[no-lexicon]Im August 1964 hatte Adalbert Seifriz, Chef der Baden-Württembergischen Landesvertretung, eine Idee: In der damaligen Bundeshauptstadt Bonn war mitten in der parlamentarischen Sommerpause wenig los. Die meisten Abgeordneten waren im Urlaub. Ohne sie kam auch das politische Nachtleben zum Erliegen. Seifriz wollte Abhilfe schaffen. Als Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg beim Bund lud er zu einem spontanen Grillfest im Garten der Landesvertretung ein. Es kamen rund 80 Bundespolitiker, Verbandsvertreter und hohe Angehörige der Bonner Ministerialbürokratie. Auch der eine oder andere Botschafter gab sich die Ehre.
Mit einem inszenierten Sommerfest, wie es heute in Berlin üblich ist, hatte das Treffen wenig gemein: Musik gab es nicht. Die Gäste grillten ihre Bratwürste an Stöcken über offenem Feuer. Dazu wurden Brezeln, schwäbischer Kartoffelsalat, Wein und Bier gereicht. Landespolitiker standen nicht auf der Gästeliste. Dennoch war das Fest ein Erfolg. Aus der spontanen Feier wurde eine Tradition des Hauses. Fortan luden Seifriz und seiner Nachfolger jedes Jahr einen kleinen Kreis Auserwählter zu der gemütlichen Runde in die Landesvertretung ein.
Vom Geheimtipp zum Treffpunkt der Bundespolitik
In den 70er Jahren wurde aus dem rustikalen Grillfest ein Networking-Event für Ministerialbeamte, Politiker und deren Helfer. In informeller Atmosphäre tauschten sie sich bei einem Glas Bier und einer Bratwurst aus. Während jener Zeit etablierte sich auch der Name „Stallwächterparty“ – angelehnt an die Teilnehmer, die während der Parlamentsferien gewissermaßen „Wache“ in den Bonner Behörden hielten.
Für die Landesvertretung war die Stallwächterparty auch Ausdruck einer tiefen Verwurzelung im Bonner Politikbetrieb. Als Koordinator der unionsgeführten Länder im Bundesrat spielte für die Baden-Württemberger der Kontakt zu Ministern, Staatssekretären und Abteilungsleitern der Ministerien, aber auch zu Journalisten, eine große Rolle.
Begehrte Einladungen
Die Teilnehmerzahl blieb bewusst begrenzt. Unter der Leitung des Hausherren Eduard Adorno und der späteren Hausherrin Annemarie Griesinger lud die Landesvertretung höchstens 200 Personen ein. Selbst ihre Ehepartner durften die Gäste nicht mitbringen.
In den 80er Jahre wurde der Kreis erweitert, Landespolitiker kamen hinzu. Auch der Termin änderte sich. Die Party fand nicht mehr im August statt, sondern im Juli – am Vorabend der letzten Bundesratssitzung vor der Sommerpause. Einladungen waren jedoch immer noch knapp und heiß begehrt. Wer keine ergattern konnte, versuchte schon einmal, sich durch den Garten oder die Tiefgarage Zutritt zu verschaffen, erinnert sich Hartwig Stahn, der früher Pressesprecher der Landesvertretung war. Platz für mehr als 600 Gäste boten die Räume der Landesvertretung nicht.
Von Bonn nach Berlin
Nach dem Regierungsumzug setzte die Landesvertretung Baden-Württemberg die Tradition der Stallwächterparty in Berlin fort. Inzwischen ist sie eines der größten Sommerfeste im Politikbetrieb der Hauptstadt und in diesem Jahr wird sie zum 50. Mal gefeiert. „Gestatten, Gastwirtschaftswunder“ ist das Motto. Gastgeber sind Ministerpräsident Winfried Kretschmann (B’90/Grüne) und Peter Friedrich (SPD), Bundesratsminister und Baden-Württembergs Bevollmächtigter in Berlin.
„Was in Bonn im kleinen Kreis von Politik, Diplomatie und Spitzenbeamten begonnen hat, ist in Berlin zu einem Treffpunkt von Hauptstadt und Land Baden-Württemberg geworden“, sagte Friedrich anlässlich des Jubiläums.
Zum Jubiläum haben sich laut Landesvertretung rund 1500 Gäste angemeldet. Zwischenzeitlich waren es auch schon einmal deutlich mehr. Andere Länder konkurrieren inzwischen mit ähnlichen Sommerfesten. Trotzdem soll die Stallwächterparty ihr Alleinstellungsmerkmal behalten. Deshalb sind in diesem Jahr weniger Einladungen verschickt worden. Friedrich findet: „Nachdem die Veranstaltung von Jahr zu Jahr größer geworden war, ist nun vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Diskussion eine Wende eingeleitet, die wieder mehr an den Anfängen anknüpft und die persönlichen Begegnungen in den Mittelpunkt stellt“. Die Karten sind unverändert begehrt, die Chancen aber wirklich eine Einladung zu ergattern sind im Vergleich zu Bonner Zeiten deutlich gestiegen.[/no-lexicon]
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