Der Geist von Davos

p&k: Herr Schmitt, das Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos steht vor der Tür. Wie laufen die Vorbereitungen?

Georg Schmitt: Wir sind überraschend weit. Besonders die Registrierung der Teilnehmer hat in diesem Jahr auffallend früh eingesetzt. Vor allem die Staats- und Regierungschefs, die üblicherweise erst ein paar Tage vor dem Treffen entscheiden, ob sie daran teilnehmen, waren in diesem Jahr sehr früh dran – und auch zahlreicher.

Woran liegt das?

Ich glaube, je schwieriger und unklarer sich die globale Lage darstellt, desto attraktiver ist das Treffen. Die Menschen suchen nach Orientierung. Und es ist das Ziel des Forums, diese Orientierung  zu geben. Daher unterscheidet sich unsere Agenda ja auch von dem, was tagtäglich in den Zeitungen steht.

Inwiefern?

Man denke nur mal an das sogenannte Jahr-2000-Problem, als alle dachten, zum Jahreswechsel 1999/2000 würden alle Computer abstürzen. Das kocht dann in den Medien kurz hoch und ist nach einigen Wochen oder Monaten wieder vergessen. Davos bietet den Entscheidern dagegen die Gelegenheit, mal rauszukommen aus ihrem Trott und sich die Zeit zu nehmen, über langfristige Themen nachzudenken.

Zum Beispiel über das Thema „The Reshaping of the World“, das Motto des nächsten Treffens. Hört sich recht ominös an. Können Sie uns aufklären, was sich dahinter verbirgt?

Der Titel klingt in der Tat etwas nach Orwell. Im Kern geht es um das, was unser Chairman Klaus Schwab gerne als „Positive Disruption“ bezeichnet: Google baut plötzlich das selbstfahrende Auto. Und in Afrika haben Mobilfunkunternehmen Aufgaben der Finanzinstitute übernommen: Es gibt dort vielerorts keine Bargeld-Automaten, deshalb wird übers Handy bezahlt.

Und das ist ein Thema für das WEF?

Ja, weil es zeigt, dass die traditionellen Schranken zwischen den Branchen und Sektoren aufbrechen und sich vieles neu organisiert. Beim nächsten Treffen wollen wir deshalb schauen, welche Folgen das global und für die Geschäftsmodelle unserer Partner hat.

Die Finanzkrise ist also abgehakt?

Die Krise war ja das bestimmende Thema in den vergangenen Jahren und wir spüren auch heute noch ihre Folgen. Der Hauptgedanke ist nun aber eher: Wie gehen wir künftig mit den eben beschriebenen Prozessen um, die ja auch von der Weltwirtschaftskrise, die 2007 in den USA ihren Anfang nahm, angestoßen wurden.

Wie kommt man eigentlich an eine Einladung nach Davos?

Dazu muss man Mitglied des Forums sein, das ja von einer Stiftung getragen wird. Die meisten Mitglieder sind Unternehmen. Etwa 100 davon sind strategische Partner, weitere 500 sind Industry Partners. Und dann gibt es noch eine Vielzahl weiterer Partnerschaftsmodelle.

Als da wären?

Interessant sind etwa die Global Growth Companies: Unternehmen aus China, Indien oder auch Brasilien, von denen wir glauben, dass sie in den nächsten Jahren zu Global Playern werden. Dann gibt es die Global Shapers: ein Netzwerk von jungen Kräften – alle unter 27 –, die in über 300 Städten weltweit lokale Netzwerke pflegen und auf dem Forum über Themen diskutieren, die von der Bildung auf den Philippinen über die Wasserversorgung in Tansania bis hin zu Urban Poverty in den USA reichen. Und schließlich haben wir die sogenannten Tech Pioneers, die wie Airbnb …

… ein Internet-Portal, das Wohnungen und Zimmer von privat vermittelt …

Techniken entwickeln, von denen wir glauben, dass sie in ein paar Jahren die Geschäftswelt verändern können. Auch Google war ein Tech Pioneer, bevor es zum Großkonzern wurde.

Für viele Entscheider ist das Weltwirtschaftsforum ein fixer Termin im Kalender. Was treibt sie alljährlich in die Schweizer Berge?

Ach, da wird ja gerne der „Geist von Davos“ beschworen. Ich komme selbst aus der PR und bin solche Labels gewöhnt. Da musste ich auch schon mal lächeln. Aber wenn es dann losgeht und man Marissa Mayer begegnet, Ursula von der Leyen auf dem Flur trifft und Joe Biden und John McCain um die Ecke kommen – dieser direkte Kontakt ist schon etwas Besonderes.

Der Promi-Faktor?

Niemand kommt nach Davos, nur weil er ein Promi ist. Ausschlaggebend ist immer, dass die jeweilige Person ein wichtiges Thema vertritt. Beim vergangenen Treffen hat zum Beispiel Charlize Theron ihre Stiftung zur Aidsprävention vorgestellt. Entscheidend ist also die Mischung der Teilnehmer: Neben den Regierungsvertretern sind ja in Davos auch alle internationalen Organisationen vertreten, globale NGOs, Gewerkschaften und Medien. Man trifft sich fast 2000 Meter hoch in den Bergen, hat kaum Handy-Empfang und lebt – trotz allem Luxus, der mit Davos in Verbindung gebracht wird – in Skihütten. Das trägt schon dazu bei, dass sich die Leute auf das Forum konzentrieren und die Gelegenheit zum direkten Austausch nutzen. Ich glaube, genau das macht den Reiz aus.

Die vielen informellen Begegnungen, für die Davos steht, sorgen aber auch für Kritik. „Hier kommen Geschäft, Politik und Party zusammen“, hat etwa der „Spiegel“ im letzten Jahr über das WEF gespottet.

Ja klar, das Partythema. Natürlich gibt es viele Veranstaltungen um das Treffen herum. Das RWE-Skirennen oder die Burda Media Night etwa finden seit Jahren statt. Solche Events haben ja auch durchaus ihre Berechtigung. Es gibt aber auch vieles, das kein Bestandteil des Treffens ist. Darauf haben wir natürlich wenig Einfluss.

Also doch mehr Party als Politik?

Nein, der Fokus liegt schon deutlich auf dem Programm: Wir haben über 250 Veranstaltungen in fünf Tagen. Dass ab und zu mal eine Party stattfindet, muss man in Kauf nehmen. Wir konzentrieren uns aber auf die anstehenden Themen. 2014 sind das vor allem Gesundheit, Klimawandel und die wachsende Ungleichheit in der Welt.

Sie selbst dürften als Mitarbeiter im WEF ohnehin kaum Zeit haben, mitzufeiern. Wie lange machen Sie diesen Job bereits?

Angefangen habe ich vor fast zwei Jahren. Mein Unternehmen, die PR-Agentur Ketchum, hat mich an das Weltwirtschaftsforum in Genf ausgeliehen – erst für ein Jahr, dann für ein weiteres. 

Wie kam es zu diesem Secondment?

Ich hatte das Glück, dass Ketchum’s Mutterkonzern Omnicom Group als strategischer Partner das WEF nicht nur finanziell unterstützt, sondern auch einen Mitarbeiter dorthin entsendet. Dass jemand – wie in meinem Fall – zwei Jahre dort bleibt, ist allerdings die Ausnahme. Die meisten Secondees der Partnerunternehmen werden nur für wenige Wochen oder Monate nach Genf geschickt. Und etwa 95 Prozent der rund 500 Kollegen hier sind feste Mitarbeiter.

Laufen Sie in Genf denn vielen deutschen Kollegen über den Weg?

Das Medienteam, in dem ich arbeite, ist sehr international. Ich bin der einzige, der nur eine Staatsbürgerschaft hat. Aber insgesamt ist der Anteil deutscher – oder besser: deutschsprachiger – Kollegen recht hoch. Deutsche Unternehmen stellen ja auch die drittgrößte Gruppe unter den Partnerunternehmen. Das öffentliche Interesse in Deutschland wird dem allerdings, mal abgesehen von Davos, nicht gerecht. 

Inwiefern?

Nun, das Weltwirtschaftsforum in Davos ist ja längst nicht unser einziges Projekt. Immerhin sind wir die erste Organisation, die in Myanmar eine internationale Konferenz ausgerichtet hat. Und 2014 folgen Kongresse in Nigeria, Panama, den Philippinen und der Türkei. Das wird in den Medien noch zu wenig thematisiert – da können wir in der Kommunikation sicherlich noch besser werden. 

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe Bleibt alles anders? – Die Kampagnentrends 2014. Das Heft können Sie hier bestellen.