Ich erlebe immer wieder, dass Klientinnen und Klienten rhetorische Tricks von mir erwarten. Dann muss ich sie immer enttäuschen: No tricks! Rhetorik ist eine ehrenwerte Wissenschaft. Hier gehts um Strategie und Taktik, nicht um Trickserei – zumindest nicht bei mir.
Aber dieser Friedrich Merz beherrscht in der Tat einen ganz besonderen rhetorischen Trick. Der CDU-Chef stellt mit seinen Worten nicht anderen ein Bein, sondern beinahe immer sich selbst. Diese beeindruckende Konstanz muss man erst mal hinkriegen.
Erinnern wir uns, es ist ein paar Wochen her: Die Ausgangslage für Merz ist politische Alltagskost. Da stichelt und provoziert mal wieder einer, in diesem Fall Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) aus NRW. Er provoziert den großen Vorsitzenden mit nur einem einzigen Wort. Nämlich: Seine Aufgabe sei „vorerst“ in NRW. Vorerst – das bringt beim langen Sauerländer offenbar ganz schön das Blut in Wallung.
Kleiner Exkurs: Dieter Hildebrandt – seligen Angedenks – hat mal den schönen Satz geprägt: Denken Sie, in den Türmen der Deutschen Bank schaut oben jemand aus dem Fenster, wenn unten jemand rüttelt? Für die einen ist das Arroganz. Für die anderen Leadership.
Und was macht der Fritze aus dem Sauerland? Er schaut nach der wüsten Provokation nicht nur oben aus dem Fenster seines Merz-Turmes, sondern stürmt höchstselbst alle Stockwerke die Treppen hinunter bis vor die Tür und gibt dem Hendrik ganz persönlich was auf die Fresse. Indem er das wichtigste CDU-Land (mitsamt seinem starken Landesverband und gut einem Drittel potenzieller Kanzlerkandidatenwähler) als politdebiles Notstandsgebiet am Rande des grenzdemokratischen AfD-Ruins beschreibt. Dazu – wir erinnern uns – schreibt er dem Ministerpräsidenten ins Buch, sein Land NRW sei nun politisch auch nicht exzellent gemanagt und die Bürger seien unzufrieden. Also: Der CDU-Chef macht seinen erfolgreichen Ministerpräsidenten Wüst zur Wurst.
Fazit für Fritze Merz: Man kann sich als CDU auch rhetorisch selbst zerstören und braucht keinen Rezo dazu. Brilliant! Aber das ist noch mal eine ganz andere rhetorische Geschichte, die wie Pech(stein) und Schwefel am ewigen Merz klebt. Rhetorischer Trick, wenn es denn einer sein muss: Leadership heißt bisweilen auch: Einfach mal die Klappe halten!
Zu viel auf einmal
Das trifft im übertragenen Sinne auch auf das andere rhetorische Sturmgeschütz der CDU zu, den neuen Generalsekretär Carsten Linnemann.
Ein kleiner Exkurs: Man kennt das ja. Die Kinder platzen ins Haus und erzählen die Eindrücke ihres Tages in einem einzigen Wortschwall. Es gibt keinen Anfang und kein Ende. Es ist von allem zu viel. Und dann der Elternspruch: „Langsam, mein Kind! Erzähl noch mal ganz von vorne!“
Das möchte man auch dem neuen CDU-General Carsten Linnemann zurufen. Man ahnt, dass er nach seiner Krönung durch König Friedrich wie ein Kind mit viel zu vielen Geschichten aus dem Konrad-Adenauer-Haus in die Welt rennt, um über die jetzt nun wirklich startende neue Zukunft der CDU zu berichten.
Also stürmen wir mit General Carsten und seinem Herzen voller Geschichten in die Tagesthemen-Sendung am Tage seiner Inthronisierung: Was er denn in der CDU verändern wolle – so ähnlich hieß die Frage. Und dann kommt – in einer Antwort – alles auf einmal: Leistung, Fordern, Fördern, Bürgergeld, Rechtsstaat und der ewige Bauarbeiter, der nicht bis 63 arbeiten kann – alles in einem Satz. Das kann rhetorisch nicht funktionieren.
„Alles drin in meiner Antwort“ ist aus guten Gründen keine überlieferte rhetorische Stilfigur. Da bleibt nämlich nichts hängen. „Gebt ihr dem Volk ein Stück, so gebt es ihm in Stücken“, steht nicht umsonst ganz vorne im ollen Faust.
Eine Maxime der Rhetorik beherrscht Linnemann aber. Die lautet: Bring es mit einem Bild auf den Punkt! Also spricht er von der neuen „Erkennungsmelodie“, die er der CDU geben möchte.
Eine Metapher zu finden für das eigene Wirken – gar nicht so doof. Wenn man für den Aufbruch der CDU aber das goldene Armband von Dieter Thomas Heck vor Augen schwingen sieht, dann könnte diese Metapher für das Thema Erneuerung womöglich die falsche sein.
„Erkennen Sie die Melodie“ ist laut Wikipedia übrigens eine von Johanna von Koczian moderierte Rateshow im ZDF, die 1985 abgesetzt wurde. Der neue Sound der CDU hört sich irgendwie noch immer wie die Plattensammlung von Friedrich Merz an.
Spätestens dann, wenn Linnemann verspricht, er wolle mehr „Bock auf die Zukunft“ machen, dann hört sich seine Generalsekretärs-Rhetorik an wie das röchelnde Zweitakter-Mofa des langhaarigen Fritze Merz im Sauerland der späten siebziger Jahre.
Erkennungsmelodie und Bock auf Zukunft: Das klingt nicht nach rhetorischem Aufbruch! Ansonsten verwendet Linnemann für einen Generalsekretär eine ganze Menge zusammengesetzter Substantive à la ‚Grundsatzprogrammkommission‘. Aktivieren geht anders.
Fazit: Es täte Carsten Linnemann gut, wenn er für seine neue Rolle etwas mehr Bock auf Rhetorik hätte und rasch seinen eigenen Sound finden würde.
Kaputte Schallplatte
Es soll in dieser Rubrik aber nicht nur um den rhetorisch doch arg röchelnden Merz-Flügel der CDU gehen. Auch über die SPD wurde viel diskutiert. Da war dieser SPDler aus Meck-Pom und sein Interview, in dem er den immergleichen Satz unaufhörlich wiederkäut. Daraus ergeben sich folgende vier Fragen:
Erste Frage: Darf ein Interviewpartner in einem Interview einfach „seine“ Antwort geben? Antwort: Na klar! Deshalb macht er das Interview ja. Ein Interview ist in erster Linie ein Kanal in den Diskurs zur Bildung einer öffentlichen Meinung.
Zweite Frage: Sollte man das so ungelenk tun, wie der SPD-Mann hier? Antwort: Besser nicht!
Dritte Frage: Digga, warum sagst du nicht einfach, dass die Sozen-Sause 15 Mille gekostet hat? Kommt doch sowieso raus. Scheibchenweise gibt’s vielleicht Wurst, aber definitiv keine rhetorische Kraft.
In diesem Sinne ist Rhetorik in meinen Coachings niemals irgendeine Technik zum „Bridgen“, Tricksen oder für einen eleganten Exit. Sie ist immer eine Haltungsübung. Wer Haltung hat und diese rhetorisch zeigt, windet sich nicht so ungelenk wie der Herr da Cunha. Was uns am meisten an ihm ärgert, ist ja nicht seine Wiederholungssuppe, sondern das Rückgrat, das ihm in dieser Situation offensichtlich fehlt. Da hilft dann auch kein Medientraining.
Jetzt ist diese Rubrik beinahe am Ende und da ist Carsten Linnemann schon wieder im Morgenmagazin. Keine schlechte Bühne, um die Themen des Tages zu setzen. Seine erste Antwort beginnt mit: „Ich war ja auch Chef der Grundsatzkommission“. Jetzt mal zum Mitschreiben: Ein Satz, der mit „Ich“ beginnt, kann nur in die Hose gehen. Es sei denn, es folgen die beiden Worte „liebe dich“. Und was die Grundsatzkommission ist, wissen wahrscheinlich nicht mal alle CDU-Mitglieder. Die Zuschauer des Morgenmagazins jedenfalls wissen es ganz sicher nicht. Ansonsten legt Linnemann die Stirn in Falten und betont immer die vorletzte Silbe eines Satzes. Steht irgendwo, dass das ein Trick sei, um entschlossener zu wirken? Ich wüsste nicht, wo.
Ansonsten: Floskelalarm: Es geht um die Geschlossenheit der Partei, die Breite der Themen und inhaltliche Schlagkraft. Hier kenne ich dann doch einen Trick: Nicht auf der Metaebene über die Themen sprechen, sondern im Klartext. Wegen dieses Interviews im Morgenmagazin hätte der General seinen Wecker nicht so früh stellen müssen. Das nächste Mal bitte ausgeschlafen.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 144 – Thema: Interview mit Can Dündar. Das Heft können Sie hier bestellen.