Wer den Schaden hat

Social Media

Als Armin Laschet lachte, während im Vordergrund Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier eine Rede hielt, passierte zunächst: nichts. Medien berichteten unaufgeregt vom Besuch des Unions-Kanzlerkandidaten im Flutgebiet. Dann entdeckte jemand den feixenden Kanzlerkandidaten der Union im Hintergrund des Videos der Steinmeier-Rede, vergrößerte den Bildausschnitt und stellte ihn ins Netz. Viele schimpften, der Ministerpräsident mache sich über die Flutopfer lustig (was natürlich Unsinn ist). Andere interessierte das gar nicht. Sie kopierten den fröhlichen Laschet in andere Bilder, interpretierten sein Lachen als Reaktion auf völlig andere Kontexte mit Bildbeschriftungen: “Wenn du dich an einen Witz von Hans-Georg Maaßen erinnerst.” “Wenn die Lehrerin sagt, wer noch einmal lacht, fliegt raus.” Oder voll auf die Zwölf: “Und dann sagte ich denen: ‘Klar kann ich Kanzler’.” Natürlich war Laschets Lachen aus dem Kontext gerissen. Darum geht es hier. Aus Laschets Lachen wurde ein Meme.

Der Begriff Meme leitet sich vom griechischen Wort „mimema“ ab. Es bedeutet so viel wie „etwas Nachgeahmtes“. Dieses Kultur- und vor allem Jugendphänomen beschreibt einen Medieninhalt – meist ein einfaches Foto –, der vielfach reproduziert und abgeändert wird. Dabei fügt ein Scherzbold meist ein Textfeld hinzu, das die ursprüngliche Bedeutung der Vorlage in einen anderen Kontext setzt. Memes verbreiten sich schnell, weil sie so vielfältig sein können und auf die unterschiedlichsten Situationen anzuwenden sind. Ein klassisches Beispiel sind sogenannte “reaction pics”: Fängt ein Foto auf besonders hübsche Weise eine Reaktion wie Überraschung, Ärger oder Belustigung ein, kann man das auf einen neuen Sachverhalt beziehen – so geschehen mit Armin Laschets schelmischem Grinsen.

Ob eine Privatperson, ein Film- oder Seriencharakter oder eine prominente Persönlichkeit – prinzipiell kann alles und jeder zum Meme werden. Heute gibt es unzählige Programme, in denen vorgespeicherte, häufig genutzte Fotos einfach mit einem Text verziert werden können. So eroberten die Memes das Internet im Sturm. Heute sind sie aus der Internetkultur nicht mehr wegzudenken. Auch im politischen Raum hat wohl jeder mindestens eines davon geteilt. Alles, was die (junge) Gesellschaft intensiv beschäftigt, ist früher oder später auch für die politische Kommunikation interessant.

Memes machen Wahlkampf

Die Grundlage für den Erfolg des Memes sind die sozialen Medien. Sie haben die politische Kommunikation demokratisiert. Heute kann jeder öffentlich Kritik üben und hat dabei die Möglichkeit, gehört zu werden. Über jede im Parlament vertretene Partei gibt es zahllose Meme-Accounts. Zählt man hier die jeweils größten zusammen, kommt man auf über 85.000 Follower, allein auf Instagram. Parteiübergreifende politische Meme-Accounts erreichen diese Zahlen allein. Die Geschwindigkeit ihrer Verbreitung und die Größe des zu erreichenden Publikums ist der entscheidende Unterschied zu früher. Weil Memes davon leben, Kontexte zu durchbrechen, kann man sie kaum steuern. Ein erfolgreiches Meme lässt sich nicht planen: Prinzipiell entscheiden vor allem Spontanität, Kontextualisierung, etwas Unerwartetes über den Erfolg eines Memes. Dazu müssen sie im Zusammenspiel vor allem eines sein: witzig.

Zusätzlich teilen Menschen Memes am ehesten, wenn deren Aussage der eigenen politischen Einstellung entspricht. Dabei kann bereits eine unglückliche Szene im Video oder ein unbedachtes Foto ausreichen, um zum Meme zu werden. Opfer kursieren dadurch mitunter Tage oder Monate im Internet und verlieren die Deutungshoheit über das eigene Bild. Die immer kürzere Aufmerksamkeitsspanne der Internetnutzer begünstigt die rasante Verbreitung der Memes. Wer juristisch dagegen vorgeht, schießt sich damit gern ein Eigentor. Die konfliktfreudige Internet-Community teilt das fragliche Meme umso freudiger. Das ist auch bekannt als “Streisand”-Effekt. Die Schauspielerin Barbra Streisand klagte einmal gegen die Veröffentlichung von Bildern ihrer Villa und machte durch die Klage viele unwillkürlich erst darauf aufmerksam.

Der Sündenfall

Zuerst sprang die Memekultur in den USA in die Politik über. Dort ist sie vor allem unter dem Begriff der “Troll Culture” bekannt. “Internet-Trolle” zermürben Menschen und Debatten im digitalen Raum und bedienen sich dabei der Freund-Feind-Logik. Eines der bekanntesten Memes der Welt ist “Pepe the Frog”. Die grüne, menschenähnliche Froschfigur hat sich der US-amerikanische Comiczeichner Matt Furie ausgedacht. Nach der Veröffentlichung im Jahr 2005 wurde der ursprünglich völlig unpolitische Charakter unzählige Male wiederverwendet, vor allem, weil er flexibel einsetzbar ist. Während der US-Präsidentschaftswahl 2016 zwischen Hillary Clinton und Donald Trump gelangte Pepe der Frosch auf die große Bühne. Rechte Unterstützer des damaligen republikanischen Kandidaten aus der Alt-Right-Bewegung entdeckten das Meme für sich.

Originaler Twitter-Ausschnitt: Donald Trump tweetet sich selbst im Antlitz von „Pepe the Frog“.

Ob als mexikanischer Migrant am Grenzzaun, in der weißen Tracht des Ku-Klux-Klans oder mit einem Hitlerbart, in verschiedensten Varianten tauchte Pepe auf allen sozialen Kanälen auf. Er wurde zu einem Symbol des Hasses. Selbst der spätere Präsident Donald Trump tweetete das Meme, auf das jemand seine blonde Mähne montiert hatte. Spätestens jetzt erlangte Pepe weltweite Bekanntheit. Sein Schöpfer Matt Furie hatte die Kontrolle über sein geistiges Eigentum verloren. Dabei war er ein Unterstützer von Hillary-Clinton, ausgerechnet. Sein letzter Versuch: Er zeichnete “seinem” Pepe den Comic-Tod. Ein Frosch im Sarg. Eine symbolische Beerdigung, um die weitere zweckentfremdete Verbreitung seiner Kreation zu unterbinden. Genützt hat das herzlich wenig. Auch nach dem “Meme-Tod” wurden weiter fleißig Pepe-Varianten geteilt.

Auch in Deutschland sind Memes längst Teil der Netzkultur. Sie sind meist humorvoll gestaltet, manchmal ziehen sie aber auch Personen und Gruppen in den Dreck. Sie beanspruchen keine Neutralität und halten sich nicht an journalistische Ethik. Es werden eigene Meinungen, Werte oder Interessen vertreten. Ob die jeweiligen Content-Creators einfach viral gehen wollen oder einen tieferen Zweck verfolgen, ist nie ganz klar. Heute gibt es auf den Plattformen Facebook, Instagram und Twitter Meme-Seiten zu jeder im Parlament vertretenen Partei. Sie vermischen bereits bekannte Bilder, Fotos von parteieigenen Politikern oder Bilder von parteifremden Politikern mit politischen Inhalten. Häufig soll die Konkurrenzvert in einem schlechten Licht erscheinen. Wer die Administratoren hinter den Seiten sind, ist kaum zu ermitteln. Häufig sind es jedoch Parteisympathisanten, die unabhängig von den Parteizentralen ihren Beitrag zur Sache leisten wollen.

Heißes Eisen

Allerdings sind politische Memes ein zweischneidiges Schwert. “Parteien können sich daran auch selbst verbrennen”, sagt Marcel Risker. Er ist Social-Media-Manager der CDU-Fraktion Berlin. “Wir halten uns in dieser Hinsicht zurück”, sagt er. In seiner zweijährigen Tätigkeit könne er sich nur an wenige Memes erinnern, die über die eigenen Parteikanäle ausgespielt worden seien. “Die Inhalte offizieller Parteikanäle werden kritischer begutachtet, als die von privaten Kanälen”, sagt Risker. “Die Internet-Szene zieht solche Postings häufig ins Lächerliche. Die Fallhöhe ist einfach größer.” Die Jugendparteiorganisationen seien da wesentlich aufgeschlossener. Außerdem vermutet Risker, dass andere Parteien Meme-Seiten unter dem anonymen Deckmantel betreiben. Die CDU verfügt nach eigener Aussage über keine solcher Seiten.

Das Trojanische Pferd: ein Meme aus der Zeit, bevor es das Internet gab. Olaf ­Scholz fungiert hier als Türöffner der ­linken Parteiführung der SPD – in ­Anlehnung an die Rote-Socken-­Kampagne.

Doch wie wehrt man sich als Partei gegen Memes, die einen durch den Kakao ziehen? “Rechtliche Schritte gegen Memes stehen intern kaum zur Debatte”, sagt Social-Media-Manager Risker. “Zum einen ist der Aufwand zu hoch, gegen anonyme Kanäle vorzugehen, und zum anderen gehören kritischer Diskurs und das Aushalten von Häme zur politischen Tätigkeit.” Lediglich bei harten Beleidigungen oder menschenverachtenden Inhalten würde er tätig. Vorgekommen sei das aber noch nicht.

Zum Wahlkampf habe das Volumen politischer Memes zugenommen, sagt Michael Risker. Besonders die Kanzlerkandidaten Armin Laschet und Annalena Baerbock werden von Meme-Bildern aufs Korn genommen. Von Olaf Scholz gibt es weniger Witz-Bildchen. Er agierte bislang medial zurückhaltender als seine Konkurrenten. Es gibt weniger verfängliche Bilder von ihm, die in der Szene als “exploitable”, wörtlich “ausbeutbar”, gelten. Dennoch klopfe man die Fotos führender Unionspolitiker, die auf die Social-Media-Kanäle gegeben werden, nicht auf Memepotenzial ab, sagt Risker. Er könne sich das in Zukunft zwar vorstellen, intern werde das aber noch nicht diskutiert.

Laschet-Meme vom CDU-connect-­Instagram-Kanal. Er runzelt die Stirn und richtet sich dabei seine Brille. Bildausschnitt aus einer Sendung in der ARD bei „Anne Will“.

Im Zuge der Landtagswahlkämpfe und der Bundestagswahl 2017 hat die CDU die App “CDU connect” auf die Beine gestellt, die CDU-Politiker beim Haustür-Wahlkampf mit Daten unterstützen soll. Den zugehörigen Kanal auf der Foto-Plattform Instagram betreibt die Junge Union. Seit Januar 2021 verbreitet er aktiv Memes. Ob das hilft, zur Bundestagswahl junge Wähler anzusprechen, spaltet die Geister. Politikberater und Blogger Martin Fuchs hält den Kanal für zumindest teilweise gelungen: “Für die eigene Blase und seine Sympathisanten funktioniert dies wunderbar, für andere Leute von außen funktioniert es meist nicht.” Netzreporter Gregor Schmalzried ist da pessimistischer. Er bezeichnet den Connectcdu-Kanal als den “vielleicht unmodernsten Meme-Account, den ich je gesehen habe”. In den Kommentarspalten des Kanals überwiegen kritische Stimmen. Die Union verstünde nicht, was ein klassisches Meme ausmache, ist ein häufiger Vorwurf. Lustig findet die Community die Bilder überwiegend nicht.

You’re doing it wrong

Ein Beispiel: Ein Meme, das Armin Laschet in der Talkshow von Anne Will zeigt, hat die Überschrift: “Nachdem du bei Anne Will alle hops genommen hast”. Es zeigt ihn mit hochgezogenen Augenbrauen, während er sich an seine Brille fasst. Sprachlich entspricht die Überschrift zwar dem gängigen Sprachgebrauch der Jugendkultur. Inhaltlich wirft das Bild jedoch Fragen auf. Zunächst ist es recht umstritten, wer in der Talksendung wen vorgeführt hat. Uneindeutigkeit ist schlecht für ein Meme. Ist ein politisches Meme umstritten, wird es weniger geteilt. Denn eine klare Stoßrichtung motiviert viele Menschen, ein Bild weiterzuteilen. Es muss eine Stimmung, eine Aussage schnell und ironisch auf den Punkt bringen. Wer ein Meme teilt, spart sich lange Erklärungen. Parteikanäle, die Memes verteilen, sprechen deshalb vor allem eigene Anhänger an. Neutrale Betrachter bekommt man so kaum auf die eigene Seite. Häufig verstehen sie nicht einmal die Codes der eigenen Blase.

Eins ist klar: Auch in Zukunft werden Kanäle auf den sozialen Netzwerken politische Memes veröffentlichen. Es wird zur Aufgabe der einzelnen Parteien werden, den richtigen Umgang damit zu finden. Wollen die Parteien aktiv daran teilhaben, erscheint es wichtig, die digitalen Kompetenzen weiter auszubauen, um das richtige Gespür für den Zeitgeist in den Parteizentralen zu haben. Sonst besteht stets die Gefahr, von einer findigen, konfliktbereiten, anonymen Internet-Community belächelt zu werden. Netzreporter Schmalzried sieht hier jedoch eine positive Entwicklung: “Das Verständnis nimmt zu. Die CDU wird hier gerade besser. FDP versucht sich sogar bereits aktiv am Meme-Bauen.” Bis sich die Parteien jedoch sicher im steinigen Meme-Gelände bewegen können, warten noch einige Fettnäpfchen. Aber das ist ja auch ganz lustig.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 136 – Thema: Die drei Fragezeichen – Wer wird die neue Merkel?. Das Heft können Sie hier bestellen.