Haben wir ein Recht auf den „gläsernen Abgeordneten“?

Pro und Kontra

Pro
von Ulrich Kelber

Bürger wählen ihre Abgeordneten, damit diese ihre Interessen unbeeinflusst vertreten. Wer den Job als Bundestagsabgeordneter ernst nimmt und einen Wahlkreis intensiv betreut, kommt nach meiner Erfahrung in Wahlkreiswochen nicht mit weniger als 60 Stunden Einsatz aus, in Plenarwochen sind es oft mehr als 80 Stunden. Anders kann man sich über die vielen Themen nicht informieren und es bleiben einige Anliegen der Bürger unbeantwortet. Es ist daher eine Selbstverständlichkeit, dass die Bürger ein Recht darauf haben, zu erfahren, ob ihr Abgeordneter noch anderen Interessen finanziell verpflichtet sein könnte und ob seine Nebentätigkeiten ihm überhaupt die Zeit lassen, den Job als Abgeordneter voll auszuüben. Daher sollte es in Zukunft eine der Bedingungen zur Annahme des Bundestagsmandats sein, dass man sich hier in die Karten schauen lässt. Ich bin sicher: Man kann Vorurteile der Öffentlichkeit gegenüber Politikern abbauen, wenn man auch bei Dienstreisen, Lobbyistengesprächen, Amtsausstattung und Abstimmungsverhalten Transparenz zeigt.
Es liegt dann an den Bürgern, welche Maßstäbe sie bei ihren Abgeordneten anlegen, wenn sie die Fakten kennen. Auch umfangreiche Nebentätigkeiten führen keineswegs automatisch zur Abwahl: Beim CDU-Politiker Friedrich Merz zum Beispiel hatte sich herumgesprochen, dass er bei der Vielzahl seiner Nebentätigkeiten durchaus in Terminnot als Abgeordneter gelangen konnte. Trotzdem wählten ihn die Bürger erneut in den Bundestag. Ein anderes Beispiel: Ich werde oft gefragt, warum ich als Energiepolitiker im Aufsichtsrat der Stadtwerke Bonn säße. Ich kann dann immer verdeutlichen, dass es dabei nicht um Geld geht (auf meiner Website ist zu erkennen, dass die steuerpflichtige Entschädigung bei weniger als 100 Euro im Monat liegt), sondern dass ich hier die Praxis zu meiner Gesetzgebungsarbeit kennenlerne. Die meisten Fragesteller unterstützen im Anschluss meine Entscheidung. Transparenz über die Nebenverdienste ist also kein „Opfer“. Im Gegenteil, sie räumt mit Vorurteilen auf und schafft mehr Nähe zu den Bürgern.

Kontra
von Peter Danckert

Seit Jahren wird über die Frage diskutiert, wie „gläsern“ ein Abgeordneter sein muss oder sein darf. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in einer Entscheidung 2007 mit der Verfassungsmäßigkeit der diesbezüglichen Regelung in § 44 a Absatz 1 Abgeordnetengesetz befasst. Ich habe zu den Klägern gehört, die Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung hatten. Vier Richter sprachen sich damals dafür aus, dass das Gesetz verfassungsgemäß sei, vier weitere, darunter der damalige Vizepräsident Professor Winfried Hassemer, waren der Meinung, dass es nicht verfassungsgemäß sei.
Worum geht es eigentlich? Das Mandat des Abgeordneten soll im Mittelpunkt seiner beruflichen Tätigkeit stehen. Wie das in der Praxis aussieht, entscheidet jeder Abgeordnete selbst. Hier gibt es für alle Mitglieder des Parlaments nur begrenzte Kontrollmöglichkeiten durch die Öffentlichkeit. Gilt ein Achtstundentag oder sollte der Abgeordnete zehn oder sogar zwölf Stunden arbeiten? Demnach bleibt Zeit für ehrenamtliche Tätigkeit und ebenso Zeit für Vorträge. Mal gibt es dafür ein Honorar, mal spendet der Veranstalter auf Wunsch des Abgeordneten für einen guten Zweck und mal ist es eine ehrenamtliche Tätigkeit. Die einzige Frage, die die Öffentlichkeit danach interessieren dürfte, ist, gibt es „eine bedeutsame Interessensverknüpfung“ (§ 44a Abs. 4 AbgG)?
Diese Frage muss der Abgeordnete für sich und die Öffentlichkeit beantworten. Peer Steinbrück hat dies getan und nun kann jeder entscheiden, ob es eine Interessensverknüpfung gibt. Der Inhalt der Reden und Vorträge ist der Öffentlichkeit weitestgehend zugänglich und man kann feststellen, dass Peer Steinbrück hier die gleiche Auffassung vertritt, die er auch im Parlament und auf Parteiveranstaltungen zum Ausdruck bringt, insofern ist alles transparent. Der Abgeordnete ist gläsern genug und wenn man nun aus drei zehn Stufen macht, um öffentlich zu machen, wie hoch das Honorar jenseits von 7.500 Euro ist, dann ist das, worauf der Bürger einen Anspruch hat,
sichergestellt.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Wer wird wichtig? – Rising Stars 2012. Das Heft können Sie hier bestellen.