Zehn Lehren für bessere ­Video­konferenzen

Praxis

Es geht: Die technische Ausstattung eines gewöhnlichen Laptops reicht aus, um an Videokonferenzen teilzunehmen oder sogar selber digitale Veranstaltungen zu organisieren. Ob und in welcher Qualität diese dann auch übertragen werden, hängt stark von der verfügbaren Internet-Bandbreite und von der Belastung der jeweiligen Anbieter an. Aber sicher ist: Es geht.

Es wird mehr: Der Zukunftsforscher Gerd Leonhard sagt: “Wir müssen uns in der Zukunft viel mehr virtuell treffen! Online Konferenzen werden das neue Normal, und face to face wird der neue Luxus.” Er bezieht diese Prognose nicht nur auf die Folgen der Pandemie. Das gestiegene Umwelt-Bewusstsein lässt viele überlegen, auf überflüssige Reisen zu verzichten. Außerdem beweisen die Corona-Tage auch Skeptikern, dass diese Form der Telearbeit funktioniert. Es ist also davon auszugehen, dass virtuelle Konferenzen in Zukunft weiter zunehmen werden.

Gute Hardware hilft: Auch wenn die Grundausstattung eines handelsüblichen Laptops und sogar auch Smartphones ausreicht, lohnt es sich, in gute Technik zu investieren. Wer mitreden will, sollte sich ein Mikrofon mit USB-Anschluss kaufen. Wer gesehen werden will, sollte sich mit so genannten Ringlichtern befassen. Diese kreisförmige Beleuchtung wird auf Video- und Fotoplattformen häufig eingesetzt, weil sie die Protagonisten in ein erkennbar besseres Licht setzt. Wer in einer Videokonferenz Beiträge leisten will, kann davon profitieren. Gleiches gilt für die Option einiger Programme, Hintergründe zu tauschen oder zumindest so verwischen zu lassen, dass sie nur unscharf zu erkennen sind. Wer kreative Hintergrundbilder erschaffen will, kann einen sogenannten mobilen Green Screen nutzen. Es ist aber wichtig, an die Lektion zu erinnern, die Professor Robert Kelly vor drei Jahren die Welt lehrte. Authentizität schlägt Inszenierung. Der Experte für koreanische Politik war live in eine Fernsehübertragung aus seinem Schlafzimmer geschaltet, als plötzlich seine Kinder im Hintergrund in den Raum platzten. Die Szene wurde zu einem weltbekannten Internet-Meme.

Gute Software hilft auch: Der Gewinner der Corona-Krise heißt vermutlich Zoom. Die New York Times titelte: “We live in Zoom Now” um zu beschreiben, wie die Video- und Streaming-Plattform zu dem virtuellen Ort geworden ist, in dem sich Menschen treffen um zu arbeiten, zu unterrichten oder gemeinsam Bier zu trinken. Die Auswahl an Software für Videocalls und Streaming ist aber weit größer. Je nach Teilnehmer-Zahl bieten auch Messenger wie WhatsApp, Signal oder Facetime die Möglichkeit der Videounterhaltung. Slack, Microsoft-Teams, Skype und Google-Hangouts werden häufig in Arbeitsumfeldern eingesetzt. Gute Alternativen sind auch Jitsi, Discord, Whereby oder Matrix.

Ein Knigge für Konferenzanrufe: Im Umgang mit Online-Kommunikation ist in den vergangenen Jahren viel über ein Regelwerk der Höflichkeit im Netz gesprochen worden, die so genannte Netiquette. Auch für virtuelle Konferenzen braucht es soziale Regeln, weil sonst alle durcheinander reden. Außerdem müssen die Teilnehmer die Bereitschaft mitbringen, einander ausreden zu lassen. Sie sollten ihre Technik vor Beginn des Streams testen und ihr Mikrofon auf stumm stellen, wenn sie nicht sprechen oder nebenher auf der Tastatur tippen.

Verzögerungen aushalten: Eine besondere Herausforderung für die Höflichkeit steckt in dem, was man Latenz nennt. Die kurze Verzögerung, die durch die Übertragung entsteht, dauert manchmal einige Augenblicke und verlangt den Teilnehmern einige Geduld ab, andere ausreden zu lassen. Sie müssen verstehen, dass das Gesagte nicht sofort auch schon gehört ist. Manche Veranstaltungsanbieter sind deshalb und wegen der manchmal instabilen Bandbreiten dazu übergegangen, Vorträge vorab aufzuzeichnen und dann in einer Videokonferenz abzuspielen.

Die Rollen müssen klar sein: Es braucht eine Moderatorin oder einen Moderator, die das Gespräch führen. Sie bestimmen die Regeln der sozialen Interaktion. Dazu zählt die oben erwähnte Videocall-Etikette, aber auch, welche Form für virtuellen Applaus genutzt werden soll (manchmal klatschen Teilnehmende stumm, indem sie mit beiden Händen winken) oder ob man per Chat (schriftlich) oder per Ton (mündlich) nachfragen soll. Die britischen Comedians von Foils Arms and Hog haben einen Sketch auf YouTube online gestellt, in dem einem Lehrer eine virtuelle Klasse entgleitet, weil er gar nicht auf die Rollen achtet.

Vermeintlich abseitige Beispiele im Blick behalten: Die plötzliche Aufmerksamkeit, die das Streaming von Live-Events gerade erfährt, erstaunt alle, die schon seit Jahren auf Plattformen wie Twitch aktiv sind. Dass Menschen sich beim Computerspielen (Let’s-Play-Video) filmen oder andere Formen von Live-Streams anbieten, ist nämlich keineswegs neu. Es war nur bisher nicht so im Fokus der Mainstream-Öffentlichkeit. Hier finden sich viele Beispiele und auch Wissen darüber, welche Dynamik Kommunikation über Kamera entfalten kann.

Authentisch sein: Vorträge in einer Online-­Konferenz zu halten, ist eine besondere Herausforderung. Es ist nahezu unmöglich, die Stimmung im Publikum auf dieselbe Weise zu erspüren, wie dies bei einem Vortrag mit Präsenz­publikum möglich ist. Vortragende müssen sich darauf vorbereiten, in eine Kamera ohne direktes Feed­back zu sprechen. Der Schweizer Autor und Lehrer ­Philippe Wampfler versucht deshalb vor seinen virtuellen Vorträgen und Unterrichtsstunden auf informellem Weg, die Stimmung bei einem Anruf einzufangen, um sich besser auf das jeweilige Publikum einzustellen. Grundsätzlich gilt jedoch die Lehre aus dem oben erwähnten Video des Südkorea-Experten: Authentisch zu bleiben, ist selten falsch.

Es werden neue Formate entstehen: Die Entwicklung von Videokonferenzen steht erst am Anfang. Dass jemand einen Vortrag hält und andere dabei zusehen, wird in naher Zukunft durch sogenanntes Co-Watching oder kollaboratives Arbeiten erweitert werden. Instagram hat das Angebot Co-Watching gerade für kleine Gruppen angekündigt. Dabei schauen mehrere Menschen online gemeinsam einen Film oder eine Serie an und können darüber sprechen. Die Software Miro nutzt diesen Austausch für die Arbeit an gemeinsamen Whiteboards. Beim Social-Reading liest man gemeinsam einen Text. Hier werden sich bald noch weitere kreative Formen der digitalen Verbindung entwickeln, die vermutlich von denjenigen ausgehen werden, die sich trauen, selbst aktiv zu werden.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 130 – Thema: Stresstest. Das Heft können Sie hier bestellen.