Im Sommer 2007 war der Bahn-Tarifkonflikt so festgefahren, dass die Streithähne sich zwar darüber einigten, dass jemand in ihrem Streit vermitteln solle – doch darüber, wer denn vermitteln solle, stritten sie ebenfalls. Heiner Geißler? Den wollten die Lokführer gerne haben. Kurt Biedenkopf? Der hatte sich aus Sicht der Bahn bewährt. Beide Seiten mit ihren sturen Anführern, Gewerkschaftschef Manfred Schell und Bahnchef Hartmut Mehdorn, bestanden zunächst auf dem von ihnen vorgeschlagenen Mann als alleinigem Vermittler. Schließlich einigten sie sich doch noch auf ein Doppelpack der erfahrenen Politiker. Der Streit sollte sich jedoch noch bis Jahresbeginn 2008 hinziehen und fand erst ein Ende, als die Lokführer einen eigenen Tarifvertrag bekamen. Ehemalige Politiker werden gerne hinzugezogen, wenn in einem besonders schwierigen Konflikt zu vermitteln ist. Auf nationaler Ebene handelt es sich meist um tarifpolitische Auseinandersetzungen. Biedenkopf und Geißler sind beide routinierte Schlichter in Tarifstreitigkeiten und verfügen über reichlich Erfahrung im politischen Verhandeln. Doch warum sind die Einsätze der „Ehemaligen“ erfolgreich? „Es ist ein bisschen, als würden Kinder streiten, und Papa müsste eingreifen. Vor einem weisen Mann will sich niemand blamieren“, sagt die Berliner Mediations-Expertin Andrea Budde.
Es liege an der Autorität, meint auch Heiner Geißler selbst. „Die betreffende Person muss ein bestimmtes Ansehen erworben haben“, sagt der frühere Generalsekretär der CDU. Das allein genüge aber nicht. Geißler: „Sie müssen in der Sache selbst genauso gut Bescheid wissen wie die Konfliktparteien.“ Denn es gebe schließlich nicht nur informelle Vermittlungsgespräche in Konflikten, sondern auch hochoffizielle Verfahren wie das Schlichtungsverfahren im Bauhauptgewerbe, wo juristische Kenntnisse gefragt seien. Fachwissen, Erfahrung und Ausdauer – das ist die entscheidende Mischung, wenn es in einem Tarifstreit wieder in einen Sitzungsmarathon geht. „Die Bedeutung der physischen Konstitution sollten Sie nicht unterschätzen“, sagt Heiner Geißler. „In einem Fall begannen wir am Dienstagvormittag zu verhandeln und waren erst am Donnerstagvormittag fertig.“ Geschlafen habe er von Anfang bis Ende keine Minute.
Aber auch Menschenkenntnis zählt in hohem Maße: „Wenn Sie zu Beginn der Gespräche einen guten Witz erzählen, über den alle lachen müssen, kann das für den weiteren Gang der Dinge sehr förderlich sein“, sagt Geißler. Und ein Schlichter sollte auch wissen, wann er deutlich werden sollte. Geißler: „Wenn sich jemand so richtig quer stellt und eine Einigung blockiert, dann muss man den auch mal vor versammelter Mannschaft an seine Verantwortung erinnern.“ Wie das geht? „Den muss man auch mal anschreien.“ Umgekehrt sei es zuweilen erforderlich, jemanden in den Arm zu nehmen, wenn er – oder sie – weint. Ein erfolgreicher Vermittler in Verhandlungen übt nach Meinung von Heiner Geißler letztlich immer eines aus: „geistige Führung“.
Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Verhandeln – Die vernachlässigte Kunst. Das Heft können Sie hier bestellen.