Wetten, dass…, Herr Steinmeier?

Reschs Rhetorik Review

Weil die Reden unseres Bundespräsidenten eher langweilig sind, beginnen wir mit dem, was definitiv Quote macht: mit „Wetten dass..?“. Haben Sie das letzte Revival gesehen? Im Vergleich zu der Bademantel-auf-dem-Sofa-Version unserer Kindheit hat sich eines definitiv verändert. Es ging los mit der Bagger-Wette. Und nach 20 Minuten stand schon Robbie Williams auf der Bühne. Das wäre anno dazumal definitiv anders gewesen. Da hätte sich die Sendung langsam zur Bagger-Wette gesteigert und erst zum großen Finale den Superstar präsentiert.

Für langsames Steigern bis zum Höhepunkt ist heute offenbar keine Zeit mehr. Mit einem Sturm beginnen und langsam steigern – das hat schon Alfred Hitchcock allen Regisseuren ins Lehrbuch geschrieben. Was im großen Hollywood gilt, das gilt auch in der Zeppelin-Halle in Friedrichshafen, der Heimat von „Wetten dass..?“ in diesem Jahr.

Nur in den schläfrigen Hallen unserer Bundes- und Landesparlamente scheinen der olle Hitchcock und der noch ollere Gottschalk noch nicht angekommen zu sein. Wie oft erleben wir an den Rednerpulten den schleppenden Rhythmus des prozessualen Erzählens: vorne beginnen, kompliziert herleiten, umfangreiche Nebenaspekte einbeziehen und sich dann langsam zur Meinungsfindung durchwurschteln.

Und dann, und dann …

Schuld daran haben maßgeblich unsere Grundschullehrer. Der erste Aufsatz in der Schule hieß und heißt nicht selten: Mein Weg zur Schule. Eine gute Note gibt es, wenn die Erzählung artig an der  heimischen Haustür beginnt und unter pflichtschuldigstem Mäandern durch die Komplexität des deutschen Fußwegwesens irgendwann an der Schule endet. Unterwegs bleibt wirklich kein Grashalm unerwähnt. Was für ein kluges und aufmerksames Kind. Note: Sehr gut!

Solche durch Lob verfestigte Prägung geht schwer wieder raus, das weiß inzwischen jeder Sofa-Psychologe, der sich mit dem – übrigens sehr empfehlenswerten Buch – „Wer wir wirklich sind“ von Stefanie Stahl beschäftigt hat. Und so schleppt sich die musterschülerhafte rhetorische Komplexität bis in die Gähn-Reden unserer Parlamente.

„Stop!“, würden da Sokrates, Hitchcock und neuerdings auch Gottschalk unisono rufen. Ein guter Aufsatz über meinen Weg zur Schule beginnt nicht zu Hause – sondern in der Schule! Er erzählt zuallererst, wie geil die Schule ist. (Diese kleine Flunkerei fällt ja auch in politischen Reden nicht schwer.) Dann beschreibt der Aufsatz den Weg dorthin. Er beginnt also mit einer Baggerwette und hat dann noch den Robbie Williams in der Tasche. Wenn wir davon mehr in den Parlamenten hätten – wetten, dass…?

Das Herumfaesern heilen

Was haben wir stattdessen: Eine Innenministerin, die auf die vielen Fragen rund um die Fußball-WM in Katar immer wieder sagt: „Ich finde, dass …“ Wie und wo meine Ministerin was findet, ist mir  recht egal. Wovon Nancy Faeser (SPD) überzeugt wäre, das würde mich mehr interessieren.

Aber etwas Lob soll auch sein. Wie es dem Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) immer wieder gelingt, nicht in prozessualer Komplexität zu versinken – die sein Ministerium unweigerlich hergeben würde –, sondern seine Entscheidungen an den Menschen festzumachen, ist aller Ehren wert. Er erzählt Menschengeschichten, statt in Sozialgesetzen zu versinken. Er beginnt Reden und Statements vielleicht nicht gerade mit einer Baggerwette, zumin-dest aber mit den täglichen Problemen und  Herausforderungen der Menschen, die in ihrem Alltagskampf eine Menge Sorgen wegzubaggern haben. Wenn die Politik dafür rhetorisch einen Hebel liefert, dann hat der Minister seine  Möglichkeiten verstanden, die er mit der Macht des gesprochenen Wortes hat.

Steinmeiern

Wer jetzt in dieser Rubrik noch mit Robbie Williams rechnet, den muss ich enttäuschen. Jetzt kommt nur noch der Bundespräsident. Frank-Walter Steinmeier hat ja wahrlich ein schweres Amt. Wenn das einzig mächtige Werkzeug das gesprochene Wort ist und das einzig damit zu drechselnde Werkstück die präsidiale Rede – wie soll man damit in der Welt der knappen Soundbytes noch durchdringen?

Wie war noch mal das Thema der ach so großen Rede unseres Bundespräsidenten am 28. Oktober im Schloss Bellevue? Ein paar Sekunden warten … wissen Sie‘s? Die Antwort: „Alles stärken, was uns verbindet.“ Und wie war noch mal das Motto der Rede von Amtsvorgänger Roman Herzog am 26.4.1997? Sehen Sie, wie da ein Ruck durch Sie geht, verehrte Lesende?

Was ist da passiert? War Roman Herzog einfach der bessere Redner? Möglicherweise. Zumindest war der Kraftprotz mitreißend authentisch, wo der amtierende Nachfolger eher sedierend authentisch waltet. Es waren auch andere Zeiten. Zu Zeiten das wackeren Bajuwaren hatte man eben noch: Zeit. Die Welt las „FAZ“ und Feuilleton und man ging auch noch in die Kirche. Es war mitnichten alles besser – aber eben anders. Und heute? Heute muss Rhetorik eine Rede eben snackable servieren. Das Pult, das Papier, dahinter der Präsident – who cares? In Zeiten, in denen in sozialen Medien jeder Nachwuchs-Influencer das spricht, was ihm gerade einfällt (Content und Qualität anheimgestellt), erwartet die Zielgruppe das frei gesprochene Wort eben auch vom politischen Führungspersonal.

Die Reproduktion des bereits Gedachten ist im Sinne von Hitchcock schon lange kein Sturm mehr. Mit anderen Worten: Was du abliest, das interessiert mich nicht. Das sind deine Gedanken von gestern. Wir sind aber inzwischen im Hier und Heute, alter Mann.

Live reden

Hier liegt meines Erachtens eine große Aufgabe für den Bundespräsidenten der nächsten Generation: Er muss seine gesamte Redekunst komplett umbauen auf etwas, das amerikanische Präsidenten zur Perfektion beherrschen. Er muss mit dem Teleprompter und komplett ohne Papier wieder den Eindruck erwecken: Ich erlebe gerade in einem großen Moment, wie ein großer Mensch just für mich einen großen Gedanken entwickelt. Alles Show? Egal! Auf die Wirkung kommt es an!

Vielleicht liegt es daran, dass Bundespräsidenten in der Regel erst dann die Herzen erobern, wenn sie Amt, Würde und Bürde hinter sich gelassen haben und wieder frank und frei sprechen können. Es sollte schon zu denken geben, dass wir uns alle wohlmöglich eher und vor allem sehr viel herzerwärmter an die Aufritte von Joachim Gauck zum Tag der Deutschen Einheit im „heute journal“ oder bei „Markus Lanz“ erinnern als an das Motto der großen Rede von Steinmeier, zu der nicht mal das Kabinett erschienen ist, denn: Man kann es ja auch nachlesen! Die großen Reden der Antike können wir auch nachlesen. Aber nicht weil sie zuvor an die Presse verteilt wurden. Sondern weil sie beim Sprechen dokumentiert wurden.

Oh je! Und nun? Kurz vor Weihnachten die volle Packung Kulturpessimismus und ein Abgesang auf die Redekunst? Mitnichten! Vielmehr: Ein Lob auf die Show! Eine gute Rede braucht auch eine gute Inszenierung. In einer Welt, in der sich Krethi und Plethi influencend zu inszenieren weiß und damit Millionen Follower findet, erwarte ich auch, dass sich unsere Politikerinnen und Politiker zu inszenieren wissen, wenn sie mit der Macht des gesprochenen Wortes etwas erreichen möchten.

Neumodisches Zeug? Auch hier: Mitnichten! Allen Zweiflern sei unter den Weihnachtsbaum, unters Kopfkissen und unters Rednerpult gelegt: „Der Mensch und die Macht“ von Ian Kershaw. Da steht es drin, wie andere Große das gemacht haben. Oder um es in der Sprache der Generation Golf zu sagen: Mehr Baggerwetten wagen! Und noch einen Robbie Williams in der Tasche haben! Dann wird‘s auch was mit der Redekunst! Wetten, dass …?

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 141 – Thema: Interview mit Norbert Lammert. Das Heft können Sie hier bestellen.