Sprechstunde der Regierung

Reschs Rhetorik Review

„Das wird schon wieder!“, sagen gute Ärzte vermutlich seit Jahrhunderten. Noch bessere erklären in einfachen Worten, was eigentlich los ist – sowie der Mediziner Karl Lauterbach. Mitten in den unübersichtlichsten Corona-Wirren begann er seine Ausführungen mit Worten wie: „Ich erkläre es mal ganz einfach …“ „Endlich!“, seufzen dann alle, die nicht in Harvard studiert haben und lauschen, wie der kluge Karl die neuesten Studien erläutert, die er sich des Nachts reingezogen hat. Am Schluss vieler Reden und Statements beschwört Lauterbach dann einen unverrückbaren Wert: den Schutz der Menschen vor dem Tod.

Das ist seit zweitausend Jahren der Dreiklang wirkungsvoller Rhetorik. Die Menschen abholen, ihnen die Welt in einfachen Worten erklären und am Ende Dinge beschwören, die größer sind als man selbst. So führen seit Tausenden Jahren Feldherren ihre Soldaten in die Schlacht – und Professor Karl sein Volk durch die Pandemie. Nicht umsonst kam Olaf Scholz bei der Kabinettsaufstellung am Mediziner nicht vorbei.

Dennoch ist Karl Lauterbach gescheitert. Er ist eben kein Feldherr und wir sind nicht seine Soldaten. Es gibt in einer Demokratie keine Konsequenz von Befehl und Gehorsam zwischen einem Gesundheitsminister und der Armee von Krankenversicherten. Das hat der Gesundheitsgeneral offenbar nicht verstanden. Demokratie lebt vom Widerspruch und der Diskussion. Genau das ist für Karl Lauterbach wohl geradezu unerhört.

Das verrät ein Blick auf seine Körpersprache. Wer wirklich führt, dessen Hände weisen den Weg. Wenn Karl Lauterbach vor dem Bundestag spricht, sind seine Hände meist ausgestreckt mindestens auf Brusthöhe, die Handflächen zeigen nach unten. Mit jedem Wort drücken die Hände die Luft im Raum von oben nach unten. Haltet die Klappe, wenn König Karl spricht, will er damit sagen. Je lebendiger die Widerworte, umso höher springen seine Hände und umso kraftvoller „drückt“ er mit seinen Händen den Widerspruch zurück in die Sitzreihen des Parlamentes. Er hält sich Widerspruch nicht nur vom Leib. Das macht der Bundespräsident in seiner Gestik mit den nach vorne geöffneten Händen. Karl Lauterbach will den Widerspruch bezwingen.

Damit sind wir beim Punkt seines Scheiterns. Wer keinen Widerspruch ertragen will, dem steht die eigene Bedeutungstrunkenheit im Weg. Wer seiner Eitelkeit Vorfahrt gewährt, macht Fehler. Dem ist egal, ob er heute „hü“ behauptet und morgen „hott“. Der Eitle hält sich nicht an Gepflogenheiten und verkündet veränderte Isolationsregeln auch mal rasch über Talkshows. Der Eitle lässt auch mal ein paar Fakten liegen, wenn es ihm gerade passt. Und der Eitle ist am Ende kein guter Arzt, weil der Patient spürt, dass der wohltuende Satz „Das wird schon wieder“ nur rhetorische Maskerade ist für die eigene Bedeutung.

Scholz: Der Leader spielt verstecken

Von Lenin ist der Satz überliefert, man solle die Dinge hinter den Dingen erkennen. Und von Jean-Claude Juncker stammt die entscheidende Ergänzung. Der immer alles und jeden herzlichst herzende Ex-Kommissionspräsident der EU sagte einmal, als Politiker sei man erstaunt, was man hinter den Dingen finde. Hinter den Dingen sei immer – der Mensch. Bei Olaf Scholz scheint diese Erkenntnis noch nicht angekommen zu sein. Es wirkt, als säße er allein im Maschinenraum des Kanzleramtes, regiere die Dinge wie ein Regierungscomputer einfach ab – und weit und breit kein Mensch.

Selbst bei seinen spärlichen Auftritten buchstabiert Olaf Scholz jedes Wort mit gesenktem Haupt vom Blatt. Offenbar hält er sich an den Dingen fest, nicht an den Menschen, an die er sich wendet. Wenn ihm doch mal Menschen in die Quere kommen, macht er sie zu „Jungs und Mädels“.

Gewiss, Olaf Scholz hatte nicht die berühmten 100 Tage – eine Karenz des Ankommens, die wir heute jedem Abteilungsleiter für Herrenkonfektion gewähren. Gleich das volle Programm: Corona, die Ukraine, die Energie, die Russen. Dafür braucht man Zeit im Maschinenraum. Und nicht zuerst die Bühne. Aber die Menschen brauchen die Bühne. Notabene, Olaf: Führung braucht Worte.

Wo ist der mutige Geist aus dem Team Scholz, der Olaf vor der Wahl gesagt hat, wie man „nah bei de Leut“ ist? Immerhin hat es im Wahlkampf funktioniert. Aber: Es war ein Corona-Wahlkampf. Viele Kameras, kalkulierbare Sendeslots, kurze Aktionsflächen, auf denen man den Scholzomaten für Minuten aus- und den menschelnden Kandidaten einschalten konnte. Dazu ganz wenige Jungs und Mädels in den Fußgängerzonen und Mehrzweckhallen. Hätte in einem Wahlkampf voller Menschen, Winken und Anfassen vielleicht doch der rheinische Katholik das Rennen gemacht?

Jetzt ist Olaf Kanzler. Gefragt ist der Mann, der auf den Plakaten Respekt versprochen hat, der sich an uns wendet: persönlich, entschieden, klar. Wenn Scholz nicht weiß, wie das geht: Die Nummer von Jean-Claude Juncker liegt im Kanzleramt sicher noch irgendwo herum.

Baerbock: Zwischen Rolle und Repertoire

Dicke Bücher mit Titeln wie „Die großen Reden“ enthalten überwiegend Kriegs-, Friedens- oder Freiheitsreden. Besonders großartige Reden schreiben sich in einer Krise fast von selbst. Eine Rede lebt von immensen Herausforderungen, noch größeren Zielen und dem bisweilen schmerzvollen Weg dahin. Damit wäre zu Frau Baerbock alles gesagt. Aber so einfach ist es dann ja doch nicht. Denn offenbar nutzt die Außenministerin ein Momentum, das der Kanzler liegen lässt. Was macht sie anders?

Es wirkt, als fühle sie sich wohl mit ihrem Amt und ihrer Aufgabe. Sie gibt uns die Außenministerin mit Passion. Wir wünschen uns heute Authentizität. Aber viel wichtiger für rhetorische Wirkung ist die Übereinstimmung von Persönlichkeit und Rolle, von Motivation und Aufgabe, von Herz und Hingabe.

Eine überzeugende Wirkung verlangt erstens, dass man sich verschenkt, weil man mit jedem Wort auch etwas riskiert. Zweitens sind gute Redner ganz nah bei sich. Sie müssen ihre Worte nicht durch den Verstand jagen und vor der Zungenspitze nochmals überprüfen. Gute Redner sprechen direkt aus dem Herzen. Das gelingt Annalena immer mal wieder. Wer erinnert sich nicht an ihre Replik auf Friedrich Merz in der Causa feministische Außenpolitik? Die saß – ohne Manuskript, in freier Rede. Rhetorik ist kein Anzug, sondern eine Haltung. Das ist in Medientrainings oft der weiteste Weg. Diese Verschmelzung aus Persönlichkeit, Rolle und Aufgabe. Bei Annalena: Check!

Dann kommt der zweite Schritt: Die bewusste Arbeit mit Sprache, Stimme, Storytelling, Rhythmus. Hier stünde noch viel in Baerbocks Aufgabenbuch. Die Sätze zu lang. Die Inhalte zu verschachtelt. Die Story zu kompliziert. Die Fakten zu weit vorne. Die Kraft des Ethos häufig verschenkt. Die des Pathos zu oft verschossen. Und von Soundbytes keine Spur. Oder könnten Sie auf Anhieb drei entscheidende Positionen von Annalena Baerbock wiedergeben?

Das Fazit: Annalena Baerbock beherrscht die rhetorische Pose. Ein grüner Vorgänger im Auswärtigen Amt aber beherrschte das ganze Repertoire. Dieser Unterschied formt auch jenseits von Krisen eine gute Rednerin.

Habeck: Rhetorik ist nicht nur Talent

Was hört man allerorten: So wie der Habeck sollte man sprechen! Seid so echt wie der Habeck! Dann macht ihr alles richtig! Das stimmt aber nur zur Hälfte. Die erste Hälfte: Habeck redet in der Tat gut und genau so, wie wohl die meisten im Land denken, zweifeln, fürchten und sprechen. Das ist richtig.

Andererseits darf man nicht vergessen, dass Robert Habeck Schriftsteller ist. Er hat mit der Macht des Wortes seinen Lebensunterhalt verdient. Er weiß: Sprache muss wirken! Ich behaupte: Robert Habeck nutzt die Sprache auch politisch professionell. Das ist kein Vorwurf der Manipulation, wie gerade in deutschen Kulturkreisen immer wieder gerne und empört vorgetragen wird. Niemand würde Thomas Mann vorwerfen, die Sprache manipulierend zu benutzen, nur weil er es professionell tut.

Die Anwendung von Sprache ist Handwerk. Das kann man lernen. Journalisten tun das auch. Und nach der Lehre wendet der Meister sein Handwerk an. Manchmal gelingt das meisterlich, wie bei Robert Habeck.

Wenn ein Ingenieur CEO wird, bleibt er ein Ingenieur. Wenn ein Wirtschaftsprüfer Vorstand wird, dann ist er ein guter Wirtschaftsprüfer. Was ihnen allen aber meist fehlt: das Handwerk im Umgang mit der Macht des gesprochenen Wortes. Weil sie im bisherigen Leben eben keine Schriftsteller waren. Weil Sprache ein meist unbewusst genutztes Kommunikationstool war. Aber kein bewusstes Vermittlungs- und Überzeugungstool.

Was so „echt“ wirkt bei Robert Habeck, ist das Ergebnis von harter Arbeit an Bewusstsein, Haltung, Messaging und dem Einsatz der Macht des gesprochenen Wortes. Genau das leistet eine gute Ausbildung in Medien, Rhetorik und Kommunikation. Es heißt meist Medientraining. Und ist doch so viel mehr, wenn ein Habeck draus werden soll.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der gedruckten Ausgabe N° 139 – Thema: Politische Events. Das Heft können Sie hier bestellen.