Wie wir politische Diskussionen im Netz wieder erträglich machen

Social Media

Meinungsblasen prägen den gesellschaftlichen Diskurs in Deutschland. Das Phänomen ist nicht neu. Schon immer wurden Menschen hinsichtlich ihrer gesellschaftlichen Ansichten und politischen Überzeugung durch ihr soziales Umfeld beeinflusst. Allerdings deutet vieles darauf hin, dass mediale und technologische Entwicklungen diesen Trend beschleunigen und bestehende Abgrenzungen verfestigen. Die meisten Algorithmen sind so konzipiert, kognitive Dissonanzen zu vermeiden. In der Regel werden einem nur solche Informationen angezeigt, die dem eigenen Weltbild entsprechen.

Als Ergebnis beobachten wir, dass der politische Diskurs gerade online so polarisiert ist wie selten zuvor. In Facebook-Kommentarspalten und Auseinandersetzungen auf Twitter erhalten häufig provozierende, polemische und undifferenzierte Aussagen am meisten Zuspruch. Widersprüche, Grauzonen und vermittelnde Standpunkte finden derweil nur wenig Beachtung. Es wird mehr übereinander als miteinander gesprochen. Der Austausch zwischen divergierenden Ansichten kommt zu kurz.

Digitale Räume nutzen um andere Perspektiven kennen zu lernen

Diskutier Mit Mir” und “Talking Europe” schaffen geschützte virtuelle Räume innerhalb einer polarisierten digitalen Öffentlichkeit und zeigen, dass Online-Diskussionen zu kontroversen Themen nicht automatisch zu Hate Speech und Beleidigungen führen müssen. So tragen die Apps zu einer positiven Debattenkultur bei und geben den digitalen Raum nicht verloren.

Das Grundprinzip ist einfach und wirkungsvoll: Man geht auf die Plattform und wird von einem extra entwickelten Algorithmus mit Menschen verknüpft, die politisch ganz anders ticken als man selbst. Das Matching funktioniert über Thesen oder bei Wahlen über die Auswahl von Parteien. In Eins-zu-eins-Chats werden politische Thesen anonym diskutiert. Die Inhalte der Chats sind geschützt und können nicht eingesehen werden. Als Anregung für die Diskussion kann man sich während des Chats verschiedene kontroverse politische Thesen vorschlagen lassen.

Anonymität nutzen für vorurteilsfreien Gedankenaustausch

Der Ansatz, im Digitalen auf nicht öffentliche, anonyme Eins-zu-eins-Chats mit Andersdenkenden zu setzen, grenzt sich bewusst von bekannten Plattformlogiken (One-to-Many- oder Many-to-Many-Kommunikation) ab. Alle Angaben zur eigenen Person sind freiwillig: Wohnort, Geschlecht und soziale Herkunft sind im Chat nicht sichtbar, wodurch ein Gespräch frei von Vorurteilen möglich wird. So hat man einerseits die Möglichkeit, einfach und unmittelbar andere Meinungen und Perspektiven kennenzulernen. Andererseits motiviert es auch dazu, die eigene Meinung im Diskurs auszuprobieren, Argumente zu testen – aber das in einem geschlossenen, sicheren Raum. Es gießt niemand Öl ins Feuer, niemand wird wegen gruppenbezogener Merkmale angegriffen oder Diskussionen mit Whataboutism zum Entgleisen gebracht.

Die Auswertung der bisherigen Arbeit zeigt: Die Eins-zu-eins-Chats sind kaum attraktiv für Trolle und es kommt selten zu Hate Speech. Da der Dialog in geschützten Räumen ohne Publikum stattfindet, kommt es kaum vor, dass das Gegenüber ausfällig wird. Zur Bundestagswahl 2017 wurden so knapp 20.000 Gespräche zwischen Menschen mit konträren politischen Einstellungen ermöglicht. Insgesamt wurden fast 500.000 Nachrichten verschickt und im Schnitt 7:48 Minuten lang diskutiert. In vier Wochen Projektlaufzeit mussten dabei nur drei Personen wegen Fehlverhalten gesperrt werden. Da größten Wert auf Anonymität gelegt wird, wurde ein userbasiertes Meldesystem implementiert, bei dem eine Sperrung nur dann erfolgt, wenn drei Menschen unabhängig voneinander das gleiche Gegenüber melden.

Ansonsten gilt: Es gibt das Recht auf Meinungsfreiheit, aber nicht das Recht auf Gespräch. Wenn man sich in einem Chat nicht wohlfühlt, kann man den Austausch mit einem Klick beenden. Das Gegenüber hat danach keine Möglichkeit auf anderen Wegen Kontakt aufzunehmen.

Bisher wird die Plattform vor allem zu Wahlen eingesetzt. Momentan liegt der Fokus auf den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Wichtig ist dabei, dass Menschen aus dem gesamten politischen Spektrum angemeldet sind. Nur so kann der Algorithmus jemanden finden, der politisch anders tickt.

Die Plattform lebt von politischer Vielfalt

Dafür setzen wir auf moderne crossmediale Informationskampagnen. Mit zeitgemäßer Social-Media-Arbeit auf Facebook, Instagram und Twitter erhöhen wir durch Videos, Gifs, Sharepics unsere organische Reichweite. Der Fokus liegt dabei auf einer frischen Bildsprache und einer engen inhaltlichen Anbindung an Themen und Thesen, die vor Ort diskutiert werden. Mit Targeted Facebook Ads sprechen wir zudem gezielt Menschen aus den jeweiligen Bundesländern an und stellen die notwendige politische Vielfalt auf der Plattform sicher. Durch Workshops mit regional verankerten Partnern identifizieren wir wichtige Themen vor Ort und schaffen Anlässe für klassische Berichterstattung.

Besonders wertvoll sind Medienpartnerschaften. Sowohl bei der Bundestags- als auch bei der Europawahl kam viele Menschen über die Einbindung von Bannern oder interaktiven Widgets in die Angebote überregionaler Nachrichtenportale auf unsere Plattform.

Unsere Vision: Demokratieförderung durch digitalen Dialog – zu jeder Wahl

Perspektivisch soll “Diskutier Mit Mir” als das “Diskussionstool zur Wahl” etablieren werden – denn der Austausch von Meinungen ist ein Grundpfeiler der Demokratie. Das Einüben und Ausprobieren von Argumenten sowie das Kennenlernen und Ertragen anderer Meinungen in politischen Diskussionen sind Voraussetzung für demokratische Beteiligung. Digitaler Dialog birgt große Potenziale: Es ist egal, ob man auf dem Land oder in einer Großstadt wohnt, ob man ein Lautsprecher oder eher schüchtern ist. Der Pessimismus des vorherrschenden Diskurses zum Internet als Treiber von Verrohung und gesellschaftlicher Spaltung führt uns nicht weiter. “Diskutier Mit Mir” zeigt, dass es anders geht.