Anzug und Krawatte in Fraktionsfarbe

Mode und Politik

p&k: Herr Tophinke, was sind die aktuellen modischen Trends in Berlin?

Christoph Tophinke: Um ehrlich zu sein – ich habe nicht die leiseste Ahnung. Weder lese ich Modezeitschriften noch gehe ich auf entsprechende Messen. Ich habe einfach kein Interesse daran, mich seltsamen modischen Strömungen hinzugeben, die ich ohnehin nicht verstehe. Im Chelsea Farmers Club werden Sie deshalb auch nichts finden, was auch nur ansatzweise mit Mode zu tun hat. Wir versuchen das hier sehr einfach zu halten.

Was zeichnet die Verbindung von Politik und Mode in Berlin aus?

Völliges Desinteresse!

Anders gefragt: Wie bewerten Sie das Modebewusstsein unserer Politiker?

Ich nehme nur wenige Politiker wahr, die ein Interesse daran haben, sich sinnvoll und ihrem Amt entsprechend zu kleiden. Meistens erinnern sie mich an einen Klempner, der in seinem Blaumann in die Werkstatt geht: Anzug an – der weder sitzt noch einen Funken Persönlichkeit ausstrahlt – und ab ins Büro.

Schily und Schmidt als modische Vorbilder

Ihnen fällt kein Politiker ein, der ansprechend gekleidet ist? 

Ich fürchte, nein. Die Mindestanforderungen werden gerade noch mit Ach und Krach erfüllt: schlapper Anzug und Krawatte in Fraktionsfarbe. Ich befürchte, dass der Politikbetrieb das öffentliche Interesse an Kleidung beziehungsweise an deren Aussagekraft stark unterschätzt. Das ist wirklich schade, denn früher gab es Politiker, die mit Blick auf ihre Kleidung eine hervorragende Figur gemacht haben.

Zum Beispiel?

Otto Schily und Helmut Schmidt. Oder Gerhard Stoltenberg: ein echter Holsteiner Hüne, verpackt in einem gut sitzenden Anzug. Anton Hofreiter von den Grünen ist auf einem guten Weg. Die Haare sind Weltklasse, jetzt braucht er nur noch ein paar Basics und ich wäre ein echter Fan.

Gerhard Schröder hat ja gern in Brioni-Anzügen und mit Zigarre posiert. Zu einem Umdenken in Sachen Mode hat das bei anderen Politikern aber offensichtlich nicht geführt. 

Nein, alle sind nur noch ängstlicher geworden, dass sie etwas Falsches tragen könnten. Interessant war der enorme Gegenwind, der Schröder damals entgegenschlug. Ähnlich seltsam übrigens wie der Aufschrei um das AC/DC-T-Shirt von zu Guttenberg. Ist doch toll, wenn jemand sich ausprobiert. ZZ Top hätte ich persönlich allerdings besser gefunden.

Welche modischen Gepflogenheiten sollten sich Volksvertreter abgewöhnen?

Zu glauben, dass niemand merkt, wie langweilig die eigene Uniform ist.

Sonderfall Berlin

Eine Chance, diese Uniform einmal abzulegen, bieten die vielen Sommerfeste, die bereits stattgefunden haben oder noch stattfinden werden. Was ist die angemessene Garderobe dafür?  

Na, das ist doch ganz einfach: Draußen ist es heiß, also trägt man Jacke, Hose und Hemd aus leichtem Leinen- oder Baumwollstoff. Das sieht gut aus und funktioniert auch bei 25 Grad im Schatten.

Ein absolutes No-Go?

Es gibt so viele angebliche Regeln und No-Gos. Das ist mir zu deutsch. Wer früher in der Schule einen Tuschkasten hatte, sollte eigentlich wissen, was funktioniert und was nicht. Allen anderen rate ich: Kommt vorbei und wir überlegen uns zusammen, wie man den Sommer einigermaßen heil überstehen kann.

Sind Sommerfeste für Politikerinnen die Chance, sich einmal weiblicher zu kleiden?

Natürlich, das ist doch toll! Das ist die beste Gelegenheit, der täglichen Enge des Politikbetriebs zu entfliehen und sich in einer lockereren Atmosphäre zu bewegen. Nichts wäre seltsamer, als hier in einem grauen Hosenanzug aufzutauchen. Die Realität sieht aber leider anders aus. Die Angst, etwas falsch zu machen, muss wirklich überbordend dein.

Andererseits scheint bei manchen Sommerfesten in Berlin die Kleiderordnung nicht allzu streng zu sein. Ist das in anderen deutschen Städten genauso?

Zum Sommerfest des Bundespräsidenten kam manch einer in Jeans. In Berlin ist das offensichtlich völlig unproblematisch. Ich kann mir aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass das bei einer ähnlichen Veranstaltung in Hamburg ähnlich wäre. Die viel beschriebene Toleranz ist klasse, aber Sie würden doch auch nicht mit Flip Flops in die Oper gehen, oder!?

Klare Ansagen

Ist es diese Toleranz, die Berlin vom Stil her so einzigartig macht?

Ja. Das ist etwas ganz Wunderbares: In Berlin sind die Menschen, egal ob Urberliner oder Zugezogener, herrlich abgestumpft. Deshalb kann hier jeder machen, was er will. Das führt aber auch dazu, dass vieles als individueller Stil durchgeht, was einfach nur langweilig und grauenvoll ist. Wahrscheinlich tun sich deshalb auch viele Berliner Gastgeber so schwer mit deutlichen Dresscode-Angaben auf ihren Einladungen. Oder wissen Sie, was “funky” bedeutet? Hier wären klare Ansagen wirklich gut. In Hamburg würde sich so eine Frage nicht stellen, da völlig klar ist, was wann wo angezogen wird. Und trotzdem: es gibt derzeit keine aufregendere Stadt als Berlin.

Wie handhaben es die Hauptstädte anderer Länder mit der Mode?

London zum Beispiel funktioniert völlig anders als Berlin. Bekleidung ist dort ein klares Instrument, um die eigene gesellschaftliche Schicht plus die Persönlichkeit zu unterstreichen. Egal ob das ein Banker im dunklen Anzug mit orangefarbenen Kniestrümpfen ist oder die Jungs vom Pizza-Service nebenan in 1-A-Streetwearklamotten.

Von welchem Land oder von welchen internationalen Politikern kann man sich denn etwas abgucken?

Von den USA garantiert nicht. Definitiv das Land mit den schlimmsten Anzügen der Welt. Viel zu groß, zu weit, zu lang. Am besten noch ein viel zu weites weißes Hemd drunter und eine fette Autoverkäufer-Krawatte drumherumgewickelt. Italien und England sind da schon etwas interessanter, wobei italienische Politiker ihren Arbeitsplatz häufig mit einem Nachtclub verwechseln.

Gibt es im Berliner Politikbetrieb denn wenigstens so etwas wie Typen in Sachen Bekleidung?

Sicher. Jemand wie Gysi macht das schon ganz interessant. Die Brille ist klasse. Nur die weißen Hemden sollte er mal gegen blaue tauschen. Und, wie gesagt, Hofreiter: Auch gut, also die Haare, fehlt nur noch der Rest. Nussbaum sieht man an, das er aus Bremen kommt – läuft! Mehr sehe ich da leider nicht.