehrheit verabschiedet wird. Danach kann der Präsident es unterzeichnen oder zumindest ignorieren. Legt der Präsident sein Veto ein, kann ein Gesetz dennoch verabschiedet werden, wenn beide Kammern es jeweils mit Zweidrittelmehrheit in namentlicher Abstimmung erneut beschließen. Die Funktionen und Aufgaben von Senat und Repräsentantenhaus unterscheiden sich. Paul Linnarz ist Leiter des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Washington. Er erklärt: „Der Senat ist unter anderem dafür zuständig, internationale Abkommen zu ratifizieren. Der zweite wichtige Aspekt ist, dass der Senat die Kandidaten des Präsidenten für hohe Regierungspositionen und Richterposten, leitende Positionen in Regierungsbehörden, aber auch Botschafterposten im Ausland bestätigen muss. Im Repräsentantenhaus werden alle Entwürfe für Bundesgesetze eingebracht, die den Haushalt oder die Steuern betreffen.“
Repräsentantenhaus: Alaska
Verlieren die Demokraten eine oder beide Kongresskammern, kommt es zu einem Divided Government – einer geteilten Regierung. In diesem Fall benötigt die Regierung auch Stimmen aus dem gegnerischen Lager, um Gesetze zu verabschieden. Das ist in den USA schwierig bis unmöglich. „Da der Präsident handlungsfähig bleiben muss, kann er auf das Instrument der Verordnungen zurückgreifen“, erklärt Linnarz. „Diese Executive Orders greifen vor allem im Bereich Außenpolitik und innere sowie äußere Sicherheit, dürfen aber kein zusätzliches Geld kosten und können von Bidens Nachfolger jederzeit rückgängig gemacht werden.“
Eine Veränderung der Mehrheitsverhältnisse im Kongress würde zudem eine Reihe parteiinterner Fragen berühren. „Wenn Präsident Biden aufgrund eines Divided Governments verstärkt mit Executive Orders regieren muss, müsste er mangels eigener Mehrheit weniger Rücksicht auf parteiinterne Kritiker nehmen“, so Linnarz. Diese kommen meist aus dem linken Spektrum der Demokraten, aber auch konservative Demokraten wie der Senator Joe Manchin hatten ihm zuletzt das Leben schwer gemacht. So scheiterte der „Build Back Better Act“, der Bestimmungen zum Klimawandel und zur Sozialpolitik enthielt, zunächst an Manchin, um später in abgeschwächter Form als „Inflation Reduction Act“ verabschiedet zu werden.
Für die Republikaner würde die Rückeroberung einer Kongresskammer zunächst bedeuten, dass sie unliebsame Gesetzesinitiativen der Demokraten stoppen und damit Bidens politische Agenda vereiteln könnten. Gleichzeitig bedeutet die Mehrheit in nur einer Kammer für die Republikaner, dass sie selbst kaum Chancen haben, eigene Gesetzesinitiativen durchzubringen.
Senat: Ohio
Falls die Republikaner mindestens eine Kongresskammer gewinnen, müssen sie sich ebenfalls parteiinternen Kämpfen stellen. So herrscht im Repräsentantenhaus ein stärkerer Druck auf die Abgeordneten, mit der Parteilinie zu stimmen. „Das dürfte dazu führen, dass unterschiedliche Positionen innerhalb der Partei viel lauter werden und viel stärker um gemeinsame Positionen gerungen werden muss, als das in der Opposition der Fall war“, sagt Linnarz.
Themen: Wirtschaft, Schwangerschaftsabbrüche und Trump
An der Feststellung „It’s the economy, stupid!“ von Bill Clintons Wahlkampfstrategen James Carville aus dem Jahr 1992 hat sich auch dreißig Jahre später nicht viel geändert. Eines der wichtigsten Themen des Wahlkampfs und ein klassisches Thema der Republikaner ist die Wirtschaft, aktuell insbesondere die Inflation. Ähnlich wie in Europa steigen in den USA die Mieten, die Lebensmittel- und die Energiepreise. Für Juliane Schäuble ist der Benzinpreis ein wichtiger Indikator: „Der Benzinpreis war stark gestiegen, ist aber wieder gesunken – und das ist wichtig, weil Amerika ein Land der Autofahrer ist.“ Gleichzeitig ist die Inflation weiterhin hoch. Das übertönt andere gute Nachrichten wie eine niedrige Arbeitslosigkeit und viele offene Stellen. „Am Ende wollen die Leute das Gefühl haben, es gehe mit der Wirtschaft bergauf“, erklärt Schäuble.
Zudem werden die Kongresswahlen immer mehr zum Referendum über Schwangerschaftsabbrüche, was den Demokraten zugutekommt. Die Entscheidung des Supreme Court, das Grundsatzurteil „Roe versus Wade“ zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den USA wieder aufzuheben, mobilisiert vor allem Frauen, sich als Wähler der Demokraten zu registrieren. So haben sich mehr Frauen neu zur Wahl registriert als Männer: um elf Prozentpunkte in Ohio, zwölf Prozentpunkte in Pennsylvania und 15 Prozentpunkte in Wisconsin – alles umkämpfte Bundesstaaten.
Senat: Arizona
Dass ihr einstiges Herzensthema ihnen auf die Füße fällt, mussten die Republikaner bereits Anfang August im äußerst konservativen Kansas erleben. Dort stimmten die Wähler in einem Referendum zu 60 Prozent für das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche. „Viele Republikaner versuchen das Thema im Wahlkampf auszusparen oder teilweise moderatere Töne anzuschlagen, weil sie gemerkt haben, dass es ihnen kräftig schadet“, sagt Schäuble, die zusammen mit ihrer „Handelsblatt“-Kollegin Annett Meiritz gerade ein Buch zum Aufstieg konservativer Frauen in den USA veröffentlicht hat.
Ein Mann spukt immer wieder als Phantom durch die Debatten: Ex-Präsident Donald Trump. Auch für ihn sind die Midterms ein Gradmesser für seine Chancen, 2024 erneut als Präsidentschaftskandidat anzutreten. Ein wichtiger Indikator dafür ist, wie die von ihm unterstützten Kandidaten abschneiden. „Da gibt es ein gemischtes Bild“, sagt Schäuble. „Umfragen deuten darauf hin, dass besonders extreme Kandidaten durchfallen können. Denn am Ende kommt es auf die Wähler in der Mitte an.“ Allerdings haben die Ermittlungen gegen Trump und die FBI-Razzia in seinem Haus in Mar-a-Lago auch das Potenzial, seine Anhänger zu mobilisieren.
Wenig Einfluss auf Außenpolitik
Eine Prognose, was die Wahlen in den USA für Deutschland und Europa bedeuten, ist schwierig. „Klar ist, wenn es einen blockierten Kongress gibt und der Präsident geschwächt wird, werden von den USA noch weniger Initiativen ausgehen. Gleichzeitig hat Biden in der Außenpolitik dann immer noch Handlungsmöglichkeiten im Umgang mit den derzeit wichtigsten außenpolitischen Themen wie Ukraine, Klimawandel und Weltwirtschaft“, sagt US-Korrespondentin Schäuble.
Auch Experte Linnarz erwartet in der Haltung zum Ukraine-Krieg zunächst keine größeren Veränderungen. „Bei allen Meinungsverschiedenheiten zwischen den Republikanern und den Demokraten sind sie sich bisher sehr einig, was die Unterstützung für die Ukraine, sowohl was die Frage nach Waffen als auch nach Ausrüstung, angeht.“ Mit konkreten Prognosen über die Folgen einer Wahl sollte man allerdings warten, bis gewählt wurde. Darin stimmen Schäuble und Linnarz überein.