Liebe Leserinnen, liebe Leser, es hat genau sechs Kolumnen gedauert, dass sich der Titel meiner ersten p&k-Kolumne bewahrheitet hat: Es hat sich ausgezwitschert.
Zwar nicht in der Form, dass Politiker und Politikerinnen in Heerscharen Twitter verlassen. Aber vielleicht bald (ni)X? Was bedeutet das für die politische Kommunikation?
Als ich an diesem Montag (24. Juli) Twitter über meinem Browser geöffnet habe, hieß der Domain-Name nach wie vor www.twitter.com, aber statt des blauen Vogels prangte nun ein X als Logo über der linken Seite des Bildschirms.
Heute früh habe ich einen sehr passenden Beitrag von Marian Bracht gelesen, der die Gemengelage einmal geordnet hat.
Fest steht: Musk hat eine Obsession mit „X“, will sich von den vergangenen Twitter-Desastern emanzipieren und mit X eine Super-App nach dem chinesischen Vorbild WeChat bauen. Und das alles mittels KI. Ob das klappen wird? Das ist ein Blick in die Zauberkugel.
Vorerst habe ich ein paar aktuelle Gedanken für euch als Akteure im politischen Umfeld, die die Veränderungen betreffen:
- Es gibt keine derzeit Alternative: Denkt langfristig darüber nach, ob Twitter noch die geeignete Plattform für euch ist. Alternativen gibt es bislang allerdings nicht. Threads von Meta ist nicht in Deutschland und der EU verfügbar – aufgrund „komplexer Gesetze“ (Instagram-Chef Adam Mosseri). Mastodon dümpelt vor sich hin und wird meiner Meinung nach wieder in der Versenkung verschwinden.
- Meinungen und Nachrichten werden nach wie vor über X gemacht: Egal welche Debatte, egal welcher Aufreger: Viele Themen entstehen auf der ehemaligen Plattform Twitter. Anschließend berichten Leitmedien darüber. Das schafft kein anderer Kanal. X bleibt für Politik und Medien wahnsinnig wichtig. Die Plattform ist und bleibt ein „Frühwarnsystem für Shitstorm-Tsunamis, der verlängerte Arm der Pressearbeit und auch das DSDS der politischen Kommunikation.“
- (Lokale) Live-Ticker für die Krisenkommunikation werden nicht mehr funktionieren: Für Umwelt-Katastrophen, Bombenentschärfungen und weitere aktuelle Geschehnisse, über die schnell berichtet werden muss, fällt dieser Kommunikationskanal weg. Das führt zu einem weiteren Problem: Bei nahezu allen regionalen Nachrichtenwebseiten sind derzeit alle Live-Ticker hinter einer Paywall. Wo finden die Menschen in Zukunft notwendige Krisen-Informationen schnell und kostenfrei?
- Entdemokratisierung durch Scroll-Limitierung. Es zeigt sich: eine öffentliche Teilhabe ist nicht mehr gegeben, da die Plattform die Inhalte für alle sperrt, die sie ohne Anmeldung aufrufen. Wo bleibt die allgemeine Zugänglichkeit? Wie man es handhaben kann, zeigen die Bundesregierung und der Bundeskanzler. Sie fotografieren ihre X-Beiträge und stellen sie als Bilder auf ihre Webseite. X auch künftig als Presse-Kanal? Die fehlende Zugänglichkeit macht das unmöglich.
Ein kurzes Beispiel: Das bekomme ich als nicht-eingeloggter Internet-User zu sehen, wenn ich auf die X-Seite von Regierungssprecher Hebestreit gehen möchte.
Was sollten wir in der politischen Kommunikation nun aktiv tun, um zu zeigen, dass wir wenigstens als Akteur oder Organisation zeigen können, dass wir die neusten Entwicklungen verfolgen?
Vier Empfehlungen zum derzeitigen Stand
- Logos ändern: Zeitnah auf allen Webseiten die Twitter-Icons zu „X“ ändern und dadurch die verlinkten Accounts anpassen. Sonst wirkt es, als verpasse man die neuesten Entwicklungen.
- Printprodukte neu drucken: Mittelfristig alle Printprodukte neu drucken, wo noch das Twitter-Logo neu zu finden ist (kann sehr teuer werden) – in jedem Fall sollte bei Neugestaltungen auf das neue Logo zurückgegriffen werden.
- Visitenkarten anpassen.
- Keep going: Erstmal so weitermachen, wie zuvor, aber kritisch die Entwicklungen der Plattform prüfen.
Fragen, die mich weiterhin umtreiben:
- Werden noch X-Timeline-Einbindungen auf der Webseite funktionieren?
- Braucht es noch weiterhin Hashtags für politische Veranstaltungen?
- Ist die Beschränkung die neue „Daten-Paywall“ von Plattformbetreibern?
- Wie reagiert Meta?
- Ist X der Beginn von „X, der App für alles“, die Musk schon einmal beschworen hat?
Fest steht: X wird anders sein als Twitter. Ich finde diese Entwicklung mehr als bedenklich, da es verdeutlicht, wie ausgeliefert wir als User von digitalen Plattformen sind – nach dem Motto: Friss oder stirb. Alles wird verändert, vermutlich auch noch die AGBs – aber wir wollen und müssen dabeibleiben, um nichts zu verpassen und um unsere Arbeit zu machen.
Vor allem frage ich mich: Müssen wir als politische Akteure und politische Kommunikatorinnen wirklich alles mit uns machen lassen? Wir sollten mal über das Machtgefälle nachdenken, das die digitalen Plattformen uns aufnötigen. Denn zu sagen haben wir nichts.
Es werden sicherlich noch spannende Monate werden.
Best,
Theresa