Von Mund zu Mund

Über Reden

Wer Reden schreibt oder hält, muss recherchieren. Mag dieses Wort auch Anklänge an Wissenschaft und wissenschaftliches Arbeiten enthalten, umfasst es doch eine einfache und grundlegende Tätigkeit, die in der Sprache der klassischen Rhetorik “Auffinden” (inventio) heißt und auch mit “Ideensammeln” übersetzt werden kann. Gespräche mit Freunden und Experten sind genauso Recherchen wie das Lesen von Büchern, das Surfen im Internet oder das laute Selbstgespräch früh morgens.

Abgeordnete verfügen aber über eine weitere besonders hilfreiche Quelle: Umfragen. An sich keine neue Erkenntnis, führen doch Politiker Zahlen in ihren Reden an und befleißigen sich allerlei statistischer Akrobatik. Nicht selten kommt der Eindruck auf, in der Politik handele es sich weniger um einen Wettbewerb zwischen politischen Gegnern, als um einen zwischen geraden und ungeraden Zahlen. Je nach politischer Färbung der Umfrageinstitute meinen die jeweiligen Parteien, den einzigen Schlüssel zur Lösung unserer Probleme in der Hand zu halten.

Doch kann man Umfragen auch anders benutzen – nicht statistisch, sondern sprachlich. Das Bundespresseamt gibt regelmäßig Umfragen in Auftrag und wertet die Ergebnisse nicht nur inhaltlich aus, sondern verwendet sie auch als sprachliche Orientierung beispielsweise für Regierungserklärungen. Nach einem Bericht des Magazins “Der Spiegel” sind die Ergebnisse einer Umfrage zur Klimapolitik aus dem Jahre 2009 fast wortgleich in eine Rede der Bundeskanzlerin eingeflossen. Weitere rhetorisch relevante Umfragen waren: “Verteidigungspolitik im Spiegel der öffentlichen Meinung”, “Wertvorstellungen der Deutschen” und “Singles im Alter von 30 bis 59 Jahren”.

Inspiration für eigene Redetexte

Unabhängig von der Frage, ob und inwiefern solche unveröffentlichten Umfragen im Auftrag des Bundespresseamtes die Chancengleichheit der Parteien gefährden, erweisen sich diese Erhebungen als ein wertvolles Rechercheinstrument und als Vorlage für Redetexte. Wenn die Umfragen repräsentativ sind, können deren Ergebnisse in Reden aufgenommen werden, um nach dem alten Grundsatz der Rhetorik eine “Ähnlichkeit” zwischen den Meinungen der Öffentlichkeit und des Redners herzustellen – eine Ähnlichkeit, welche Sympathie erzeugt und beim Zuhörer den Eindruck nährt, “dieser Redner versteht mich”.

Enthalten diese Erhebungen zudem wörtliche Zitate wie Meinungen oder Geschichten aus dem Volksmund, kann einem Politiker nichts Besseres passieren, als diese Geschichten selbst zu erzählen und diese Zitate selbst anzuführen. Das Volksohr hört so den Volksmund und der Politiker zeigt sich volksnah.

Dies ist eine günstige Bedingung, um überzeugend reden zu können. Die Frage, inwieweit sich Politik auch in ihrem Handeln von Meinungsumfragen beeinflussen lassen sollte, steht auf einem anderen Blatt.