Barrierefreiheit bedeutet nicht nur Aufzüge und Rampen für Rollstuhlfahrer, Brailleschrift und Bodenleitsysteme für blinde Menschen und Gebärdensprache für Gehörlose. Wer nicht so gut lesen kann, ist auf Leichte Sprache angewiesen. Sie ist eine wichtige Voraussetzung, damit auch Menschen mit einer sogenannten geistigen Behinderung am gesellschaftlichen und politischen Leben teilhaben können. Ebenso können Menschen mit Demenz profitieren und Zugewanderte, denen leichte Texte beim Einstieg in die deutsche Sprache helfen.
Die Forderung nach leicht verständlicher Sprache ist hierzulande nicht neu, wobei andere Staaten der Umsetzung in Deutschland weit voraus sind. Vorreiter in Europa sind die skandinavischen Länder, wo leichte Texte heute selbstverständlich zur gesellschaftlichen Kommunikation dazugehören.
In Deutschland ist Leichte Sprache vor knapp 20 Jahren zum Thema geworden und spielt seit etwa zehn Jahren eine immer größere Rolle. Dazu hat vor allem das Netzwerk Leichte Sprache beigetragen. Der Verein setzt sich für die gesetzliche Verankerung des Konzepts ein. Gemeinsam mit Menschen mit Behinderung entwickelte das Netzwerk das erste umfassendere Regelwerk, das das Bundessozialministerium vor sechs Jahren in einer eigenen Broschüre veröffentlicht hat. Die darin enthaltenen Regeln fürs Schreiben, für Layout und Typografie sollen größtmögliche Verständlichkeit gewährleisten. Ein weiteres Regelwerk haben Sprachwissenschaftler der Universität Hildesheim entwickelt.
Leichte Sprache ist mittlerweile gesetzlich verankert: Bundesregierung und -behörden, Sozialversicherungsträger sowie Bundesorgane und -gerichte sind angehalten, sich verständlich zu machen – und zwar für jeden. Das besagt das Behindertengleichstellungsgesetz (BGG). In seiner Neufassung von 2016 fordert das BGG Träger öffentlicher Gewalt auf, Informationen vermehrt in Leichter Sprache bereitzustellen. Es verlangt von ihnen, Bescheide, Allgemeinverfügungen, öffentlich-rechtliche Verträge und Vordrucke so zu erklären, dass jeder sie versteht.
Die Behörden setzen Leichte Sprache sehr unterschiedlich um
Als wichtiger Meilenstein gilt auch die UN-Behindertenrechtskonvention von 2009. Sie besteht darauf, dass Informationen grundsätzlich ohne fremde Hilfe zugänglich und nutzbar sein müssen. Mit einem Nationalen Aktionsplan will die Bundesregierung die Forderungen dieser Konvention umsetzen.
Den ersten großen Aufschwung für Leichte Sprache brachte aber die Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung von 2011. Sie regelt die Barrierefreiheit von Internetauftritten der Bundesbehörden und schreibt ihnen vor, dass Informationen über ihre Webangebote in Leichter Sprache und Gebärdensprache bereitstehen müssen. Bis 2014 sollten das alle Bundesbehörden umsetzen. Viele erfüllen bis heute aber nur die Minimalanforderungen: Sie erklären den Inhalt ihrer Website und die Navigation leicht verständlich.
Das wird am Beispiel der Bundesministerien deutlich. Die meisten begnügen sich mit diesem Minimalprogramm, bei Justiz und Landwirtschaft fehlen gar die geforderten Erklärungen zur Navigation. Dafür nehmen sich diese Ressorts vergleichsweise viel Raum, um über sich selbst zu informieren. Manche Bundesministerien erweitern ihr Leichte-Sprache-Angebot durch Links auf externe Angebote.
Wegen des starken Bezugs zu Menschen mit Behinderung nimmt das Arbeits- und Sozialministerium eine Sonderstellung ein. Es bietet etliche Publikationen in Leichter Sprache an, zum Beispiel Erläuterungen zum Bundesteilhabegesetz, Infos zur sozialen Sicherung oder zum Schwerbehindertenausweis. Zudem hat es mit der Website einfach-teilhaben.de einen Wegweiser für Menschen mit Handicap eingerichtet, der sie über Hilfsangebote und ihre Rechte informiert. Mit einem umfangreichen, gut strukturierten Infopaket glänzt die Bundesregierung auf ihrer Homepage.
In den Kommunen ist das Thema hingegen noch nicht flächendeckend angekommen – die wenigsten besitzen eigens erstellte Dokumente in Leichter Sprache. Umfangreicher ist das Angebot der Länder. Für große Parteien scheint es aber mittlerweile selbstverständlich, ihre Parteiprogramme in Leichter Sprache anzubieten. Zur Europawahl stellten CDU/CSU, Grüne, SPD, Die Linke und FDP jeweils zusammengefasst und leicht lesbar ihre Pläne und Ziele vor.
Leichte Sprache soll ein ergänzendes Angebot sein
Ganz auf Leichte Sprache setzte das Land Schleswig-Holstein vor zwei Jahren, als es Wahlbenachrichtigungen in Leichter Sprache verschickte – an alle 2,3 Millionen Wahlberechtigten. Bürger und Medien mokierten sich über die „Binde-Strich-Orgien“, kritisierten die falsche Rechtschreibung und fühlten sich verschaukelt. Die „Kieler Nachrichten“ titelten: „Leichte Sprache verschreckt Wähler“.
Leichte-Sprache-Texte können Rechtstexte nicht ersetzen, sondern nur erläutern. Ist der Ausgangstext rechtsverbindlich, muss die in Leichte Sprache übertragene Version einen Haftungsausschluss beinhalten.
Die Hildesheimer Sprachwissenschaftlerin Christiane Maaß kennt die kritischen Reaktionen und hat auch eine Erklärung dafür: „Leichte Sprache soll für Personen mit geringen Lesefähigkeiten Inhalte zugänglich machen“, sagt sie. Richten sich die Texte aber ebenso an Menschen ohne Lese-Handicap, „so enthält das die Unterstellung, diese Personen hätten ebenfalls eine Kommunikationseinschränkung“.
Wer Menschen mit geringer Lesekompetenz entgegenkommt, sollte gleichermaßen jenen gerecht werden, die ohne Probleme lesen können. Demnach kann und soll Leichte Sprache nur ein Zusatzangebot sein. Eine Verallgemeinerung über die eigentliche Zielgruppe hinaus hält Maaß für den falschen Ansatz. Eine Generalisierung würde vielmehr die Stigmatisierung von Menschen mit Lese-Handicap verstärken, argumentiert sie. Das sei nicht im Sinne der Inklusion.
Schlechte Texte in Leichter Sprache senken die Akzeptanz
Welche Lösung empfiehlt sich, wenn eine Publikation alle Zielgruppen ansprechen soll? Ein Modell sind die Wendebroschüren des Niedersächsischen Justizministeriums. Hier der standardsprachliche Text, dort derselbe Inhalt in Leichter Sprache. Die Leser entscheiden sich für eine der beiden Varianten.
Aber auch das Justizministerium erntete Kritik von Bürgern, die sich durch den leichten Teil herabgewürdigt sahen, räumt Sprecher Christian Lauenstein ein. Das hat das Haus aber nicht abgeschreckt. Es bezeichnet sich heute als Vorreiter in Niedersachsen, denn es folgt einer Überzeugung: Indem sprachliche Barrieren fallen, werde der Zugang zum Recht erleichtert, erklärt der Sprecher. Deshalb habe das Ministerium Formulare, Erläuterungstexte sowie Informationsbroschüren und Teile des Internetauftritts in Leichte Sprache übertragen.
Leichte Sprache sieht sich harscher Kritik ausgesetzt. Gegner bemängeln falsches Deutsch und eine Verkürzung des Inhalts, finden die Texte arrogant. Zu Recht? Sprachexpertin Maaß sagt dazu: „Leider sehen wir uns in Deutschland einer Fülle von sehr schlechten Leichte-Sprache-Texten gegenüber, auf die genau diese Beschreibung zutrifft.“ Wenig aussagekräftige Infos, Kommafehler und kindlich anmutende Bebilderung: Was Maaß kritisiert, findet sich unter den Bundesministerien am augenfälligsten im Ressort Verteidigung.
Nach Maaß’ Ansicht prägen schlechte Leichte-Sprache-Texte das negative Bild in der Öffentlichkeit. Leichte Sprache werde als abweichend wahrgenommen – und damit würden es auch alle, die darauf angewiesen sind. Ihr Vorschlag für eine bessere Akzeptanz: „Wir brauchen hochwertige Angebote in Leichter Sprache, die den Regeln der deutschen Orthografie entsprechen, also zum Beispiel ohne falsche Bindestrichschreibungen. Sie sollten auch in Layout und Bebilderung hochwertig ausgeführt sein.“
So funktioniert leichte Sprache
Oft wird Leichte mit Einfacher Sprache gleichgesetzt – es handelt sich aber um zwei verschiedene Ansätze. Einfache Sprache schafft gut verständliche Texte in Standardsprache. Im Gegensatz zur Leichten Sprache liegen ihr keine ausgearbeiteten Regeln zugrunde, sondern es gelten allgemeine Empfehlungen für eine gut lesbare Schriftsprache. Dazu gehören: das Benutzen von häufig verwendeten Wörtern, Sätze mit höchstens einem Komma, der Verzicht auf Fremdwörter und komplizierte Zeitformen, Verbal- statt Nominalstil und Aktiv- statt Passivkonstruktionen.
Diese Beispiel stammt aus der Broschüre „Vererben ∙ erben“ des Niedersächsischen Justizministeriums.
Nicht nur Wortwahl, Satzlänge und -bau dienen der Verständlichkeit, ebenso wichtig sind auch inhaltliche Ordnung, Layout und Typografie. Leichte-Sprache-Texte sind sehr übersichtlich. Pro Zeile ist nur ein Satz erlaubt, Schrift und Zeilenabstand sind größer als gewöhnlich.
Bilder dürfen in Leichte-Sprache-Texten nicht fehlen. Grafiken, Fotos, Diagramme sollten gezielt eingesetzt werden, um das Beschriebene bildlich zu stützen.
Diese Beispiel stammt aus der Broschüre „Vererben ∙ erben“ des Niedersächsischen Justizministeriums.
Leichte Sprache berücksichtigt den Wissensstand der Adressaten, darum werden oft zusätzliche Erläuterungen eingefügt.
Verneinungen werden oft überlesen. Um dem vorzubeugen, werden Negationsmarker wie „kein“ und „nicht“ hervorgehoben.
Leichte Sprache greift bei der Wortwahl auf kurze, häufig verwendete Wörter zurück. Ist ein Wort lang oder unbekannt, macht Leichte Sprache es durch Mediopunkte besser lesbar.
Dieselben Sachverhalte werden stets mit denselben Wörtern beschrieben, es werden keine Synonyme benutzt. In diesem Beispiel wird auch auf Personalpronomen verzichtet, weil Leser sonst zunächst den Bezug zur Person oder zur Sache herstellen müssen.
Als gut verständlich gelten die Zeitformen Präsens und Perfekt sowie das Präteritum von sehr geläufigen Verben.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 128 – Thema: Wandel. Das Heft können Sie hier bestellen.