Optionsmodell abschaffen?

Pro und Kontra

Pro
von Volker Beck

Zu einer Gesellschaft der Vielfalt gehört nach grünem Verständnis auch eine Politik der Mehrstaatigkeit. In diesem Sinne hatte Rot-Grün im Jahre 1999 das Staatsangehörigkeitsrecht reformiert. So erhalten seither in Deutschland geborene Kinder auch nicht-deutscher Eltern einen deutschen Pass – zusätzlich zu der Staatsangehörigkeit ihrer Eltern. Die Optionspflicht, die Union und FDP damals durchsetzen konnten, bleibt ein weltweit einzigartiger Nonsens.
Tausende Menschen werden durch den Optionszwang in naher Zukunft zu Ausländern im eigenen Land gemacht. Dessen ungeachtet erklärt uns Schwarz-Gelb sei vier Jahren immer wieder, dass das Verbot von Mehrstaatigkeit völlig in Ordnung sei: „Die Vermeidung von Mehrstaatigkeit“ – so verstieg sich die Koalition kürzlich – sei „eines der prägenden Elemente des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts. Sie ist Ausdruck der einheits- und staatsbildenden Funktion der Staatsangehörigkeit.“ Was für ein Unsinn – die Idee einer deutschen Monokultur ist ein Mythos: Deutsche haben heute schon längst unterschiedlichste Wurzeln.
Doppelte Staatsbürgerschaft ist längst Normalität in unserem Land. Bei uns leben über drei Millionen Spätaussiedler und zwei Millionen Unionsbürger mit einer doppelten Staatsangehörigkeit. Seit Jahren erfolgt die Hälfte aller Einbürgerungen unter Hinnahme von Mehrstaatigkeit.
Hat irgendjemand diesbezüglich jemals etwas von „Loyalitätskonflikten“ gehört? Die Optionsregelung ist verfassungsrechtlich mehr als bedenklich: So dürfen Kinder binationaler Eltern sowie Kinder von Eltern aus EU-Ländern ihre ausländische Staatsangehörigkeit behalten. Das ist eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Drittstaatsangehörigen. Hinzu kommt noch der bürokratische Aufwand für Behörden und Gerichte. Der Optionszwang ist vor allem aber diskriminierend und integrationshemmend. Jungen Menschen, die von Geburt an Deutsche sind, wird signalisiert: „Ihr seid lediglich Deutsche unter Vorbehalt.“ Das ist fatal. Es darf keine Deutschen erster und zweiter Klasse geben.

Kontra
von Erika Steinbach

Wir möchten die jungen Menschen ganz für unsere Gesellschaft gewinnen. Die in Deutschland aufgewachsenen Doppelstaatler entscheiden sich nach der Erfahrung der vergangenen Jahre mit Raten von rund 88 Prozent für die deutsche Staatsangehörigkeit. Eine Staatsangehörigkeit beinhaltet ja nicht nur die jeweiligen Vorteile, sondern auch die entsprechenden Pflichten. Staatsbürgerschaft ist auch Loyalität gegenüber dem Staat und ein klares Bekenntnis zum Staat. Wenn wir nun den Staat nicht nur als Geflecht von Behörden, sondern auch als die Gemeinschaft aller verstehen, ist dieses starke Signal der jungen Doppelstaatler für Deutschland mehr als ein Kompliment.
Im alltäglichen Leben wird immer wieder deutlich, wie weit die Wertewelten von europäischem Abendland und weltweit verstreuten Herkunftsländern der Familien auseinanderliegen. Das soll keineswegs andere Kulturen herabsetzen oder die europäische überhöhen. Wir haben in Europa Jahrhunderte gebraucht, um die Integration soweit voranzutreiben, dass von weitgehend vergleichbaren Standards ausgegangen werden kann. Wir freuen uns umso mehr, dass die Praxis des Optionsmodells so erfolgreich ist.
Es zeigt, dass wir stolz sein können auf ein Vaterland, das über Bildung, sozialen Frieden und im alltäglichen Zusammenleben den Menschen viel zu bieten hat. Die Evaluierung des Optionsmodells hat zudem ergeben, dass nur bei 5,6 Prozent der Befragten überhaupt eine Verunsicherung in der familiären oder beruflichen Lebensplanung aufgrund der anstehenden Entscheidung entsteht. Die Entscheidung bis zum 23. Geburtstag lässt genug Raum, um nach Jugend und Schule eine ausgewogene Entscheidung zu treffen.
Die große Mehrheit der jungen Menschen entscheidet sich deshalb schon weit vor ihrem 23. Geburtstag. Eine Abschaffung des Optionsmodells, eine Rückkehr zu gespaltenen Loyalitäten und dem Selbstbetrug des gelebten Multi-Kulti-Staates, der an entscheidenden Stellen oftmals keine tragfähigen Gemeinsamkeit findet, wäre kein guter Weg.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Na, Klassenfeind? Ein Linker und ein Liberaler über Freundschaft zwischen politischen Gegnern. Das Heft können Sie hier bestellen.