Ausgezwitschert?

Kolumne

Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) hat aufgrund der fragwürdigen Führung von Twitter CEO-Elon Musk sein Twitter-Aus angekündigt. Vorher hatte sich schon Christian Drosten von der Social-Media-Plattform verabschiedet und betont, dass ihn das digitale Leben nicht mehr interessiere. Letztes Jahr folgten diesem Trend meinungsführende Persönlichkeiten wie Sophia Passmann, Kevin Kühnert (SPD), Jens Spahn (CDU), Saskia Esken (SPD) und Robert Habeck (Grüne). Die Gründe sind viele: Zu viel Gehässigkeit; ein schlechtes Gewissen, da man selbst zu viele Menschen diskreditiert hat; die Unsachlichkeit der Plattform.

Wir müssen reden. Und damit freue ich mich, meine Kolumne bei P&K zu beginnen. Was passiert gerade? Über mich, Theresa Hein, müsst ihr wissen, dass Twitter definitiv nicht meine liebste Social-Media-Plattform ist. Ich fühle mich auf Instagram und Linkedin wohler.

Twitter ist jedoch aktuell noch eine der wichtigsten Plattformen der politischen Kommunikation. Sei es für Public-Affairs-Akteure, Politiker, Wissenschaftler politisch Mitredende oder Journalisten…

Twitter ist ein Frühwarnsystem für Shitstorm-Tsunamis, der verlängerte Arm der Pressearbeit und auch das DSDS der politischen Kommunikation: politisch Mitredende hoffen gesehen zu werden, um – wie Sophie Passmann in der “Zeit” zutreffend schrieb –, „durch Auftritte auf Panels, durch das Bereitstellen von Fläche in Artikeln, durch Anfragen für Interviews oder Aufträge“ entlohnt zu werden.

Eigentlich hofft doch jede twitternde Person, den „Spill Over“ hinzubekommen: Also, dass der eigene Tweet so viral geht, dass genau das soeben beschriebene passiert: 15-Sekunden-Ruhm.

Ich finde, das ist zu kurz gedacht: Menschen hassen, machen sich lustig über andere und polarisieren, um diesen Spill-Over einzufahren. Soll das unser gesellschaftlicher Diskurs sein?

Ich glaube, daraus entsteht der böse Sog der Plattform: Wann schaffe ich es wieder, viral zu gehen? Wie witzig muss ich sein? Wie kontrovers muss ich sein? Wen muss ich beleidigen? Alles nachzulesen im Liveticker der eigenen Timeline. Lustig sind dann immer die eigenen Tweets von 2020, die einem auf einmal im echten beruflichen Leben das Genick brechen.

Dem gegenüber steht auf Twitter eine Gruppe von Menschen, die allein wegen ihrer Stellung im echten Leben schon gehört werden. Dazu zählen der Bundeskanzler, Minister und Ministerinnen, Oppositionsführer, CEOs, Virologen. Diese Personen haben ein leichteres Spiel, oft aber auch nur, wenn ihre Themen gerade Konjunktur haben.

Ein schönes Beispiel dafür sind Christian Drosten und sein Twitter-Aus. Drosten hat keine Strategie für „nach der Pandemie“. Er hat keine Lust, das digitale-Ich aufrecht zu erhalten. Keine Lust, die Öffentlichkeit weiterhin teilhaben zu lassen. Keine Lust, die Reichweite für soziale Zwecke und gesellschaftliche Themen zu nutzen.

Natürlich ist das eine Enttäuschung für diejenigen unter seinen Followern, die eine (parasoziale) Beziehung zu ihrem Idol aufgebaut haben. Als Community begeben wir uns täglich in eine Abhängigkeit. Aber Drosten hat es smart gemacht: Corona interessiert nicht mehr so sehr, Drosten müsste sich neu legimitieren. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat sich zuletzt immer mehr für den Klimawandel interessiert. Für Drosten kam das nicht infrage. Bevor er in eine digitale Daseins-Krise käme, sagte er: Adios.

Smart. Nicht jeder kann sich so schnell und konsequent vom digitalen Ruhm lösen.

Wir merken: Twitter ist eine Plattform, auf der sich derzeit das Akteursfeld Politiker, politisch Mitredende, Journalisten und Public-Affairs-Akteure tummelt. Das kann sich schnell ändern. Die Plattform ist Mittel zum Zweck.

Fangt erst gar nicht mit der dümpelnden Konkurrenzplattform Mastodon an. Zwitschert lieber Twitter aus. Wenn Akteure im medialen Interesse stehen, ist der Kanal als Form der modernen Pressemitteilung sehr sinnvoll. Aber bitte nicht als Akteur selbst sich in den Kommentaren diskutieren oder sich gegenüber User6462 rechtfertigen. Auch ein kritischer Tweet von User6462 wird euch oder eure Organisation nicht zum Einsturz bringen. Es geht nur um den SpillOverEffekt: Entsteht eine Kontroverse und wird sie von den Medien aufgenommen? Ja, man sollte achtsam sein aber auch keine Diskussionen überinterpretieren.

Lasst es lieber auszwitschern, wenn nichts thematisch Relevantes mehr zu sagen ist.

Es ist spannend, denn aktuell ist eine gute Zeit für Kommunikation. Es bewegt sich etwas.

Auf bald,

Theresa