Herr Stanford, Sie sagen gerne, Politik sei Krieg. Wie viele Schlachten haben Sie schon gewonnen?
Ich habe nicht mitgezählt. Aber ich habe wohl etwa 200 Wahlkampagnen in 40 Staaten geführt. Wahrscheinlich habe ich 20 Kongressmitgliedern, ein paar Gouverneuren und vielen Abgeordneten geholfen, gewählt zu werden.
Was war Ihr größter Erfolg?
Das war sicher der Sieg des demokratischen Kandidaten beim Wahlkampf um das Gouverneursamt in Oklahoma im Jahr 2002. Das war direkt nach dem 11. September, als das ganze Land total verängstigt war. Die Republikaner verglichen regierungskritische Demokraten damals gerne mit Osama Bin Laden. Zum Beispiel Max Cleland, einen Senator, der einen Arm und beide Beine in Vietnam verloren hatte. Sie verglichen einen Kriegshelden mit Bin Laden! Die Republikaner machten sich die Angst der Bürger zunutze und gewannen die meisten Wahlen.
In der Republikaner-Hochburg Oklahoma war deren Kandidat für das Gouverneursamt damals Steve Largent, ein ehemaliger American-Football-Star. Den Demokraten hätte niemand irgendeine Chance gegeben – aber wir gewannen die Wahl. Denn wir konnten nachweisen, dass Steve Largent insgeheim plante, radikal Sozialleistungen zu kürzen. Er wollte das Sozialversicherungssystem praktisch abschaffen. Wir veröffentlichten das und siegten mit einem Vorsprung von 4000 Stimmen.
Ihre Arbeit ist die Beobachtung des politischen Gegners. Wie machen Sie das genau?
Wir sammeln und analysieren öffentliche Dokumente. Diese bekommen wir aus Zeitungen, dem Internet, Gerichten und Büchereien. In Amerika herrscht die Auffassung, dass öffentliche Dokumente der Öffentlichkeit gehören. Wenn Sie wegen Autofahrens unter Drogeneinfluss oder wegen Steuerhinterziehung verhaftet wurden, werden wir das herausfinden. Diese Informationen zu bekommen, heißt aber nicht, sie auch zu nutzen. Erst suchen wir alles zusammen, und dann entscheiden wir, was wir veröffentlichen.
Bekommen Sie diese Informationen immer auf legalem Wege?
Immer. Ich sage allen, die für mich arbeiten, dass man das, was man tut, auch auf einer Pressekonferenz verteidigen können muss. Wir dürfen nicht lügen, um öffentliche Informationen zu beschaffen – auch wenn viele Bürokraten meinen, die Informationen wären ihr Eigentum. Diese Beamten, die meinen, öffentliche Daten würden ihnen und nicht der Öffentlichkeit gehören, machen einem das Leben sehr schwer. Das Problem werden Sie als Journalist sicher kennen.
Sie erstellen ein Profil des gegnerischen Kandidaten. Tun Sie das auch für Ihren Klienten und vergleichen dann, wer welche Schwachstellen hat?
So ist es. Was den Gegner angeht, lieben wir die schlimmstmöglichen Biographien.
Allerdings nützt es uns nichts, wenn der Gegner ein Axt-Mörder ist, während der Klient auch ein Axt-Mörder ist. Sie können jemanden kaum dafür angreifen, ein Axt-Mörder zu sein, wenn Sie selbst ein Axt-Mörder-Problem haben. Das ist natürlich ein übertriebenes Beispiel. Aber wenn Ihr Klient etwa nachweislich selbst nie zur Wahl geht, sollten Sie möglichst herausfinden, dass der Gegner das auch nicht gerne tut. So wird aus zwei Minus ein Plus.
Wo sind die moralischen Grenzen Ihrer Arbeit?
Wenn Sie öffentliche Dokumente besorgen, müssen Sie das auf legalem und ethisch korrektem Wege tun, damit Ihr eigenes Gewissen rein bleibt. Zweitens sollten Sie Fakten nicht falsch interpretieren. Sie wollen eine vertretbare Version der Wahrheit erzählen. Also sagen Sie nicht: „Er geht nicht wählen, also unterstützt er Terroristen.“ Eher: „Er wählt selbst nicht, warum sollten wir ihn dann wählen?“.
Wichtig ist auch die Relevanz. Wie jemand sein Geld verdient oder ob er Steuern hinterzieht – das ist relevant. Ob sein Kind schwul ist, wohl eher nicht. Bei jedem männlichen Klienten, der alleinstehend ist, sagen direkt alle, er sei schwul. Und anscheinend denken viele, das sei relevant. Es gibt aber keine Register-Eintragungen für schwul. Man sollte sich auf so was nicht einlassen. Bei Frauen passiert das übrigens immer. Es heißt dann, sie hätten sich hochgeschlafen oder sie seien lesbisch. Sie müssen sich außerdem an die lokalen Besonderheiten anpassen. Im Staat Maine mag man es aus irgendwelchen Gründen nicht, wenn jemand persönlich angegriffen wird. Aber in New York City lieben sie es. In Deutschland ist man nicht besonders vertraut mit Negativ-Kampagnen. Wenn jemand hier den politischen Gegner schlecht machen will, muss er sehr vorsichtig sein. Sie sollten also wirklich nur faire und glaubhafte Angriffe starten.
Befassen Sie sich trotzdem auch mit Jugendsünden des Gegners?
In Amerika ist fast alles, was Sie vor dem 18. Lebensjahr getan haben, privat. Es kann sogar sein, dass es nicht öffentlich zugänglich ist, wenn Sie jemanden umgebracht haben, als Sie 16 waren. Wir können uns zum Beispiel Ihr College-Jahrbuch besorgen. In den USA ist es aber im Allgemeinen so, dass alles, was Sie in Ihrer Jugend getan haben, leicht verziehen wird. Es gilt dann als jugendliche Unbesonnenheit. George W. Bush war da sehr geschickt. Er nutzte die jugendliche Unbesonnenheit extensiv – bis er 40 Jahre alt war. Und dann sagte er: „Ich habe Jesus gefunden und höre auf zu trinken.“ Und jeder dachte: „Er ist erwachsen geworden“. Er brauchte 40 Jahre, um erwachsen zu werden, aber alle haben es akzeptiert. Das war eine großartige Strategie.
Würden Sie Informationen von Internetseiten wie Facebook oder aus Blogs nutzen, bei denen jeder etwas über sich selbst schreiben kann?
Blogging ist das Schlimmste! Ich rate jedem, dass er nicht bloggen soll. Gottseidank gab es keine Blogs, als ich 22 war. Ich nutze Facebook, wenn ich Leute einstelle. Ich musste meine Assistentin anweisen, ihr Profilbild bei Facebook herunterzunehmen, auf dem sie einen Drink in der Hand hielt.
In der Politik hatten wir bislang keine Skandale wegen Facebook. Aber wir hatten SMS-Skandale. Zum Beispiel der Bürgermeister von Detroit: Er hat öffentlich geleugnet, dass er eine Affäre mit seiner Personalchefin hatte. Doch dann fand man eine SMS, in der er ihr schrieb, er könne es kaum erwarten, wieder Sex mit ihr zu haben. Neue Techniken werden Skandale hervorbringen, und Facebook wird mittendrin sein.
Wie stellen Sie sicher, dass die Negativ-Kampagne nicht auf Ihren eigenen Kandidaten zurückfällt?
Drei Faktoren sind entscheidend: Sie müssen die Dinge im richtigen Ton sagen. Sie dürfen Ihre Botschaft also nicht wie ein wütender Fünfjähriger rüberbringen. Und Sie müssen glaubwürdig sein. Sie müssen öffentliche Dokumente als Beweis haben. Und Sie müssen fair bleiben. Wenn Sie sich daran halten, werden die Leute sich eher an der Wahl beteiligen, gerade wegen der konfrontativen Kampagne. Wenn sich gegenseitig keiner weh tut, wenn jeder glücklich ist, dann sagen viele: „Die sind beide so nett, da macht es gar keinen Unterschied, ob ich zur Wahl gehe.“
Welche Wähler werden von Negativ-Kampagnen am meisten angesprochen?
Niemand gibt zu, dass er so etwas wirklich mag. Aber die meisten Menschen werden sich trotzdem davon bei ihrer Wahl beeinflussen lassen. Es motiviert sie einfach. Es funktioniert am besten bei Wechselwählern, bei denen, die politisch irgendwo in der Mitte stehen. Sie werden durch konstruktive Negativ-Kampagnen angestachelt. Wenn man aber überzieht, werden gerade diese Wähler besonders schnell abgeschreckt.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Im Schatten – Deutschlands Redenschreiber. Das Heft können Sie hier bestellen.